Mitten im ewigen Schnee Salat, 18 Gurken und 70 Radieschen geerntet
Das wird ein Festessen: Frischer Salat mit Radieschen und leckere Gurken – mitten in der Antarktis echte Delikatessen. Erst recht, wenn sie im ewigen Schnee gewachsen sind. Im Antarktis-Gewächshaus Eden-ISS, gleich neben der deutschen Forschungsstation Neumayer III, wurde gerade zum ersten Mal geerntet. Das Beispiel soll Schule machen und künftig frisches Gemüse auf Mond und Mars liefern.
Der Ingenieur Paul Zabel vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) muss sich ein wenig wie Zonen-Gaby nach dem Mauerfall fühlen, als diese mit einem Strahlelächeln eine Gurke in die Kamera hielt, die sie wie eine Banane geschält hatte. Der Text zum Bild der Satire-Zeitschrift Titanic: „Zonen-Gaby im Glück – Meine erste Banane“. Paul Zabel hat gleich 18 Salatgurken geerntet, dazu 3,6 Kilogramm Salat und 70 Radieschen. Und das im sicherlich unwirtlichsten Garten des Planeten. Sein Versuchsgewächshaus Eden-ISS steht nahe der Antarktisstation Neumayer III auf dem Elkström-Schelfeis im atlantischen Sektor der Antarktis.
Neumayer III ist die Basis der deutschen Antarktisforschung. Minus 20 Grad Celsius ist derzeit dort die Außentemperatur. Die Luft pfeift dem Ingenieur jeden Tag um die Ohren, wenn er die 400 Meter von der Station zum Gewächshaus stapft. Und die Sonne lugt auch nur noch knapp über den Horizont hervor, bevor sie bald ganz verschwunden ist. Dann herrscht finsterste Polarnacht.
Simulation des Nahrungsmittelanbaus auf Mond und Mars
Genau das sind die idealen Bedingungen, um den Nahrungsmittelanbau auf Mond und Mars zu simulieren. Denn bei Weltraummissionen kann ein geschlossenes Gewächshaus von Wetter, Sonne und Jahreszeit unabhängige Ernten ermöglichen. Darum geht es bei dem Projekt Eden-ISS: Astronauten in der Zukunft das Überleben auf unserem Trabanten und Nachbarplaneten zu gewährleisten. „Nachdem die Saat Mitte Februar ausgebracht war, hatte ich mit einigen unerwarteten Problemen zu kämpfen, wie kleineren Systemausfällen und dem stärksten Sturm seit mehr als einem Jahr“, erklärt Ingenieur und Antarktis-Gärtner Zabel vom DLR-Institut für Raumfahrtsysteme. „Glücklicherweise ließen sich all diese Dinge beheben und überstehen.“
Ernte von vier bis fünf Kilogramm Frischgemüse pro Woche
„Wir haben in den letzten Wochen vieles über die autarke Pflanzenzucht gelernt. Es zeigt sich, dass die Antarktis ein ideales Testfeld für unsere Forschung ist“, ergänzt Projektleiter Daniel Schubert. Inzwischen läuft es im Versuchsgewächshaus nach Plan. Es wachsen Radieschen, verschiedene Salate, Tomaten, Gurken, Paprika sowie verschiedene Gewürze wie Basilikum, Petersilie, Schnittlauch und Koriander. „Nur bei der Erdbeerzucht muss man sich noch etwas gedulden“, sagt Schubert. „Hier warten wir noch auf die erfolgreiche Aussaat.“ Im Mai soll das Versuchsgewächshaus im Vollbetrieb laufen. Pro Woche soll Zabel dann rund vier bis fünf Kilogramm Frischgemüse ernten können.
Der besondere Gärtnertrick, mit dem dieses ambitionierte Zuchtziel erreicht werden soll, heißt Aeroponik. Die empfindlichen Pflanzen werden ohne Erde steril kultiviert und computergesteuert mit einem Wasser-Nährstoff-Gemisch besprüht. Die Luft im antarktischen Gewächshaus haben die Forscher optimal an die Bedürfnisse der Pflanzen angepasst. „Der CO2-Gehalt wird gesteigert, mit speziellen Filtern reinigen wir die Luft von Pilzspuren und Keimen und betreiben eine Anlage zur Luftsterilisation mittels UV-Strahlung“, beschreibt Projektleiter Schubert den Aufwand. „Damit können wir eine rein biologische Züchtung ermöglichen, die ohne Insektizide und Pestizide auskommt.“ Das Gewächshaus hat einen vollständig geschlossenen Luftkreislauf wie auf einer Raumstation.
Künstliches Sonnenlicht aus blauem, roten und weißem Licht
Ingenieur Zabel betritt sein Reich jeden Tag durch eine Luftschleuse. Dank dieses geschlossenen Kreislaufes können die Forscher sämtliches Wasser, das die Nutzpflanzen an die Luft abgeben, wieder auffangen und den Pflanzen erneut zuführen. Auch für das Lebenslicht der Pflanzen haben die DLR-Forscher keine Mühe gescheut. Die künstliche Sonne der Polarnacht ist ein abgestimmter Cocktail aus blauem, roten und weißen Licht. In der Überlagerung schimmern die Behälter und die Pflanzen im geheimnisvollen Violett.
Auch für den Tag- und Nachtrhythmus haben die Forscher gesorgt. Die Pflanzen bekommen 16 Stunden Beleuchtung und können dann 8 Stunden lang in die Nacht eintauchen. Die LED-Lichtsysteme sind wassergekühlt und bieten volle Individualsteuerung. Jede LED und deren Lichtwellenlänge kann einzeln über einen Computer angesteuert werden, damit jede Pflanzenart individuell am besten wachsen kann.
„Versorgung mit Proviant erfolgt einmal jährlich um Weihnachten“
Auch wenn die Forschung beim Gemüseanbau in der Antarktis im Vordergrund steht, die Bereicherung des Speisezettels ist den Wissenschaftlern höchst willkommen. „Die Versorgung mit Proviant erfolgt einmal jährlich um Weihnachten herum mit dem Schiff. Dann werden etwa 60 Tonnen Lebensmittel und Getränke in sechs Containern angeliefert. So weit wie möglich wird Gemüse und Obst für die Isolationsphase im Winter als Tiefkühlware verwendet“, sagt der langjährige Stationsleiter Eberhard Kohlberg. Das dürfte an einem Ort mit dem Kälterekord von minus 50,2 Grad Celsius nicht schwer sein.
Nur Kartoffeln und Zwiebeln sind länger haltbar
In der sogenannten Sommersaison von November bis Februar erfolgt zusätzlich in drei bis vierwöchigen Abständen noch eine Versorgung mit frischem Obst, Gemüse und Salat aus Südafrika auf dem Luftweg. Die letzte derartige Frischproviantlieferung gelangt Ende Februar zur Station. Dann gibt es für Monate keinen frischen Salat oder frische Tomaten und Gurken mehr. Nur ein paar Obstsorten, die länger haltbar sind, reichen bis in den Mai. Lediglich Kartoffeln und Zwiebeln sind länger lagerbar.
Genau aus diesem Grund sind die vier bis fünf Kilogramm Grünzeug, die Gärtner Zabel schon bald jede Woche in die Forschungsstation trägt, so wichtig.
Hier lesen Sie, wie die Eden-ISS-Station schon 2016 geplant und gebaut wurde.
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