Kleiner Krebs baut Flöße aus Superklebstoff
Der Rankenfußkrebs Dosima fascicularis produziert ein schaumartiges Hydrogel, mit dem er sich an Treibgut heftet und mit Artgenossen zusammenschließt. Und er benutzt es als Floß, um sich durch die Weltmeere treiben zu lassen. Bremer und Wiener Wissenschaftler wollen diesen Superkleber aus dem Meer für den Einsatz in Medizin und Technik nutzen.
Es ist schon ein paar Jahre her, dass Ingo Grunwald am dänischen Nordseestrand spazierte und im angeschwemmten Treibgut kleine, muschelartige Krebstierchen entdeckte, die sich fest an Abfälle wie Eisstiele und Plastikfetzen geheftet hatten. Grunwald war eigentlich im Urlaub, doch als Biologe und Experte für biologische Klebstoffe am Bremer Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) machten ihn die Gebilde aus miteinander verklebten Schalentieren und Treibgut neugierig.
Er nahm einige von ihnen zur Untersuchung mit nach Bremen. Und wie sich herausstellte, produziert der Rankenfußkrebs mit Namen Dosima fascicularis, den er da eingesammelt hatte, einen biologischen Superklebstoff, der sich für den Einsatz in Medizin und Technik eignet.
Wie erstarrter Eischnee
Der luftig leichte Klebstoff härtet im Wasser aus und erinnert an erstarrten Eischnee. Er sei so fest, dass er sich kaum mit den üblichen Lösungsmitteln in seine Bestandteile zerlegen lasse, informierte Grunwald in einem Bericht der Fraunhofer Gesellschaft. Ausreichend produziertes Sekret kann am Stiel des Tieres zudem eine Art Floß bilden, das innen aus elastischen Blasen besteht und so viel Auftrieb hat, dass es den kleinen Krebs an der Wasseroberfläche hält. Damit ist Dosima fascicularis mobil und kann sich neue Lebensräume erschließen.
In einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF und in Kooperation mit dem IFAM haben Wissenschaftler an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien die Struktur des Bioklebstoffs, der als „Zement“ bezeichnet wird, durchleuchtet. Wie das Magazin scilog jetzt berichtet, konnten die Forscher nachweisen, dass sich Struktur und Menge des Dosima-Zements deutlich von dem aller anderen bekannten Arten unterscheiden.
Der Krebs produziert ein schaumartiges Hydrogel in relativ großer Menge. Das Sekret ist nicht nur extrem haftfähig, sondern auch elastisch und hat aufgrund seiner porösen Struktur eine stoßdämpfende Wirkung. Obendrein, so stellte das Wiener Team um Projektleiterin Waltraud Klepal fest, enthält das Material keine bekannten Toxine, ist also ungiftig.
Bandscheibe aus Bioklebstoff
Das alles macht den Superkleber aus dem Meer für Medizin und Technik interessant, überall dort, wo wasserfestes, dämpfendes Material gebraucht wird, heißt es bei scilog. „Porosität ist in der Medizin günstig als Matrix für das Zellwachstum“, nennt Klepal Anwendungsbeispiele. „In der Orthopädie könnte es als eine Art Dämpfungskissen, etwa als Bandscheibe eingesetzt werden.“
Bioklebstoffe werden in der Medizin bereits eingesetzt. Sie verschließen Schnittwunden und ersetzen Nägel und Schrauben bei Knochenbrüchen. Der Kleber der Miesmuschel wird bereits in der Zellbiologie eingesetzt. Die Gewinnung des Miesmuschelklebstoffs ist jedoch extrem aufwändig: Etwa 10.000 Muscheln sind nötig, um ein Gramm zu erhalten – „eine Menge, die ein einziges Dosima-Individuum spielend herstellt“, heißt es im oben genannten Bericht der Fraunhofer Gesellschaft.
Ob und wann der Superkleber des Rankenfußkrebses beim Menschen zum Einsatz kommen wird, ist allerdings offen. „Wir konnten in dem Projekt mit unserer Grundlagenforschung einen wichtigen Beitrag in Hinblick auf die Anwendung des Zements leisten“, so Klepal. „Die nächsten Schritte werden in Richtung genetischer Aufklärung und angewandte Forschung gehen.“
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