Zähne als Zeitkapseln 14.11.2024, 16:00 Uhr

Ist eine lange Kindheit das Erfolgsgeheimnis der Menschheit?

Warum hat sich die Menschheit anders entwickelt als andere Primaten? Fossile Zahnuntersuchungen könnten das Geheimnis des modernen Menschen gelüftet haben.

Evolution Mensch

Liegt es an der längeren Kindheit im Vergleich zu anderen Primaten, dass sich der moderne Mensch entwickeln konnte? Eine Zahnuntersuchung bei einem über einer Million Jahre altem Humanoiden legt diesen Schluss nahe.

Foto: PantherMedia / UncleLeo

Fossile Zahnuntersuchungen früher Hominiden deuten darauf hin, dass eine verlängerte Kindheit ein entscheidender Faktor für die Entwicklung des modernen menschlichen Gehirns war. Mithilfe moderner Synchrotron-Bildgebung konnte gezeigt werden, dass diese Hominiden über eine ähnliche Zahnentwicklung wie heutige Menschen verfügten, trotz kleiner Gehirne. Eine soziale Struktur mit mehreren Generationen ermöglichte es jungen Hominiden, länger von erfahrenen Individuen zu lernen, was einen wichtigen Beitrag zur Evolution größerer Gehirne und längerer Lebensspannen leistete.

Die Hypothese: Lange Kindheit – großes Gehirn?

Der menschliche Entwicklungszyklus unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von dem anderer Primaten: Menschenkinder verbringen viele Jahre in der Abhängigkeit von ihren Eltern und Großeltern. Dies ist ein entscheidender Abschnitt, in dem Fähigkeiten erlernt werden, die für das Überleben in einer komplexen sozialen Umgebung erforderlich sind. Wissenschaftler*innen vermuteten bisher, dass diese lange Kindheit eine direkte Folge der Zunahme des menschlichen Gehirnvolumens ist, das mehr Zeit und Energie für seine Entwicklung benötigt. Doch neue Forschungsergebnisse stellen diese These infrage.

Ein internationales Forscherteam analysierte die Zahnentwicklung eines frühen Hominidenfossils aus Georgien, das etwa 1,77 Millionen Jahre alt ist. Die detaillierte Untersuchung der Zahnstruktur, die mithilfe des Synchrotrons der ESRF (European Synchrotron Radiation Facility) in Grenoble erfolgte, zeigt Hinweise auf eine verlängerte Kindheitsphase, auch ohne das große Gehirnvolumen des modernen Menschen.

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Zähne als Zeitkapseln der Evolution

Zähne sind ein wertvolles Instrument für die Forschung, da sie sich ähnlich wie Baumringe entwickeln und ein detailliertes Wachstumsmuster aufweisen. „Kindheit und Kognition versteinern nicht, daher müssen wir uns auf indirekte Informationen verlassen.

Zähne sind ideal, weil sie gut versteinern und Jahresringe bilden, die ihre Entwicklung aufzeichnen“, erklärt Christoph Zollikofer von der Universität Zürich, der Hauptautor der Studie. Mit der Synchrotron-Bildgebung konnten die Forschenden präzise virtuelle Querschnitte durch die Zähne erstellen, die das gesamte Wachstum der Zähne bis hin zum frühen Erwachsenenalter sichtbar machten.

Erkenntnisse aus 18 Jahren Forschung

Das Forschungsprojekt begann bereits 2005 und zog sich über fast zwei Jahrzehnte. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass der untersuchte Hominide das Erwachsenenalter mit einer Zahnentwicklung erreichte, die für seine Zeit ungewöhnlich war. Die Molaren wuchsen langsamer als die Schneidezähne, ein Merkmal, das auch bei heutigen Menschen beobachtet wird. Diese Ähnlichkeit deutet darauf hin, dass die frühen Hominiden-Kinder ihre Milchzähne länger nutzten und somit länger von der Unterstützung durch Erwachsene abhängig waren.

„Die Ergebnisse zeigten, dass dieses Individuum im Alter von 11 bis 12 Jahren starb, als seine Weisheitszähne bereits durchgebrochen waren, wie es bei Menschenaffen in diesem Alter der Fall ist“, erläutert Vincent Beyrand, Mitautor der Studie. Dennoch zeigte das Fossil eine für den Menschen typische Abfolge der Zahnentwicklung. Das Team vermutet, dass die verlängerte Kindheit den frühen Hominiden ermöglichte, länger von älteren Gruppenmitgliedern zu lernen und kulturelles Wissen zu erwerben.

Fossil eines fast erwachsenen Homo

Fossil eines fast erwachsenen Homo vom Fundort Dmanisi in Georgien, das auf etwa 1,77 Millionen Jahre datiert wird und am Europäischen Synchrotron (ESRF) gescannt wurde.

Foto: Georgisches Nationalmuseum

Kulturelle Weitergabe über Generationen

Neben der Zahnentwicklung legen die Forschungsergebnisse nahe, dass frühe Hominiden möglicherweise in einer sozialen Struktur lebten, in der Wissen über Generationen weitergegeben wurde. Ein besonders alter Schädel aus der Dmanisi-Fundstätte zeigt, dass ein Individuum ohne Zähne überlebt hat, was auf soziale Unterstützung durch seine Gruppe hinweist. „Die Tatsache, dass ein so altes Individuum mehrere Jahre ohne Zähne überleben konnte, deutet darauf hin, dass sich der Rest der Gruppe gut um ihn gekümmert hat“, bemerkt David Lordkipanidze vom Georgian National Museum.

In solch einem Umfeld können ältere Individuen, die über wertvolle Erfahrungen verfügen, eine entscheidende Rolle spielen, indem sie ihr Wissen an jüngere Generationen weitergeben. Diese Art der Drei-Generationen-Struktur könnte die kulturelle Weitergabe begünstigt und jungen Hominiden geholfen haben, die Fähigkeiten und das Wissen zu erlernen, die sie für ein erfolgreiches Überleben benötigten.

Eine neue Perspektive: Kultur als Motor der Gehirnentwicklung

Bisherige Annahmen gingen davon aus, dass die Entwicklung großer Gehirne zu einer längeren Kindheit führte. Die neue Hypothese deutet jedoch darauf hin, dass diese Reihenfolge möglicherweise umgekehrt ist. Die langsamere Reifung und die längere Kindheitsphase könnten sich zunächst aufgrund des sozialen Lernens und der kulturellen Weitergabe entwickelt haben. Die zunehmende Komplexität der sozialen Strukturen und der Wissensvermittlung innerhalb dieser Gruppen hätten dann die Entwicklung größerer Gehirne begünstigt.

Der Zugang zu sozialem Wissen bot diesen frühen Hominiden einen evolutionären Vorteil. Mit der Zeit könnten sich dann Gehirnvolumen und Kindheitslänge wechselseitig beeinflusst haben: Je mehr Wissen es zu erlernen gab, desto größer und leistungsfähiger wurde das Gehirn.

Evolutionäre Vorteile einer langen Kindheit

Das Konzept der langen Kindheit als Vorteil wird durch die hohe Lernfähigkeit von Kindern gestützt, deren Gehirn in der Lage ist, eine große Menge an Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Dies trifft auf menschliche Kinder auch heute noch zu. Je länger ein Kind in einer sicheren Umgebung von erfahrenen Mitgliedern lernen kann, desto komplexere Fähigkeiten kann es erwerben. Hieraus ergibt sich ein evolutionärer Vorteil, der für das Überleben und die Weitergabe von Wissen an zukünftige Generationen essenziell war.

Sobald dieser Mechanismus einmal etabliert war, wurde er durch die natürliche Selektion verstärkt. Soziale Gruppen, in denen die Kultur effektiv weitergegeben wurde, könnten ihre Ressourcen besser nutzen und waren besser auf Umweltveränderungen vorbereitet. Diese Veränderungen führten dazu, dass das Gehirn sich in späteren Entwicklungsstadien vergrößerte und die Kindheit weiter verlängerte.

Schlussfolgerung: Kindheit als Schlüssel zur menschlichen Evolution

Die Forschungen am frühen Hominiden-Fossil aus Georgien legen nahe, dass die lange Kindheit des Menschen nicht direkt durch die Notwendigkeit eines großen Gehirns entstanden ist. Vielmehr scheint die soziale Struktur mit mehreren Generationen, die kulturelles Wissen weitergaben, den evolutionären Anstoß gegeben zu haben. „Dies könnte das erste evolutionäre Experiment einer verlängerten Kindheit sein“, erklärt Marcia Ponce de León, Mitautorin der Studie.

Der soziale Wissenstransfer innerhalb der Gruppe könnte den Grundstein für die Entwicklung des modernen Menschen gelegt haben, indem er jungen Hominiden eine umfassende Lernzeit und eine sichere Umgebung bot. Dieser Ansatz legt nahe, dass es die soziale Kultur war, die die Grundlage für die spätere Evolution des großen menschlichen Gehirns und die lange Kindheit des Homo sapiens schuf.

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Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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