Musik 28.01.2011, 19:51 Uhr

Musikindustrie: Streaming statt Download

Bezahltes Herunterladen von Musik aus inzwischen weltweit 400 digitalen Plattenläden ist immer noch kein Massenmarkt. Dies beklagten viele Experten auf der MidemNet, dem Technologieforum der Musikmesse Midem in Cannes (23. bis 26. Januar 2011). Um das digitale Geschäft anzukurbeln, wurden an der Côte d“Azur zahlreiche neue Dienste vorgestellt, die sich um den boomenden Smartphone-Markt und vor allem um das Streaming von Musik auf Endgeräten jeder Art rankten.

„Wir müssen den Fans endlich geben, was sie wollen, und ihnen Musik bequem auf all die neuen, tollen Smartphones und Tablet-PCs bringen.“ Damit beschwor Ted Cohen, früherer EMI-Manager, Musikberater und langjähriger Conferencier der MidemNet, die gesamte Musikbranche gleich zu Beginn des Technologieforums in Cannes. Cohens Forderung stieß auf enormen Widerhall, denn das Geschäft rund um digitale Musik funktioniert nur leidlich und stellt die Branche alles andere als zufrieden.

Laut „Digital Music Report 2011“ des internationalen Verbands der Phonoindustrie (IFPI) wurden 2010 weltweit 3,4 Mrd. € mit dem Verkauf von Song-Dateien für iPod & Co. oder den PC eingenommen. Dies ist ein Plus von 6 % gegenüber dem Vorjahr. Damit kommt inzwischen fast ein Drittel der Umsätze aus dem Digitalgeschäft. Doch damit lassen sich die schwindenden Gesamterlöse nicht auffangen.

Zudem hatte sich die Branche nach jahrelangem Aufbau von Onlineläden mehr erhofft. Inzwischen können sich Musikfans weltweit aus knapp 400 Onlineshops mit 13 Mio. Titeln bedienen. Doch 95 % aller Downloads seien nach wie vor illegal, warnt der Phonoverband IFPI.

Viele Branchenvertreter zogen daraus in Cannes den gleichen Schluss: „Das 99-Cent-Download-Geschäft ist immer noch kein Massenmarkt“, brachte es Mark Mulligan, Vizepräsident des Beratungsunternehmens Forrester Research, auf den Punkt. Für ihn ist bezahltes Herunterladen von Songs oder Alben eine Übergangstechnologie. Alleine schon deshalb, weil die heute „12- bis 15-jährigen Digital Natives Musik nur noch als einen überall vorhandenen Soundtrack rund um ihre sozialen Netzwerke wahrnehmen“.

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Um die Herzen der Musikfans zurückzuerobern, empfahl Mulligan Machern künftiger Musikprodukte, die Grenzen proprietärer Erfahrungen von iTunes & Co. zu sprengen.

Ein Beispiel dafür ist die Software des Start-ups Doubletwist. Damit lässt sich bereits gekaufte Musik auch von iTunes konvertieren, so dass sie auf Smartphones bis hin zu Konsolen reibungslos abspielbar ist. Mit ein Grund, warum Saul Klein, Chef des Risikokapitalgebers Index Ventures, massiv in Doubletwist investiert.

Erfolgversprechend seien laut Mulligan auch interaktive Dienste, mit denen Fans Musik teilen, sie per Remix verändern oder in Spiele einbauen können.

Um neue Käuferschichten für Musik zu begeistern, stand für viele Branchenexperten der allgegenwärtige Zugriff auf Musik über das Internet ganz oben auf der Agenda. „174 Mio. Europäer haben heute mindestens zwei internetfähige Endgeräte“, skizzierte Mulligan eine neue Zielgruppe. Sie sei längst noch nicht erschlossen, will mit dem Herunterladen von Musik nicht viel Zeit vertun, sondern bequem Musik über das Internet hören.

In dieses Credo stimmte auch Terry McBride ein. Mit Musik aus der Internetwolke müssten Plattenfirmen und Musikverleger künftig ihre Umsätze erzielen, sagte der Chef der kanadischen Nettwerk Music Group. Musik aus Serverfarmen im Netz also, aus der „Cloud“.

Doch nicht aus der „Black Cloud“, einer Wolke, in der das Musikbusiness am Tropf der Technikkonzerne Apple und Google hängt. Beide Giganten glänzten durch Abwesenheit, schwebten jedoch gleichzeitig als Schreckgespenst über der MidemNet. Seit Langem sind ihre Pläne bekannt, Musikservices aus der Wolke anzubieten. Die Serverfarmen stehen längst bereit, Zukäufe im Musikbereich sind getätigt und eine Heerschar von Entwicklern arbeitet an der Software.

In Googles neuester Version des Betriebssystems Android sind Programme zur Synchronisation von Musik mit dem Server in der Wolke bereits angelegt. Einzig fehlt noch die Einigung mit den vier großen Plattenfirmen und Tausenden kleiner Labels über die Rechte, um Millionen von Songs auf Server zu legen. Von dort können sie dann von jedem Endgerät mit Internetzugang dieser Welt via Internet abgespielt werden – so die Vision.

Auf der MidemNet überraschte hingegen Sony mit einer Vorstufe des hauseigenen Streaming-Dienstes „Music unlimited“ als weiterem Bereich der Plattform namens „Qrio-
city“. Über diese Architektur bietet Sony bereits Videos und Filme an. „Music unlimited“ ist seit Dezember in Großbritannien und Irland zugänglich und startet nun in vier weiteren europäischen Ländern, darunter auch Deutschland und Frankreich. „Recht schnell kommen wir damit auch in den USA raus“, sagte Tim Schaaff, Präsident von Sony Network Entertainment.

Nutzer haben Zugriff auf 6 Mio. lizenzierte Songs aller Genres. Für 4 € im Monat können sie einige Dutzende Musikkanäle hören. Für knapp 10 € monatlich können Premiumkunden auf alle Titel zugreifen, einschließlich der ständig aktualisierten Top 100 verschiedener Länder.

Daneben wurde auf der MidemNet eine Reihe neuer Dienste für den boomenden Markt der Smartphones vorgestellt. Dazu zählte z. B. der deutsche Newcomer „Songpier“, der eine Beta-Version seiner webbasierten Plattform samt integriertem Redaktionssystem mitbrachte.

Darüber können Musiker ihre Audiodateien, Tourdaten oder Neuigkeiten auf Twitter, Facebook & Co verwalten, aktualisieren und „als App auf Smartphones sowie künftig auch Tablets aller Art senden“, erklärt Songpier-Chef Matthias Glatschke. „Von uns erhalten sie dafür kostenlos die technische Basis.“

NIKOLA WOHLLAIB

Ein Beitrag von:

  • Nikola Wohllaib

    Freie Journalistin in Berlin. Scherpunktthemen: Telekommunikation, Medien, Medienpolitik.

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