Neuer Supraleiter aus Kohlenstoff in der Entwicklung
Wissenschaftler am Berliner Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie haben eine Eigenschaft bei doppellagigem Kohlenstoff-Graphen entdeckt, die sie für die Herstellung einer neuen Supraleitung nutzen könnten.
Im sogenannten Graphen liegt Kohlenstoff in einer zweidimensionalen Struktur vor. Die Atome bilden ein Netz mit sechseckigen Maschen, also faktisch eine Honigwabenstruktur. Für Energieexperten ist dieses Graphen sehr interessant, weil sie Strom gut leiten. Am Bessy II, dem Ringbeschleuniger für Elektronen am Berliner Helmholtz-Zentrum, haben die Forscher nun herausgefunden, dass doppellagiges Graphen über einen Bereich verfügt, der als Supraleiter dienen könnte. Er transportiert Strom ohne Widerstand.
Neuer Supraleiter am Massachusetts Institute of Technology
Vor einigen Monaten hatten Erkenntnisse des Massachusetts Institute of Technology (MIT) bereits für Aufregung gesorgt. Mit einer doppelten Lage aus Graphen war es den dortigen Wissenschaftlern gelungen, einen Supraleiter zu erzeugen. Sie hatten die beiden Schichten gegeneinander verdreht, genau im Winkel von 1,1°. Auf diese Weise konnten sie die Bandstruktur der Elektronen verschieben. Die Bandstruktur beschreibt, wie sich Ladungsträger auf Energiezustände verteilen und welche Ladungsträger für den Transport der Energie zur Verfügung stehen. Durch den „magischen Winkel“ von 1,1° entstehen, vereinfacht gesagt, flache Bereiche in der Bandstruktur, in denen sich ein Teil der Ladungsträger frei bewegen kann. Energietransport wäre hier dementsprechend ohne Widerstand möglich. Solche verschobenen Doppellagen lassen sich jedoch nicht in der Massenproduktion herstellen. Der Aufwand wäre schlicht zu groß.
Ein Team aus Wissenschaftlern um Oliver Rader und Andrei Varykhalov hat nun mit Bessy II einen anderen Weg gefunden, diese flachen Bereiche in doppellagigem Graphen zu erzeugen. Man könnte auch sagen, sie haben solche Bereiche entdeckt und können ihre Entstehung gezielt fördern – ohne die zwei Schichten zu verdrehen. Sie lagen exakt übereinander.
Strom fließt ohne Verlust bei bestimmtem Energieniveau
Grundlage für die Testreihe waren Proben, die an der Technischen Universität Chemnitz nach einem speziellen Verfahren hergestellt wurden: Ein Siliziumkarbidkristall wird erhitzt, bis Siliziumatome von der Oberfläche verdunsten. Die verbliebenen Kohlenstoffatome bilden im Endeffekt zwei Lagen Graphen. Die untersuchten die Wissenschaftler nun mit der winkelaufgelösten Photoemissionsspektroskopie, die dazu dient, die elektronische Struktur von Festkörpern zu analysieren. Die Methode ist nicht neu, die großen technischen Möglichkeiten an Bessy II haben aber dazu geführt, dass die Messung mit extrem hoher Präzision durchgeführt werden konnte. Dabei fanden die Forscher in den Proben des doppellagigen Graphens tatsächlich einen flachen Bereich in der Bandstruktur – obwohl sie nicht damit gerechnet hatten.
Dazu muss man wissen, dass Graphen eine Lücke in seiner Bandstruktur aufweisen. Von der Größe solch einer Bandlücke hängt die Leitfähigkeit eines Materials ab. Leitende Materialien weisen gar keine Lücke zwischen den Energiebändern auf, während sie umgekehrt bei Stoffen ohne Leitfähigkeit besonders groß ist. Bei einer mittelgroßen Bandlücke handelt es sich um einen Halbleiter. Das ist bei Graphen der Fall. Genau diese Bandlücke des Graphens haben die Forscher detailliert analysiert – und dabei überraschenderweise einen flachen Bereich gefunden, wo der Strom ohne jeden Widerstand fließen könnte. Der tritt zwar nur bei einem bestimmten Energieniveau auf. Das konnten die Forscher jedoch künstlich erzeugen.
Energiewende vorantreiben durch Supraleiter?
Besonders wichtig war dabei für die Physiker die Erkenntnis, dass dieser flache Bereich offensichtlich durch Wechselwirkungen zwischen den Graphenschichten sowie zwischen Graphen und Siliziumkarbid-Gitter entsteht. „Wir können dieses Verhalten mit sehr wenigen Parametern vorhersagen und diesen Mechanismus nutzen, um die Bandstruktur gezielt zu beeinflussen“, sagt Oliver Rader. Das stellt die Produktion dieser flachen Bereiche in Aussicht und damit womöglich die Entwicklung eines neuen Supraleiters.
Supraleiter werden beispielsweise genutzt, um starke Magnetfelder zu erzeugen. Für den alltäglichen Stromtransport sind sie bislang unter anderem deswegen nicht geeignet, weil sie nur bei extremen Minustemperaturen funktionieren. Inzwischen werden zwar Rekorde von minus 86 oder sogar minus 70 Grad vermeldet, von Zimmertemperatur sind diese Werte jedoch noch weit entfernt. Das ist einer der Gründe dafür, warum im Bereich der Supraleiter viel geforscht wird – sollte es der Wissenschaft gelingen, langfristig einen Supraleiter zu entwickeln, der den Strom auch bei höheren Temperaturen ohne Verlust, transportiert, dann könnten enorme Energiemengen eingespart werden. Das wäre ein wichtiger Schritt für die Energiewende.
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