Ohne Wirbel geht’s: Schreiben in Wasser
Forschende aus Mainz, Darmstadt und Wuhan haben einen Ansatz entwickelt, mit dem sich Tintenpartikel in Wasser zu Linien und Buchstaben anordnen lassen. Das ermöglichte ihnen erstmals, in Wasser zu schreiben. Die Ergebnisse veröffentlichten sie in der renommierten Fachzeitschrift Small.
Die meisten werden es schon beobachtet haben: Gibt man Farbstoff in einen Wasserbehälter, vermischt sich dieser innerhalb kürzester Zeit mit dem Wasser und färbt dieses ein. Dies geschieht durch Verwirbelungen, so dass es praktisch unmöglich ist, dass die Farbpartikel dort bleiben, wo man sie haben möchte. Aus diesem Grund können Sie auch nicht mit einem herkömmlichen Füller in Wasser schreiben. Er verursacht zu große Wirbel beim Eintauchen. Wie lässt sich das umgehen? An dieser Frage arbeiteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Guttenberg-Universität (JGU) Mainz, der TU Darmstadt und der Universität Wuhan in China.
Bislang war Schreiben nur auf fester Oberfläche möglich
Schreiben ist eine uralte Kulturtechnik, deren Wurzeln weit in die Vergangenheit zurückreichen. Schon vor Jahrtausenden verewigten die Menschen ihre Gedanken, indem sie Schriftzeichen in Steinplatten ritzten. Auch wenn die Schriftsysteme im Laufe der Zeit immer weiter verfeinert wurden, ist ein Grundprinzip gleichgeblieben: Von der antiken Keilschrift bis zur modernen Schrift werden feste Oberflächen wie Steintafeln oder Papier genutzt, um die Zeichen dauerhaft festzuhalten.
In Wasser wurde bislang noch nicht geschrieben, denn die bereits erwähnten Verwirbelungen sorgen dafür, dass die Farbpartikel nicht an Ort und Stelle bleiben. Hier kommt die Reynolds-Zahl ins Spiel. Sie gibt an, dass die Zahl der entstehenden Wirbel umso kleiner wird, je kleiner das sich bewegende Objekt ist. Würde es dann ganz einfach mit einem winzigen Stift funktionieren? Theoretisch schon, doch in der Praxis bräuchte man ein großes Reservoir an Tinte und das würde die Vorteile des kleinen Schreibers zunichtemachen. Das Forscherteam hat eine bessere Lösung gefunden.
Mit Kügelchen aus Ionentauscher-Material funktioniert es
Da es mit einem herkömmlichen Stift nicht klappt, in Wasser zu schreiben, suchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach einer Alternative: „Wir geben die Tintenpartikel direkt ins Wasser und nutzen als `Stift` ein 20 bis 50 Mikrometer großes Kügelchen aus Ionentauscher-Material“, erläutert Prof. Dr. Thomas Palberg von der JGU. Dieses winzige Kügelchen besitzt Fähigkeit, ohne Verwirbelungen durch das Wasser zu gleiten.
Das eigentlich Interessante ist jedoch seine chemische Wirkung: Es tauscht Restsalze im Wasser gegen Protonen aus und verändert so lokal den pH-Wert der Flüssigkeit. Wenn das Kügelchen über den Boden eines Wasserbades rollt, hinterlässt es eine für das menschliche Auge unsichtbare Spur mit einem niedrigeren pH-Wert. Diese saure Spur zieht Farbpartikel an, so dass der Weg des Kügelchens durch eine feine Linie markiert wird. Diese Linie ist nur wenige hundertstel Millimeter breit und entspricht dem Bereich des jeweils niedrigsten pH-Wertes.
Durch Kippen des Wasserbads enstehen Linien und Buchstaben
Um Buchstaben in einem Wasserbad zu schreiben, muss das Gefäß nur so gekippt werden, dass die Kugel auf der vorgesehenen Bahn rollt. „Für die ersten Versuche haben wir das Wasserbad händisch bewegt, später haben wir eine programmierbare Wippe konstruiert“, erklärt Palberg. „So haben wir in einem Wasserbad von der Größe einer Ein-Euro-Münze beispielsweise das Haus vom Nikolaus gemalt – so groß wie der I-Punkt einer 18 Punkt-Schrift – und dieses mit dem Mikroskop angesehen“, so Palberg weiter.
Doch das ist erst der Anfang. Wie begleitende Simulationen bestätigten, ermöglicht das System das Schreiben in durchgehenden Linien unterschiedlichster Form. Sogar Unterbrechungen zwischen einzelnen Buchstaben lassen sich problemlos erzeugen, indem zum Beispiel der Ionenaustausch gezielt mit Licht aktiviert oder deaktiviert wird. Erstaunlicherweise erlaubt die Methode sogar das Löschen und Korrigieren der erzeugten Buchstaben.
Die Ionentauscher-Kugeln waren erst der Anfang
Professor Dr. Benno Liebchen und Lukas Hecht von der Technischen Universität Darmstadt haben ein theoretisches Modell entwickelt, das den neuartigen Mechanismus erklärt, der dem Schreiben in Wasser zugrunde liegt. Laut Liebchen, der die Arbeitsgruppe Theorie der Weichen Materie am Institut für Physik der Kondensierten Materie (IPKM) leitet, bestätigen Simulationen, dass der Mechanismus universell anwendbar ist. Das bedeutet, dass er in Zukunft auf vielfältige Weise genutzt werden könnte.
„Als ‚Stift‘ kommen neben Ionentauscher-Kugeln zum Beispiel auch Teilchen, die von Laserlicht erhitzt werden, oder sogar individuell gesteuerte Mikroschwimmer infrage“, erklärt Liebchen. Er sieht großes Potenzial in dieser Technologie, insbesondere in der Möglichkeit, hochparalleles Schreiben in Wasser zu realisieren. Darüber hinaus könnte der Mechanismus in Zukunft dazu genutzt werden, selbst komplexeste Konzentrationsmuster in Flüssigkeiten zu erzeugen.
Mit „klebriger“ Tinte auch längere Fixierung der Tinte möglich
Theoretische Untersuchungen zeigen, dass diese innovative Schreibtechnik keineswegs auf die Bodenfläche eines Wasserbehälters beschränkt ist. Vielmehr handelt es sich um einen universellen Effekt. Um die geschriebenen Linien über einen Zeitraum von mehreren Minuten sichtbar zu halten, ist lediglich ein schneller Transport der Tinte zur Schreibspur und ein auf Diffusion basierendes Auswaschen erforderlich. Durch die Verwendung von UV-empfindlicher, „klebriger“ Tinte könnte die Schrift sogar noch länger fixiert werden.
Die Methode bietet zahlreiche Möglichkeiten für zukünftige Anpassungen, zum Beispiel durch Variation des Schreibinstruments, der Tintenart oder der Steuerungsmethode. Denkbar wäre sogar die Verwendung fluoreszierender Tinte oder mehrerer leichter Schreibkugeln, die mit Hilfe von Laserpinzetten in dreidimensionalen Bahnen durch das Wasser manövriert werden könnten. Damit ließen sich nicht nur selbstleuchtende Schriftzüge erzeugen, sondern auch Flüssigkeiten dreidimensional strukturieren. „Der Ansatz ist sehr robust und extrem modular“, bestätigt Palberg, „und lässt sich in die verschiedensten Richtungen optimieren.“
Ein Beitrag von: