Jatropha-Nüsse gegen die Versteppung von Ackerflächen
Mitte dieses Jahrhunderts werden laut Uno-Prognosen 10 Mrd. Menschen auf der Erde leben. Zugleich gehen Jahr für Jahr 10 Mio. ha Ackerfläche durch Degradation verloren. Den 1,4 Mrd. ha Ackerland weltweit steht mehr als das Doppelte an ausgelaugten Böden gegenüber. Forscher der Uni Hohenheim arbeiten an Lösungen, um die Versteppung zu stoppen. Ihre schärfste Waffe
Wüste, so weit das Auge blickt. Die Hitze bringt den blassgelben Sand zum Glühen. An 255 Tagen pro Jahr wird es hier, vor den Toren der ägyptischen Stadt Luxor, heißer als 40 °C. Kaum 1 l Niederschlag pro Jahr und Quadratmeter tröpfelt in diese trockene Hölle. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, hier zu säen.
Klaus Becker, ehemals Professor an der Uni Hohenheim, und sein Forscherteam haben es trotzdem versucht. Sie gossen und düngten den Sand mit Abwasser der benachbarten Stadt und legten Nuss-Samen hinein. Genauer: Samen der Purgier-Nuss (Jatropha curcas). Zwölf Monate später standen schulterhohe sattgrüne Sträucher in der Wüste.
Doch wichtiger als der sichtbare Teil sind deren tiefe Wurzeln. Über sie kann das spärliche Wasser samt Nährstoffen in den Boden einsickern. Zudem sind sie der perfekte Wasserspeicher. „Mit drei Jahren ist Jatropha so weit, dass sie selbst zwei Jahre totale Dürre überlebt“, erklärt Becker. Dann werfen die Bäumchen ihre Blätter ab – und treiben wieder aus, sobald es regnet.
Falsche Anbaumethoden zerstören jährlich 10 Mio. ha Ackerland
Diese Überlebenskunst prädestiniert die Jatropha für den Kampf gegen die fortschreitende Degradation und Versteppung von Ackerflächen. Gut 10 Mio. ha Ackerland gehen der Menschheit nach UN-Angaben jährlich verloren – vor allem durch falsche Anbaumethoden und Erosion.
Und während die global verfügbare Ackerfläche von 1,4 Mrd. ha kontinuierlich schrumpft, wächst die Bevölkerung explosionsartig: 1985 lebten 5 Mrd. Menschen auf der Erde. 2050 werden die Mäuler doppelt so vieler Menschen zu stopfen sein. „Dafür müssen wir die Degradierung stoppen und Flächen rekultivieren“, ist Becker überzeugt.
Deshalb hat der Hohenheimer Professor nach Jahren der Hochschulforschung zwei Firmen gegründet, die Jatropha systematisch zum Arbeitstier gegen die Verwüstung des Planeten entwickeln sollen. Der Schlüssel dazu ist die Vielfalt der Jatropha-Nüsse. Sie bestehen zu einem Drittel aus Öl, das sich bestens zur großtechnischen Produktion von Kraftstoffen eignet und gerade die Luftfahrtbranche reizt. Doch das Öl taugt auch als Brennstoff für Generatoren und Lampen oder zur Produktion von Kerzen und Seife.
Jatropha-Nüsse könnten Regenwälder entlasten
Die anderen zwei Drittel der Nuss sind nicht minder interessant. Während ihre Schalen als Substrat für Biogasanlagen und als Humus für Felder taugen, hat der Presskuchen eine Eigenschaft, die Becker fast höher bewertet als den Ölgehalt: Er enthält mehr Proteine als Soja. Weil Tiere jedoch die Pressreste unbehandelt nicht vertragen, hat sein Forscherteam ein patentiertes Entgiftungs-Verfahren entwickelt. Fütterungsversuche zeigen, dass Fische, Schrimps und Geflügel damit schneller gedeihen, als mit Sojafutter. „Jatropha kann so Druck von Regenwäldern nehmen“, sagt er. Alle Appelle zum Regenwaldschutz seien vergebens, solange Alternativen zu Soja fehlen. Denn mit der weltweit wachsenden Mittelschicht steige der Fleisch- und Fischkonsum, und damit der Bedarf an Proteinfutter: „Die Menschen geben sich nicht mehr mit Reis zufrieden“, glaubt Becker.
Doch wie ist der Anbau von Jatropha zu organisieren? Konzerne, darunter auch BP, sind schon im letzten Jahrzehnt in den großflächigem Anbau eingestiegen. Und haben sich an der spröden Nuss die Zähne ausgebissen: Die Erträge blieben weit unter ihren Erwartungen, das Kraftstoffgeschäft blieb Vision.
„Kein Wunder!“, meint Becker. Andere Energiepflanzen hätten 80 Jahre Züchtung hinter sich. Dagegen sei Jatropha eine Wildpflanze. Die Forschung sei gerade dabei, die weltweit 170 bekannten Arten der Nuss kennenzulernen und ihre Eigenschaften zu analysieren. Von Züchtung sei das alles noch weit entfernt. „Die Konzerne haben versucht, Wildschweine in modernen Mastanlagen zu halten“, wundert er sich.
Forscher bauen global angelegtes Züchtungsprogramm für Jatropha-Nüsse auf
Statt auf schnelle Erfolge zu schielen, betreibt Becker mit seinem Team ein global angelegtes Züchtungsprogramm. Wo irgend möglich, haben sie die verfügbaren Genotypen der Sorte Jatropha Curcas gesammelt. „Wir haben dann von jeder Mutterpflanze 500 g Samen in 20 Portionen aufgeteilt, die wir nun synchron an 20 Standorten zwischen Südamerika und Madagaskar testen“, erklärt Becker.
Das sind zwanzig verschiedene Böden und Klimata, in denen die Forscher die Pflanzenentwicklung beobachten und dokumentieren. Erst wenn sie die besonders leistungsfähigen Pflanzen gefunden haben, folgen Tests zur idealen Düngung, Bewässerung oder Beschneidungen. Dann erst sollen erste Hybridkreuzungen folgen.
Bei alledem arbeiten die Pflanzenforscher Hand in Hand mit Genetikern, die jeweils die DNA der Pflanzen analysieren. Und sie setzen auf moderne Messtechnik. Unter anderem haben sie ein Gerät, das den Ölgehalt der Samen bestimmt, ohne diese zu beschädigen. „Indem wir Samen der Mütter und Töchter vergleichend messen, lernen wir, wie Umweltbedingungen den Ölgehalt der Pflanzen verändern“, erklärt Becker.
Obwohl die idealen Pflanzen für die jeweiligen Regionen noch lange nicht gefunden sind, laufen zugleich Anbauversuche in Pilot-Plantagen.
In Madagaskar steht die grüßte Jatropha-Pilotanlage
Die größte davon steht auf Madagaskar, in der Region Ambalavaro südlich von Feno Arivo. Ein kleines Dorf ist dort an den Forschungsplantagen entstanden, mehrmals im Jahr macht Becker sich dorthin auf den Weg.
Und das mit Erfolg: Wo früher versteppter Boden sich bis an den Horizont streckte, wachsen jetzt grüne Jatropha-Büsche in Reih“ und Glied, dazwischen Sonnenblumen. Und im Schatten der Büsche weiden Tiere.
In diesen Plantagen arbeiten ausschließlich Einheimische, Wissenschaftler wie Kleinbauern, auf 1000 ha degradiertem, extrem ausgelaugtem Land.
Becker sieht diese Böden als gigantische Schuldenlast. Durch Rodung im Zuge der Kolonisation, Großplantagen und schließlich kleinbäuerlichen Anbau der immer gleichen Früchte ist ihnen jeder Nährstoff entzogen. Kein Bauer hat nach Beckers Erfahrung hier noch gesät, aus Sorge um das teure Saatgut.
Die Forscher nehmen auf ihren 1000 ha jetzt den Kampf gegen die Schuldenlast auf. Und sie führen den Kleinbauern der Umgebung vor, dass auch sie Möglichkeiten haben, ihre schlechtesten Böden, deren Erträge Jahr für Jahr sinken, zu retten.
„Die Böden hier in Madagaskar waren absolut fertig“, erinnert sich Becker. Doch inzwischen erholen sie sich, der Ertrag der in Hecken angepflanzten Jatropha-Büsche steigt.
Und noch wichtiger: Es wächst und gedeiht zwischen den Jatropha-Hecken. Bewusst entwickeln die Wissenschaftler Anbausysteme, die den Gewohnheiten von Kleinbauern nahekommen und die sich für sie lohnen.
Auf fast wertlosen Flächen entstehen so Felder mit weißen und roten Bohnen, Sonnenblumen oder der Ölfrucht Morringa olifeira. „Wenn die Bauern in Madagaskar das auf unseren Böden sehen, müssen wir nichts mehr erklären“, so Beckers Erfahrung.
Zumal sich auch herumgesprochen hat, dass für die Nüsse gutes Geld gezahlt wird und der entgiftete Presskuchen ihre Tiere prächtig gedeihen lässt. Rinder, Ziegen und Schafe fühlen sich auch zwischen den Hecken wohl. Die Blätter der Nussbäume schmecken ihnen zwar nicht – doch was dazwischen sprießt, futtern sie – und halten so das Unkraut klein, das sonst mit den Jatropha-Büschen ums knappe Wasser konkurriert. Den Büschen wiederum dienen die Ausscheidungen der Tiere als Dünger. Und die Bauern schließlich können ihr Fleisch teurer verkaufen, weil sie es in der Trockenzeit deutlich später als ihre Konkurrenten auf den Markt bringen können.
Prof. Becker: Die Weltgemeinschaft muss mehr in die Rekultivierung von Böden investieren
Becker sieht in solchen extensiven Anbaumodellen nur eine Option, um die Bodenkrise zu entschärfen. „Daneben muss die Weltgemeinschaft in die Rekultivierung von Böden investieren, um Hunger und Verteilungskämpfen vorzubeugen“, mahnt er.
Für private Investoren gebe es dabei allerdings kein tragfähiges Geschäftsmodell. Doch für die Gesellschaften in den Dürrezonen der Erde sei einiges an Profit drin. Mit Kollegen aus der Klimaforschung haben die Hohenheimer moduliert, wie großflächiger Anbau das Mikroklima verändert. Die Modelle verheißen Gutes. „Wir können mit Jatropha-Plantagen Regen evozieren. Da das Wasser bei Platzregen einsickert, und nicht mehr oberflächlich abläuft, kann es auch vor Ort verdunsten“, hofft er.
Gut 1 Mio. ha Anbau in knochentrockenen arabischen Wüsten werde dort mittelfristig 50 l Niederschlag auf dem Quadratmeter bringen. Nach und nach könne so aus sandiger Öde wieder grünes Land werden. Ganz so, wie es die Forscher schon in der trockenen Hölle von Luxor gezeigt haben.
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