Peter Behrens: Aus Erfahrung gut
Im Zusammenhang mit den vielen musealen Ehrungen des belgischen „Alleskünstlers“ Henry van de Velde zu seinem 150. Geburtstag besann sich die Kunsthalle Erfurt auf einen kaum noch bekannten, aber mit gleichen Talenten ausgestatteten zeitgenössischen Künstlerkollegen: Peter Behrens, dessen Geburtstag sich zum 145. Mal jährt.
Die letzte monografische Ausstellung wurde Peter Behrens vor mehr als 30 Jahren im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg ausgerichtet, so ist es längst an der Zeit, den im Schatten van de Veldes rezipierten, genialen Gestalter und sein Œuvre neu zu entdecken und die ihm gebührende Wertschätzung zukommen zu lassen. Denn Behrens fiel am Beginn des 20. Jhd. in den Disziplinen Industriedesign und -architektur ein Alleinstellungsmerkmal zu.
Dank der unermüdlichen Leidenschaft des Hamburger Privatsammlers Udo Schröder kann in Erfurt das nahezu vollständige Werk präsentiert werden.
Als Emil Rathenau 1887 die „Allgemeine Eletricitaets-Gesellschaft“ in Berlin gründete, spielten ästhetische Aspekte wie Einklang von Form und Funktion bei der industriellen Produktion eine marginale Rolle. Das änderte sich jedoch schlagartig, als die AEG 1907 das Multitalent und den Mitbegründer des deutschen Werkbundes, Peter Behrens (1868-1940), zum künstlerischen Beirat berief.
Ausgebildet als Maler und Grafiker in Karlsruhe und Düsseldorf entdeckte der Künstler bald ein umfangreicheres Arbeitsfeld. Er profilierte sich als Schrift- und Buchgestalter, als Designer auf allen vorstellbaren kunsthandwerklichen Gebieten und als Architekt.
Auch wirkte er in leitenden Positionen an unterschiedlichen Lehranstalten mit, wie dem Bayerischen Kunstgewerbemuseum Nürnberg, als Direktor der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule und führte die Meisterklassen für Architektur an der Wiener Akademie und für Baukunst an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin.
1899 durch Großherzog Ernst Ludwig II. von Hessen an die Darmstädter Künstlerkolonie Margarethenhöhe berufen, präsentierte er 1901 auf der Ausstellung „Ein Dokument Deutscher Kunst“ der Öffentlichkeit sein selbst errichtetes Wohnhaus, für das er auch die gesamte Inneneinrichtung gestaltet hatte. Es galt als eines der bedeutendsten Kunstwerke des Jugendstils und Behrens als einer seiner Protagonisten.
Dennoch zeichnete sich bereits hier der Übergang von der floral-geschwungenen Linie zu rechtwinklig-geometrischen Elementen ab, die seinen Objekten fortan ein konstruktiv-modernes Aussehen verleihen.
Als wunderbares Beispiel kann das auf Initiative des Kunstsammlers und großen Mäzens Karl Ernst Osthaus 1907 erste in Preußen errichtete Krematorium in Hagen genannt werden. Noch heute besticht es durch seine schlichte, geradlinig und modern wirkende Form sowie durch seine Schwarz-Weiß-Kontraste im Innenraum.
Für die AEG war dieses Allroundgenie ein Glücksfall. Im Berliner Tageblatt vom 29. August 1907 nahm Behrens unter dem Titel „Kunst in der Technik“ Stellung zu seinen künstlerischen Aufgaben bei der AEG. Dabei formulierte er die „Industriekunst“ und plädierte für eine allgemeine Geschmackskultur für alle gesellschaftlichen Schichten.
Er war überzeugt davon, dass es der Industrie obliege, „durch das Zusammenführen von Kunst und Technik Kultur zu schaffen“.
Eine solche Unternehmenskultur realisierte der „Autodidakt“, als den er sich selbst bezeichnete, mit der AEG. Die Werbebotschaft der Firma „Perfekt in Form und Funktion“ paarte sich auf geniale Weise mit dem obersten Gestaltungsprinzip des Künstlers: „Souveräne Beherrschung der Technik“, verbunden mit dem „Selbstbewusstsein der einzelnen Form“.
Peter Behrens war der erste Industriedesigner, der das Firmenlogo entwarf und das optische Erscheinungsbild eines Unternehmens von den Druckerzeugnissen über die Produktpalette bis hin zur Architektur der Fabrik- und Verwaltungsbauten einheitlich gestaltete und ihm zu einer bis dahin nicht gekannten „Corporate Identity“ verhalf.
Viele Sammlerstücke grafischer Art und elektrische Gebrauchsgüter wie Wasser- und Teekocher, Wanduhren, Tischventilatoren und Variationen von Bogenlampen verdeutlichen dies in der Ausstellung.
Gleich zu Beginn seiner Umsiedlung von Düsseldorf 1907 gründete Behrens ein Architekturbüro in Neubabelsberg bei Potsdam, in dem ihn junge Architekten von späterem Weltruf wie Mies van der Rohe, Gropius und Le Corbusier bei seinen zahlreichen Bauprojekten unterstützten.
Erwähnenswert sind neben vielen für die AEG geschaffenen Fabriken besonders die Turbinenfabrik in Berlin-Moabit sowie die Ausstellungshallen und -pavillons, aber auch die Arbeitersiedlungen. Mehrere Privatvillen und Landhäuser entstanden.
Noch erhaltene Gebäude sind das oft umgebaute Gesellenhaus an der Sternstraße in Neuss (1910), das Verwaltungsgebäude der Mannesmannröhren-Werke AG in Düsseldorf (1911-1912), das demnächst wieder der nordrhein-westfälischen Landesregierung Platz bietet, die kontrovers diskutierte Kaiserliche Deutsche Botschaft in St. Petersburg (1912-1913), das Verwaltungsgebäude der Continental in Hannover (1913), der Verwaltungsbau der Farbwerke Hoechst in Frankfurt (1920-1924), der als eines der Hauptwerke expressionistischer Architektur gilt, sowie das bereits am Neuen Bauen orientierte Zentrallager der Gutehoffnungshütte in Oberhausen (1921-1925), das heute das Zentraldepot des Industriemuseums des Landschaftsverbands Rheinland beherbergt. Behrens hielt das Hauptlagerhaus für sein bestes Gebäude, „an dem es mir gelungen ist, meine Kunstanschauung am klarsten zu verwirklichen“.
Ebenso die Wohnhäuser der Weißenhof-Siedlung in Stuttgart (1927) und die Tabakfabrik in Linz (1929-1933) sind dem Neuen Bauen verpflichtet.
Peter Behrens Architektur wird durch zeitgenössische Archivfotos und aktuelle Bilder des Berliner Architekten und Fotografen Carsten Krohn repräsentiert, die den Besucher bereits am Eingang empfangen.
Die Ausstellung ist „rückwärts“ aufgebaut: Den Bauprojekten folgt der Zeitraum bei der AEG von 1907 bis 1914, an den sich das nahezu vollständige kunstgewerbliche Œuvre sowie Möbel und Bücher anschließen, ergänzt durch ausgewählte Vergleichsarbeiten weiterer namhafter internationaler Künstlerkollegen. Den Abschluss bildet Behrens’ druckgrafisches und malerisches Werk, wobei seine Jugendstil-Ikone „Der Kuss“ nicht fehlen durfte. ECKART PASCHE
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