Maschinenbauunternehmen Borsig startet in „Feuerland“
Die VDI nachrichten begeben sich auf Spurensuche nach den Wurzeln des Berliner Maschinenbauunternehmens Borsig, das in diesem Jahr sein 175. Gründungsjubiläum feiert und auf eine wechselvolle Geschichte zurückblickt.
Nördlich des ehemaligen Oranienburger Tors in Berlin, dort, wo heute die berühmte Friedrichstraße ihren Namen wechselt und zur Chausseestraße wird, lag einmal „Feuerland“. Vor knapp zwei Jahrhunderten qualmten hier die Schlote, brodelten die Kessel und glühte das heiße Gusseisen. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich in der Nachbarschaft der 1804 gegründeten Königlich Preußischen Eisengießerei das Zentrum des Berliner, nein preußischen, nein kontinentaleuropäischen Maschinenbaus.
In den 1820er-Jahren entstanden hier auf kostengünstigem ehemaligem Ackerland zahlreiche sogenannte Maschinenbauanstalten. Namen wie Schwartzkopff, Wöhlert, Egells und Pflug verbinden sich mit diesem Ort, den die Berliner Feuerland tauften, und mit dieser Epoche der Industrialisierung. Und ein Name ragt ganz besonders heraus: Borsig.
Maschinenbauunternehmen Borsig: Firmensitz in Jugendstilgebäude in Berlin
Groß und selbstbewusst prangt dieser Namenszug auf dem reich verzierten Jugendstilgebäude direkt gegenüber dem Dorotheenstädtischen Friedhof und der Bertold Brecht-Gedenkstätte in der Chausseestraße. Unter dem Namen ist die Bronzefigur eines stämmigen Schmieds zu sehen.
Dieser repräsentative Bau stammt indes aus der späteren Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und diente als innenstädtischer Verwaltungssitz des Industriekonzerns Borsig, der seine Produktionsanlagen längst nach Tegel im Norden der Stadt verlagert hatte. „Feuerland“ war am Ende des 19. Jahrhunderts Geschichte, fast alle Industriegebäude waren geschleift und durch Mietshäuser ersetzt worden.
Aber nur fast alle. Wer zu den Wurzeln des Unternehmens Borsig, das in diesem Jahr sein 175. Gründungsjubiläum feiert, vordringen möchte, wird im Hinterhof des Gebäudes Chausseestraße 8 fündig. Hinter schicken Neubaufassaden verbirgt sich ein hoher ehemaliger Industriebau aus Backstein.
Wo heute Werbeagenturen und Berliner Spitzengastronomie („Reingold“, Sarah Wiener) residieren, wurden einstmals Dampflokomotiven gefertigt. Eine weitere lang gestreckte, etwas geducktere Backsteinhalle findet sich auf dem Nachbargrundstück. Eine Plakette würdigt das heute von Ärzten und Medienfirmen genutzte Bauwerk: „Einziges erhaltenes Gebäude der Maschinenbauanstalt Egells, die hier von 1821-1886 bestand. Die Geburtsstätte des deutschen Maschinenbaus.“
Der erste Auftrag für Borsig: 117 000 Schrauben für die Berlin-Potsdamer Eisenbahn
Genau an diesem Ort begann auch die Karriere des Unternehmensgründers August Borsig (1804-1854). 1825 begann der gelernte Zimmermann in der Maschinenbauanstalt Egells ein Praktikum, bevor er 1827 Werkmeister in Egells‘ Neuer Berliner Eisengießerei wurde. Zehn Jahre darauf, 1837, gründete Borsig schließlich sein eigenes Unternehmen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Egells. Der erste Großauftrag machte es möglich: 117 000 Schrauben für die Berlin-Potsdamer Eisenbahn.
Die Eisenbahn und das damals kräftig beschäftigte Baugewerbe in der mit zunehmender Rasanz wachsenden Stadt Berlin entwickelten sich zu den bedeutendsten Geschäftsfeldern. Schon 1838 übernahm Borsig Reparaturaufträge für Lokomotiven, wobei es sich um Maschinen aus England und den USA handelte.
Der Lokomotivenbau in diesen Ländern galt seinerzeit noch als unerreicht. Borsig studierte die Loks und ihre Stärken und Schwächen genau. Schließlich konzipierte er seine eigenen. Am 24. Juni 1841 verließ die Lokomotive Nummer eins mit dem Namen „Borsig“ das Werk. Zwei Jahre später besiegte eine Borsig-Lok eine von Stephenson in England gebaute Lok bei der legendären „Choriner Wettfahrt“ – die Überlegenheit der englischen Lokomotiven war dahin.
Danach ging es jahrzehntelang nur aufwärts. Borsig belieferte zeitweilig praktisch monopolartig die preußischen Eisenbahnen. 1858 wurde die 1000. Lokomotive mit dem Namen „Borussia“ ausgeliefert. Damals waren die Industrieflächen in „Feuerland“ längst zu klein geworden. Um Kapazitäten zu erweitern, zog Borsig zuerst nach Moabit ans Spreeufer, später nach Tegel weiter, wo bis heute große Industriehallen und besonders das reich verzierte ehemalige Werkstor an Borsig erinnern. Inzwischen hatte Albert Borsig (1829-1878) das Unternehmen nach dem frühen Tod des Vaters übernommen.
Doch Borsig war nicht nur beim Lokomotivenbau aktiv. 1842 lieferte man eine 80 PS starke Dampfmaschine für das neue Pumpwerk in Potsdam, das die Wasserspiele und Springbrunnen im Park Sanssouci antrieb. Die wunderschöne Maschine in dem als Moschee gebauten Pumpwerk ist bis heute funktionsfähig und kann besichtigt werden. Wichtige Staatsaufträge waren auch die aus Eisen gefertigten Kuppeln für die Nikolaikirche in Potsdam und das Berliner Stadtschloss – beides bautechnische Meisterleistungen.
Borsig zählt im 19. Jahrhundert zu den modernsten Unternehmen seiner Art
Auch strategisch war das Unternehmen in der Mitte des 19. Jahrhunderts eines der modernsten seiner Art. Ab 1847 errichtete es am Moabiter Spreeufer ein eigenes Walzwerk, um vom Import von Walzblechen aus Großbritannien unabhängig zu werden. Und als Borsig 1854 einen Pachtvertrag für Erzgruben in Oberschlesien unterzeichnete, schloss das Unternehmen die gesamte Produktionskette von der Rohstoffgewinnung bis zum Fertigprodukt.
Die Gründerzeitkrise in den 1870er-Jahren bescherte dem Unternehmen einen ersten Einbruch, dem in den kommenden Jahrzehnten ein Auf und Ab folgen sollte. Doch der Firmenname Borsig lebt bis heute. Unter dem Dach der in Malaysia ansässigen KNM Group Berhad ist das Unternehmen mit rund 550 Beschäftigten und dem Stammsitz in Berlin-Tegel u. a. in der Membrantechnologie, der Kessel- und Kraftwerkstechnik sowie der Kältetechnik aktiv.
Borsig war in seiner Unternehmensgeschichte zweimal insolvent und wurde viermal übernommen. Unter dem Dach der Rheinmetall AG war Borsig im Zweiten Weltkrieg an der Rüstungsproduktion beteiligt und beschäftigte Zwangsarbeiter. Und unter dem Dach der Babcock AG war man 2002 mit einer der größten Insolvenzen der deutschen Nachkriegsgeschichte konfrontiert. Durch ein Management-Buyout gelang es, den Borsig-Unternehmensteil in Form einer GmbH weiterzuführen. Danach sind die Geschäfte so gut gelaufen, dass Betriebe in Zwickau und Flensburg übernommen wurden und die Angebotspalette von Borsig dadurch breiter wurde. Das Ende ist also offen bei diesem spannenden Kapitel der deutschen Industriegeschichte.
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