Das Warten auf die 10-Sekunden-Zahnbürste Amabrush soll 2019 ein Ende haben
Eine Zahnputz-Revolution aus Österreich verursachte vor zwei Jahren große Entzückung. Die Idee des Start-up-Gründers Marvin Musialek: eine vollautomatische Zahnputzmaschine, die in zehn Sekunden alle Zähne gleichzeitig putzt. Doch der Realitätscheck dürfte nicht nur Zahnputzmuffel ernüchtern.
Update vom 11.02.2019: Kunden kritisieren Reinigungsleistung
In einer früheren Version des Artikels konnten wir noch keine Kundenmeinungen berücksichtigen, weil wir dazu keine verlässlichen Quellen hatten. Das hat sich nun geändert, da uns viele unserer Leser ein Feedback zur Amabrush geliefert haben. Die Kommentare decken sich mit den ersten Kommentaren, die im Netz kreisen und lassen darauf schließen, dass die Amabrush nicht wie gewünscht funktioniert. Wir haben einige Rückmeldungen für Sie zusammengefasst:
- „Quasi keinerlei Reinigungsleistung“
- „Ich habe mit Plaque-Tabletten überprüft, ob meine Zähne [von Amabrush] gereinigt werden. Das werden sie nicht.“
- „Selbst wenn man sie 60 Sekunden im Power Mode verwendet, hat man keine effektive Zahnreinigung.“
- „Gravierend verändertes Produkt, dem zugesicherte Produkteigenschaften fehlen.“
- „Eine totale Enttäuschung. Es kommt nur aus 4 Düsen Zahnpasta, die gar nicht schäumt. Die Bürsten vibrieren gar nicht. Das Putzergebnis ist gleich Null.“
Mittlerweile hat sich eine eigene Facebook-Gruppe gebildet, deren Mitglieder sich einig sind: Amabrush kann nicht halten, was ihre Erfinder einst versprachen – und immer noch versprechen. Dabei gibt es mittlerweile sogar Experten, die von dem Produkt abraten. Andreas Moritz, ärztlicher Leiter der Universitätszahnklinik Wien beispielsweise sagte in „ORF Konkret“, einem Konsumentenmagazin des Österreichischen Rundfunks, er würde „keine Empfehlung für Patienten abgeben, das normale Zähneputzen durch die Amabrush zu ersetzen“.
Die Geschichte hinter Amabrush
Der Angriff auf unsere Zahnputzgewohnheiten kam 2017 von unerwarteter Seite. Nicht die Zahnbürstenindustrie hat sich Gedanken gemacht, wie wir dem ewigen Zahnputztrott entkommen könnten, sondern ein Jungunternehmer aus Österreich. Marvin Musialek hat Betriebswirtschaft in Wien studiert, am University College in London den Master gemacht und sich irgendwann vor dem Badezimmerspiegel die Frage gestellt, warum wir selbstfahrende Autos haben, aber immer noch von Hand unsere Zähne putzen müssen.
Drei Jahre später, so erzählte es Musialek dem Dental-Magazin Dental Buzz, habe er entschieden, selbst eine Art Zahnroboter zu entwickeln. Auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter war die Resonanz für Amabrush 2017 gewaltig. Das Finanzierungsziel lag bei 50.000 Euro und stand wenige Tage vor Ende der Kampagne bei mehr als 2,5 Millionen Euro. Unmittelbar danach verkündeten die Amabrush-Entwickler, dass sie die Bürste dank der unerwartet vielen Finanzmittel zusätzlich mit Bluetooth ausstatten und eine App für iOS und Android entwickeln wollten. Damit sollte man verschiedene Arten von Vibrationen einstellen, die Bürste auf längere Putzzeiten programmieren oder Zahncreme nachbestellen können.
Produktionsverzögerungen aufgrund hoher Nachfrage
Doch all das benötigt Zeit. Statt wie vorgesehen kurz nach Kampagnenschluss in die Produktion zu gehen und bereits im Dezember 2017 die ersten Zahnputz-Roboter auszuliefern, ging es für Amabrush erst Mitte 2018 in die Produktion. „Das vergangene Jahr war sehr turbulent“, berichtet Musialek. „Unser ursprünglicher Produktionsparnter ist abgesprungen, weil wir mit 37.000 Stück viel mehr Produkte verkauft haben als erwartet.“ Statt der ursprünglich anvisierten Handarbeit entsteht die 10-Sekunden-Zahnbürste Amabrush nun hauptsächlich automatisiert. „Seit 2018 produzieren wir jetzt und bis März werden die ersten Vorbestellungen ausgeliefert. Dann geht es in den regulären Betrieb“, freut sich der Jungunternehmer.
Investoren und Kickstarter-Euphoristen können sich also freuen: Die Amabrush hat sich zwar massiv verzögert, ist mittlerweile aber auf dem Weg zu den ersten Kunden. Trotzdem stimmen die ersten Kundenmeinungen nicht gerade optimistisch. Die Zahnbürste dürfte in einem entscheidenden Punkt nicht dem entsprechen, was der Hersteller versprach, als er Amabrush 2017 auf Kickstarter vorstellte: der Reinigungsleistung.
Optisch dagegen hat sich nur wenig verändert. Die Borsten des Mundstücks sind etwas filigraner geworden, das Handstück kommt heute eher einem digitalen Assistenten gleich denn einem Antistress-Ball und mit ihm hat sich die Form der Zahnpasta-Behälter verändert. Alles andere sei gleich geblieben, bestätigt Musialek auf Nachfrage. Während der Entwicklungszeit sei sogar ein neues Produkt hinzugekommen: Eine Reinigungsstation komplettiert nun das Sortiment, damit die Nutzer ihr Mundstück mit UV-Licht reinigen können.
Die Vision: Mit Amabrush wird jeder Zahn achtmal länger geputzt
Zum Putzen wird das Mundstück per Magnet mit dem Handstück verbunden, in dem die Technologie steckt. Von ihm gehen die Vibrationen aus, die die kleinen Bürsten in Schwingung versetzen. Ein Algorithmus berechnet unterschiedliche Arten von Vibrationen, damit die Borsten sich koordiniert miteinander bewegen und weder zu hart noch zu weich bürsten. Zwischen Mund- und Handstück befindet sich ein Reservoir für die Zahncreme. Die ist etwas flüssiger als herkömmliche Zahnpasta, damit sie durch winzige Kanäle im Mundstück mit einer Mikro-Pumpe an die richtigen Stellen befördert werden kann. Der Inhalt einer Kapsel soll für einen Monat reichen.
Der Einsatz der Zahnbürste dauert dann nur zehn Sekunden. Logisch, denn alle Zähne werden gleichzeitig geputzt. Aber, so rechnet das Amabrush-Team aus Zahnärzten, Biomedizin- und Elektroingenieuren vor, der Einsatz ist nicht nur wesentlich kürzer, er ist auch gründlicher. Geht man davon aus, dass jemand alle 32 Zähne hat und diese 120 Sekunden lang putzt (manuell oder elektrisch), kommen auf jede der drei Zahnoberflächen 1,25 Sekunden. Beim zehnsekündigen Einsatz mit Amabrush hingegen kommt jede Zahnoberfläche achtmal länger dran.
Amabrush-Mundstück umschließt alle Zähne
Der Name Amabrush, so Musialek, sei umgangssprachliches Englisch für „I’m a brush“, also die einfache Antwort auf die Frage nach der Funktion des neuartigen Gerätes. Und so simpel der Name, so einfach soll auch der Gebrauch sein. Immerhin gilt es, gerade die Zahnputzmuffel zu erreichen. „15% der Bevölkerung putzt abends gar nicht und wenn, dann viel zu kurz“, sagt Musialek. Wenn 10 Sekunden reichen würden, ließe sich daran vielleicht etwas ändern.
Das Mundstück besteht aus antibakteriellem Silikon und hat Ähnlichkeit mit einer Zahnspange. Wenn es in den Mund geschoben wird, umschließen die an beiden Seiten angebrachten kleinen Borsten, die in einem 45-Grad-Winkel zum Zahnfleischrand stehen, alle Zähne. Das Mundstück gibt es bis heute in nur einer Größe, obwohl Musialek und sein Team von Beginn an viel experimentiert und viele Kiefergrößen analysiert hatte. „Vor allem für Frauen scheint das Mundstück aber recht groß zu sein“, sagt Musialek heute und verspricht, in Zukunft auch kleinere Mundstücke anbieten zu wollen. Die Annahme, dass das flexible Material die Größenunterschiede ausgleichen könne, hat sich also nicht bewahrheitet.
Kosmetik- und Medizinprodukt mit Akku-Power
Aufgeladen wird der elektrische Aufsatz über einen internen Akku und eine drahtlose Qi-Energieübertragung. Die Akkuladung soll für 28 Reinigungen ausreichen. Bei einem 14-tägigen Urlaub könnte man also das Ladegerät zu Hause lassen. Wollen mehrere Personen im Haushalt die Amabrush verwenden, benötigt jeder sein eigenes Mundstück, aber es ist nur ein elektrischer Aufsatz nötig (es sei denn, man will gleichzeitig putzen). Das Mundstück sollte, wie eine herkömmliche Zahnbürste und Zahnbürstenaufsätzen auch, etwa alle drei bis sechs Monate ausgetauscht werden.
Von Beginn an hatte Musialek nicht nur den europäischen Markt, sondern insbesondere den US-amerikanischen im Visier. 50 % der Bürsten sollten im deutschsprachigen Europa und die andere Hälfte in den USA verkauft werden. Die Zulassung für beide Märkte liegen jetzt vor – eine für ein Kosmetikprodukt in den EU und eine für ein Medizinprodukt in den USA.
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