Ältester See Europas 15.06.2013, 12:00 Uhr

Kölner Geologen kehren mit einer Million Jahren alten Sedimenten vom Ohrid-See zurück

Der Ohrid-See in Mazedonien und Albanien ist der älteste See Europas. Er ist in seiner jetzigen Form weit über eine Million Jahre alt und beherbergt einen enormen Artenreichtum. Das haben Tiefbohrungen gezeigt, an denen Kölner Forscher beteiligt waren.

Im Schichtbetrieb wurde Tag und Nacht Sediment nach oben auf die Bohrplattform im Ohrid-See in Mazedonien befördert. Kölner Forscher bohrten bis in eine Tiefe von fast 570 Metern.

Im Schichtbetrieb wurde Tag und Nacht Sediment nach oben auf die Bohrplattform im Ohrid-See in Mazedonien befördert. Kölner Forscher bohrten bis in eine Tiefe von fast 570 Metern.

Foto: Scopsco/Niklas Leicher

„Ein paar Tage nach dem Abbau der Plattform wurde uns allen richtig klar, wie positiv die zwei Monate gelaufen sind. Die Menge und die Qualität der Bohrkerne sind grandios. Viel besser kann eine Tiefbohrung kaum laufen. Ich glaube der See wollte erbohrt werden.“ Der das sagt heißt Dr. Bern Wagner vom Institut für Geologie und Mineralogie der Universität Köln und ist der Projektleiter der Tiefbohrung des internationalen SCOPSCO-Forschungsprojekt am Ohrid-See in Mazedonien und Albanien. Das anspruchsvolle Tiefbohrungsprojekt hat das Ziel, die geologische und evolutionäre Geschichte des uralten Sees zu rekonstruieren.

Am 31. März ging es los, an diesem letzten Sonntag im März wurde die Plattform mit dem Bohr-Rigg vom Forschungsboot des Hydrobiologischen Institutes in Ohrid zum zentralen Becken des Sees geschleppt. Vier je 500 kg schwere Anker an hunderte Meter langen Stahlseilen fixieren die Plattform auf 250 Meter Wassertiefe. Am 1. April wurde die Ausrichtung abgeschlossen. Nach Tests begann am 3. April die 12-Stunden-Schichtroutine mit einem 15 Meter langen Bohrkern. Knochenarbeit für die Wissenschaft. Jetzt ist das Projekt beendet – und zwar erfolgreich.

Fast bis 570 Meter tief ins Sediment gebohrt

„Der Ohrid-See besteht in seiner heutigen Form seit deutlich mehr als einer Million Jahren“, sagt Wagner. „Das können wir nach der ersten Analyse der gewonnenen Bohrkerne bereits sagen. Auf ein genaues Alter wollen wir uns zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht festlegen.“ Es sei aber extrem unwahrscheinlich, dass sich unter den Kiesen und Geröllen an der Basis des Bohrkerns ältere Seesedimente finden, die auf die längere Existenz eines Sees an gleicher Stelle hinweisen.

An der DEEP-Bohrstelle konnten die Forscher bis in eine Sedimenttiefe von 568,92 Metern unter dem Seegrund vordringen, bevor grobe Kiesel und Geröll den Bohrkopf endgültig stoppten. Die bisher erzielten drei Bohrungen an der Bohrstelle DEEP erlauben den Wissenschaftlern einen fast lückenlosen Blick in die Vergangenheit der nördlichen Mittelmeerregion. „Informationen von Vulkanausbrüchen in Italien werden uns ermöglichen, Ascheschichten in den Kernen exakt zu datieren und gleichzeitig erlaubt uns der Kern umgekehrt, das Alter bisher unbestimmter Vulkanausbrüche zu benennen“, ergänzt Bernd Wagner.

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Durch das Bohren mehrerer paralleler Löcher wurden von 544,88 Metern Tiefe unter Seegrund tatsächlich Sedimente an die Oberfläche gebracht. Ein Ertrag von 95 Prozent. „Neben der großen erreichten Tiefe freuen wir uns vor allem über die überdurchschnittliche Qualität der sehr vollständigen Sedimentproben“, so Wagner. „Aufgrund dieses Materials werden wir geologische oder Umweltereignisse mit einer Auflösung von wenigen Jahrzehnten über einen Zeitraum von weit über einer Million Jahren rekonstruieren können.“

Fossil einer über eine Million Jahre alte Dreikantmuschel gefunden

Dass der knapp 350 Quadratkilometer große Ohrid-See in Mazedonien sehr alt ist, wusste man schon länger. Die Tiefbohrung von Wagners Team zeigen jetzt: Er ist der älteste See Europas. Er existiert in seiner heutigen Form schon weit länger als eine Million Jahre. Das erklärt, warum in ihm viele Tiere leben, die sonst nirgendwo vorkommen: Sie entwickelten sich lange Zeit isoliert von anderen Gewässern und deren Bewohnern.

Die Bohrplattform der Kölner Forscher im Ohrid-See.

Die Bohrplattform der Kölner Forscher im Ohrid-See.

Quelle: Scopsco/Chris Delahunty

In rund 400 Metern Tiefe stießen die Forscher auf das Fossil einer mehr als eine Million Jahre alten Dreikantmuschel. Die Existenz der gefundenen Muschel aus der Überfamilie Dreissenoidea lässt weitere Fossilien in den gebohrten Sedimenten vermuten. Die Fossilien werden mit der heutigen Fauna abgeglichen. Ein wichtiger Puzzlestein bei der Beantwortung der Frage, welchen Einfluss geologische und Umweltereignisse auf Artbildungsprozesse haben.

Der Ohrid-See gilt als einer der artenreichsten der Erde. Das Wasser des Sees wird nicht von einem Fluss gespeist, sondern vor allem aus zahlreichen kleinen Bächen, die in den Gebirgen am Seerand aus Quellen entspringen. Entstanden ist der fast 300 Meter tiefe See durch einen Grabenbruch entlang einer tektonischen Verwerfung. Schon früher vermutete man anhand geologischer Hinweise, dass der Ohrid-See bereits im Pliozän gebildet worden sein könnte, vor mehr als 2,6 Millionen Jahren.

Mehr als 2 Kilometer hochwertiges Sediment erbeutet

Insgesamt haben die Forscher bei ihren Tiefbohrungen im Ohrid-See 2100,62 Meter Sediment raufgeholt. Ein großer Erfolg für das Team um Wagner. Damit dürfte die Bohrung am Ohrid-See eines der erfolgreichsten See-Bohrprojekte der vergangenen 20 Jahren sein. Auch wenn die Wissenschaftler an den drei anderen Bohrstellen nicht so tief in den Untergrund vordringen konnten, wie bei der DEEP-Bohrstelle, so liegt der tatsächliche Bohrertrag bei über 90 Prozent. An der Bohrstelle Cerava war bei 175,71 Meter Schluss, bei Gradiste schafften sie 327,35 Meter und bei Pestani konnten sie 194,50 Meter tief in das Sediment unter dem Seegrund vordringen.

Die ersten 900 laufende Meter Sediment vom Ohrid-See waren bereits am 30. April heil in Köln angekommen, jetzt erreicht der zweite Kühlcontainer voller Bohrkerne die Universität in Köln. Den hatten die Geldgeber des Projekts bei einem Meeting am See Anfang Mai bewilligt und legten vor Begeisterung über die erfolgreichen Bohrungen gleich noch sieben Stellen für wissenschaftliche Hilfskräfte drauf.

Jetzt geht es an das „Schlachten“ der Bohrkerne

Jetzt will das Team um Wagner zügig damit beginnen, die Bohrkerne aus der SCOPSCO-Tiefbohrung zu „Schlachten“, wie sie das nennen und die ersten analytischen Arbeiten im Labor beginnen. „Sobald sich alle ein wenig von den arbeitsintensiven Wochen am Ohrid-See erholt haben, werden wir im August damit beginnen“, sagt Wagner. Im September ist ein Workshop in Pisa in Italien angesetzt, auf dem sich alle international beteiligten Wissenschaftler wiedersehen werden. Schon im Herbst dieses Jahres wollen die emsigen Geologen um Bernd Wagner die ersten Ergebnisse der Bohrungen und allererste Daten veröffentlichen.

Bohrungen sollen Strukturen der Erde und geologische Abläufe erschließen

SCOPSCO steht als Abkürzung für Scientific Collaboration On Past Speciation Conditions in Lake Ohrid. Die SCOPSCO-Tiefbohrung ist ein ICDP-Projekt. Das International Continental Scientific Drilling Program wurde 1996 nach dem Kontinentalen Tiefbohrprogramm der Bundesrepublik Deutschland gegründet. ES soll Geowissenschaftlern durch
Kontinentalbohrungen helfen, Strukturen der Erde und geologische Abläufe zu erschließen. Die Organisation hat ihren Sitz im Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ) mit Sitz im Wissenschaftspark Albert Einstein auf dem Potsdamer Telegrafenberg. Ordentliche Mitglieder des ICDP sind China, Deutschland, die USA, Japan, Kanada, Österreich, Norwegen, Polen, Tschechien, Island, Finnland, Südafrika, Italien, Spanien, Schweden, die Schweiz, Neuseeland, Frankreich und Israel.

 

Ein Beitrag von:

  • Detlef Stoller

    Detlef Stoller ist Diplom-Photoingenieur. Er ist Fachjournalist für Umweltfragen und schreibt für verschiedene Printmagazine, Online-Medien und TV-Formate.

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