Meeresbiologen erforschen Leben des Krills unter der Eisdecke
In einer Tauchexpedition konnten erstmals die Verteilung und das Verhalten von jungem Krill unter dem winterlichen Eis der Antarktis beobachtet werden. Die garnelenähnlichen Krebse spielen eine Schlüsselrolle im antarktischen Ökosystem.
Um den Lebenszyklus einer kleinen, aber ökologisch sehr bedeutenden Art zu entschlüsseln, machten sich Forscher des Alfred-Wegener-Instituts, das die Polarforschung in Deutschland koordiniert, vor gut zwei Monaten auf den Weg in das winterliche Meereis der Antarktis. Gemeinsam mit 51 Wissenschaftlern und Technikern sowie 44 Besatzungsmitgliedern startete der Forschungseisbrecher Polarstern vom chilenischen Punta Arenas aus zum Weddellmeer und kehrte nun mit interessanten Ergebnissen ins südafrikanische Kapstadt zurück.
Wie überlebt der Krill, wenn es im Wasser scheinbar kaum Nahrung gibt?
Jeden Winter bildet das Meereis rund um die Antarktis auf einer Fläche von rund 19 Millionen Quadratkilometern eine feste Oberfläche. Dieses Gebiet, fast doppelt so groß wie die USA, ist jedoch wegen seiner Abgelegenheit und der unwirtlichen Bedingungen im Winter ein nahezu weißer Fleck auf der Forschungslandkarte. Die Polarstern ist eines der wenigen Schiffe weltweit, das auch im Winter in diese Region vordringen kann. Auf ihrer Expedition wollten die Forscher herausfinden, wie der Krill den Winter überlebt, wenn es im Wasser scheinbar kaum Nahrung gibt.
Der Antarktische Krill (Euphausia superba) ist eine garnelenähnliche Krebsart und spielt eine Schlüsselrolle im gesamten antarktischen Ökosystem. Um ihn unter dem Meereis aufzuspüren und genau zu erforschen, hatte Expeditionsleiterin Bettina Meyer vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, ein internationales Expertenteam aus australischen, südafrikanischen und türkischen Kollegen verschiedener Universitäten und Umweltinstituten zusammengestellt.
„Der Krill hat zusammengenommen vermutlich die höchste Biomasse aller wildlebenden Tiere auf der Welt,“ sagt Biologin Bettina Meyer. Er bildet die Nahrungsgrundlage für Pinguine, Robben und Wale. Das Krillvorkommen hat in den letzten Jahren jedoch deutlich abgenommen. Dieser Rückgang scheint einherzugehen mit Veränderungen im zeitlichen Auftreten und der Ausdehnung des Meereises in wärmer werdenden Teilen der Antarktis.
Um den Krill in seinem Lebensraum direkt zu beobachten, machte die Polarstern zweimal für zehn Tage an einer großen Eisscholle im Packeis fest. Dort errichteten die Forscher Tauchcamps, von denen aus sowohl Forschungstaucher als auch ein ferngesteuertes Unterwasserfahrzeug für Messungen und Videoaufnahmen unter das Eis tauchten. „Das Videomaterial ist wirklich außergewöhnlich“, sagt Meyer. „Wir konnten sehen, dass das Eis von unten sehr komplex sein kann und Höhlen und Terrassen bildet, wo sich eine Eisscholle über eine andere geschoben hat. Unter dem Eis gibt es nicht den einen Lebensraum, sondern eine Vielzahl von Mikrohabitaten“ erklärt Ulrich Freier, Leiter der achtköpfigen wissenschaftlichen Tauchgruppe.
Der Krillnachwuchs zieht sich tagsüber in schützende Eishöhlen zurück
Die Forscher konnten Krilllarven und juvenilen Krill in großen Schwärmen beobachten, die sich eng an das Eis hielten. An einigen Stellen erreichte der Krillnachwuchs eine Dichte von 10.000 Tieren pro Quadratmeter. „Die Verteilung der Tiere ist sehr unregelmäßig. Die Tiere scheinen die Höhlen und Terrassen zu bevorzugen, die durch überlagerte Eisschollen gebildet werden. Sie bieten geschützte Regionen, in denen die Larven fressen und sich vor Verdriftung schützen können“, sagt Meyer.
Tagsüber filmten die Forscher Krill, der direkt am Eis fraß. Nachts verließen die Tiere jedoch die Eisunterseite und hielten sich in den obersten 20 Metern in der Wassersäule auf – möglicherweise um sich vor Fraßfeinden zu schützen, die im Dunkeln an die Oberfläche kommen. „Wir konnten erstmals solche tageszeitlichen Wanderungen junger Stadien des Krills beobachten“, erläutert Mathias Teschke vom Alfred-Wegener-Institut. „Die Wanderungen in der Wassersäule zwischen Tag und Nacht deuten darauf hin, dass Krilllarven eine steuernde innere Uhr haben könnten“, vermutet der Chronobiologe. Weitere Aufschlüsse soll ihm die genetische DNA-Analyse von Larven bringen, die er zu diesem Zweck eingefroren mit ins Bremerhavener Labor bringen wird.
Die Ergebnisse der Expedition bestätigen die Bedeutung von Meereis für den Lebenszyklus des Krills. Laut Expeditionsleiterin Meyer könnte neben der Ausdehnung des Meereises auch der Zeitpunkt der Eisbildung eine entscheidende Rolle spielen: „Krill scheint auf Meereis angewiesen zu sein, das ausreichend früh im Jahr gebildet wird. Es kann einerseits hohe Mengen Biomasse einschließen und schiebt sich andererseits übereinander und bildet so die Mikrohabitate, die der Krill bevorzugt“. Bei der Prognose der Effekte des Klimawandels im Ökosystem Antarktis müssen die Forscher solche komplexen Wechselwirkungen mit berücksichtigen.
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