Quantensprung 11.03.2025, 12:30 Uhr

Physiker entschlüsseln rätselhafte Quanten-Phasenübergänge

Erstmals wurden spezielle Quanten-Phasenübergänge experimentell nachgewiesen – mit möglichen Anwendungen für Quantencomputer und hochpräzise Sensoren.

Quantencomputer

Physiker konnten erstmals die Phasenübergänge von Quantensystemen experimentell nachweisen. Kommen nun bessere Quantencomputer und Sensoren?

Foto: PantherMedia / Funtap

Phasenübergänge sind uns aus dem Alltag bekannt – beispielsweise, wenn Wasser zu Eis gefriert. In Quantensystemen verlaufen diese jedoch oft radikaler. Besonders relevant sind sogenannte dissipative Phasenübergänge (DPTs), bei denen ein System nicht einfach einen klassischen Zustand verlässt, sondern durch Wechselwirkungen mit der Umgebung neue Quantenzustände annimmt.

Ein Forschungsteam um Professor Pasquale Scarlino von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) hat nun erstmals sowohl einen DPT erster als auch zweiter Ordnung experimentell nachgewiesen. Mithilfe eines supraleitenden Kerr-Resonators konnten sie den Einfluss von Quantenfluktuationen und kritischer Verlangsamung untersuchen – mit potenziellen Auswirkungen auf Quantencomputer und Sensoren.

Unterschiedliche Ordnungen der DPTs

DPTs können in zwei Haupttypen unterteilt werden:

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  • Erste Ordnung: Hier erfolgt der Übergang abrupt. Das System befindet sich zunächst in einem stabilen Zustand, bis es durch eine externe Störung oder eine spezifische Parameteränderung gezwungen wird, schlagartig in einen anderen Zustand zu wechseln. Ein anschauliches Beispiel dafür ist das Umlegen eines Lichtschalters: Das System verharrt in einem Zustand (ein- oder ausgeschaltet), bis eine kritische Grenze überschritten wird, wodurch es sofort in den anderen Zustand übergeht. Dieses Verhalten wird oft von Hysterese begleitet, d. h. das System „merkt“ sich seine vorherige Konfiguration und bleibt unter bestimmten Bedingungen vorübergehend in einem metastabilen Zustand, bevor es in die neue Phase wechselt. Dies ist ein entscheidender Mechanismus zur Stabilisierung von Quantensystemen und spielt eine Rolle in der Steuerung von Quantenprozessen.
  • Zweite Ordnung: Im Gegensatz dazu verlaufen diese Phasenübergänge sanfter. Der Übergang geschieht nicht abrupt, sondern schrittweise, indem ein Parameter verändert wird und das System kontinuierlich seine Eigenschaften anpasst. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf die Symmetrieeigenschaften des Systems: Eine zuvor bestehende Ordnung kann verloren gehen oder es kann eine neue entstehen. Ein bekanntes Phänomen im Zusammenhang mit DPTs zweiter Ordnung ist das sogenannte „Squeezing“. Dabei werden Quantenfluktuationen in bestimmten Variablen des Systems reduziert, was die Messgenauigkeit erheblich verbessern kann. Solche Prozesse sind besonders für Quantencomputer von Interesse, da sie helfen könnten, Rauschprozesse zu minimieren und die Speicherung von Quanteninformationen zu optimieren.

Das Verständnis dieser Phasenübergänge ist nicht nur für die Grundlagenforschung von Bedeutung. Sie könnten auch praktische Anwendungen ermöglichen, etwa in der Quanteninformatik und Sensorik. Insbesondere in Quantencomputern könnte das gezielte Nutzen von DPTs zweiter Ordnung helfen, fehlerresistente Quantenbits zu entwickeln. In der Quantensensorik könnten DPTs erster Ordnung genutzt werden, um Systeme zu entwerfen, die zwischen zwei extrem sensitiven Zuständen wechseln können und so als präzise Messinstrumente dienen.

Experimenteller Nachweis durch einen supraleitenden Kerr-Resonator

Bisher blieb der direkte experimentelle Nachweis von DPTs eine Herausforderung. Das Team um Scarlino entwickelte dazu einen supraleitenden Kerr-Resonator, ein hochsensibles Quantensystem. Dieser Resonator wurde speziell so modifiziert, dass er einen Zwei-Photonen-Antrieb erfuhr. Dadurch war es möglich, gezielt Photonenpaare in das System einzuspeisen und dessen Reaktionen zu beobachten.

Um die Phasenübergänge zu untersuchen, veränderten die Forschenden systematisch verschiedene Parameter wie die Verstimmung und die Antriebsamplitude. Die Experimente wurden unter extremen Bedingungen nahe dem absoluten Nullpunkt durchgeführt, um jegliches Störrauschen auszuschalten.

Erkenntnisse aus den Experimenten

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass sowohl ein DPT erster als auch zweiter Ordnung nachgewiesen werden konnte:

  • Beim DPT zweiter Ordnung trat das sogenannte „Squeezing“ auf. Dabei reduzierten sich die Quantenfluktuationen unter das natürliche Hintergrundrauschen des Vakuums.
  • Der DPT erster Ordnung zeigte hingegen ausgeprägte Hysteresezyklen, bei denen das System in zwei unterschiedlichen Zuständen existieren konnte, abhängig von der jeweiligen Parameterwahl.

Mathematische Modellierung und theoretische Bestätigung

Die Forschenden kombinierten anschließend ihre experimentellen Beobachtungen mit mathematischen Techniken. Besonders die Analyse mithilfe des Liouvillian-Superoperators, eines Werkzeugs zur Modellierung komplexer Quantenprozesse, spielte dabei eine entscheidende Rolle. Dadurch konnten sie theoretische Vorhersagen mit hoher Präzision bestätigen.

Eine weitere wichtige Beobachtung war die sogenannte kritische Verlangsamung. Dabei reagierte das System in der Nähe des Phasenübergangs immer langsamer auf Änderungen. Dies ist ein bekanntes Phänomen bei Phasenübergängen und könnte in Zukunft gezielt genutzt werden, um Quantenmessungen präziser zu gestalten.

Bedeutung für Quantencomputer und Sensoren

Das Verständnis von DPTs hat weitreichende praktische Konsequenzen. Besonders in der Quanteninformatik könnte das Wissen um diese Übergänge genutzt werden, um stabilere Qubits zu entwickeln oder die Fehlerkorrektur zu verbessern. In der Quantenkommunikation könnte die gezielte Manipulation dieser Phasenübergänge genutzt werden, um Quantennetzwerke effizienter zu gestalten und die Kohärenzzeiten von Quanteninformationen zu verlängern.

Auch Quantensensoren, die äußerst empfindlich auf kleinste Umweltveränderungen reagieren, könnten durch diese Erkenntnisse optimiert werden. Beispielsweise könnten DPTs genutzt werden, um Sensoren mit höherer Auflösung zu entwickeln, die feinste Magnetfeld- oder Temperaturschwankungen messen können. Dies würde Anwendungen in der medizinischen Diagnostik, Materialwissenschaft und geophysikalischen Messungen verbessern.

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Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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