Leben mit der Vergangenheit
Der Fotograf Arne Schmitt ist den Spuren deutscher Nachkriegsarchitekten nachgegangen. Viele von ihnen machten erst im Nazi-Deutschland Karriere und prägten nach dem Krieg westdeutsche Innenstädte mit ihrer Architektur. Eine Ausstellung im Sprengel Museum in Hannover.
Eine dreispurige Straße, eine schmale Fußgängerbrücke, dahinter die Ruine der Hamburger St. Nikolai Kirche. Und rechts daneben, ganz klein, das Hamburg-Süd-Hochhaus des Architekten Cäsar Pinnau, ein Verwaltungsbau aus Glas und Beton. Wäre nicht die Kirchenruine, könnte man die Szenerie mit einem Wort beschreiben: gesichtslos. Nicht gerade ein Fotomotiv. Und dennoch hängt ein Foto dieser Ansicht im Hannoveraner Sprengel Museum. Es ist eine Stadtansicht, wie sie die allermeisten Mittel- und Großstädte Westdeutschlands prägt. Von den Bürgern wird diese Form von Stadtarchitektur bestenfalls ignoriert.
Für den Fotografen Arne Schmitt hat genau diese Tatsache den Reiz einer Recherche ausgemacht, die sich weit über ein Jahr hinzog. Ob Hamburg, Köln, Hannover oder Wolfsburg – überall fand er die Spuren dieser funktionalen Architektur. Nachkriegsarchitektur, die von einigen wenigen Architekten geprägt wurde. Eben noch planten diese Männer für Albert Speer den Wiederaufbau der bombardierten Städte, nun taten sie dasselbe für die junge deutsche Demokratie. Die Ergebnisse seiner fotografischen Recherche sind noch bis zum März dieses Jahres in der Ausstellung „Wenn Gesinnung Form wird / Verflechtungen“ in der Sprengel Kunsthalle in Hannover zu sehen.
„Es ist interessant, wie ideologisch verbiegbar diese Architekten waren“, sagt Arne Schmitt. Viele schafften es, sich mühelos in die neue Situation zu fügen. Gerade Cäsar Pinnau ist hierfür beispielhaft. In den 20er-Jahren entwarf er die Inneneinrichtung des Zeppelins Hindenburg, im Dritten Reich war er 1938 für die Innengestaltung der Neuen Reichskanzlei zuständig. Er gehörte zu Albert Speers Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte. Nach dem Krieg baute er Geschäftsgebäude für den Reeder Aristoteles Onassis.
Arne Schmitt hat in Leipzig die Hochschule für Grafik und Buchkunst besucht. Er ist jetzt 28 Jahre alt. Das Buch zur Ausstellung ist seine Diplomarbeit. „Es steckt ein gewisser Teil der Härte der Nachkriegsjahre auch in der Architektur“, sagt Schmitt. Wohnungsnot, Bunkererfahrung – auch sie haben die Bauten dieser Jahre geprägt. Heute werde dieser Teil der Geschichte weitgehend ausgeblendet. „Es gibt einen Trend in der Bevölkerung, sich nach Altbauten und Stuck zu sehnen“, sagt Schmitt. Dabei gehörten auch die Bauten, die er in seinen Fotografien präsentiere, zur Lebenswelt.
Etwa die DKV-Zentrale in Köln, gebaut von Friedrich Wilhelm Kraemer. Kraemer war von 1939 an offizieller Vertrauensarchitekt der nationalsozialistischen Einheitsgewerkschaft Deutsche Arbeitsfront. Nach dem Krieg entwickelte er die Braunschweiger Schule, eine Architektur, die sich auf sachliche Funktionalität konzentrierte. 1966 stellte er die DKV-Zentrale Köln fertig. Einen burgartigen, wabenförmigen Komplex, der in seiner Zeit als hochmodern galt. Bei der Innengestaltung wurde die Büroorganisation mitgedacht, die Räumlichkeiten für Großraumbüros ausgelegt. Nach Außen steht der Bau immer noch für ein altes Machtverständnis: Getöntes Glas lässt die Menschen in seinem Innern nach außen, aber niemanden von außen nach innen schauen.
Leider haben es nur ein Teil der über 200 Bilder des Buches in die Ausstellung geschafft. Es sind 14 schmale Fotos. Etwas verloren hängen sie in einem riesigen Raum, der im verwinkelten Sprengel Museum gar nicht so leicht zu finden ist. Man sollte sich schon vorher in die Materie eingelesen haben, denn mit zusätzlichen einordnenden Informationen spart die Ausstellung.
Dabei machen gerade sie den Reiz des Themas aus: So handelt es sich bei der auf dem ersten Foto abgebildeten Hamburger Straße um die ehemalige Ost-West-Straße. Für diese Straße gab es nie ein historisches Vorbild. Planungen für sie stammten noch aus den Generalbebauungsplänen im Nazi-Deutschland. Sie sollte auf ein monumentales Gauforum zulaufen. Die Pläne wurden allerdings zum Ende des Krieges hin nicht mehr verfolgt.
Im Nachkriegsdeutschland wurde die Idee einer Ost-West-Achse wieder aufgegriffen, selbstverständlich ohne Nazibauten. Die Straße wurde durch eine Bombenschneise hindurch gebaut. Der Name selbst war ein Provisorium. Erst 1991 wurde ein Teilstück in Ludwig-Erhard-Straße umbenannt. Das östliche Teilstück heißt seit 2005 Willy-Brandt-Straße.
Arne Schmitts Stil ist durchgängig dokumentarisch. Die Fotos sind in Schwarz und Weiß gehalten, um die Struktur der Gebäude, Straßen und Plätze besser zur Geltung kommen zu lassen. Die Ansichten spielen nicht mit Komposition oder Perspektiven, sondern bilden im Wesentlichen die Gegenwart ab. „Ich habe keinen nostalgischen Zugang zu dieser Architektur“, sagt Arne Schmitt. Für ihn ist die Bedeutung von Architektur im Wandel der Zeit extrem variabel. Jede Generation kann sie sich wieder selbst, in neuen Zusammenhängen aneignen. Aus Sicht von Arne Schmitt ist dies eine bessere Lösung, als sie einfach zu ignorieren. HENNING ZANDER
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