Puppe im Windkanal revolutionierte Skispringen
Heute beginnt die Vierschanzentournee mit dem Auftaktwettbewerb in Oberstdorf. Die Sprungweiten, die Athleten wie Severin Freund heute erzielen waren bei der ersten Vierschanzentournee im Jahr 1953, die in Partenkirchen ausgetragen wurden, noch kein Thema. Das Geheimnis der heutigen Sprungweiten steckt in einer Analyse der Faktoren Geschwindigkeit, Technik, Körperhaltung und Schanzenprofilen.
Gestern Nachmittag um 15.30 Uhr war es in ganz Oberstdorf plötzlich gespenstisch still: Ein totaler Stromausfall legte den Auftakt zur aktuellen 64. Vierschanzentournee lahm. Rund um die Schattenbergschanze ging gar nichts mehr. Das Flutlicht funktionierte nicht, ebenso wenig die Sprecheranlage und der Springerlift. Die Journalisten im Presseraum hockten bei Kerzenlicht vor ihren Laptops im Akkubetrieb. Die Zuschauer schunkelten in der einsetzenden Dämmerung zu den Klängen einer Blaskapelle. Der Abbruch der Qualifikation stand im Raum.
„Er hat eine richtig gute Ausgangsposition“
Doch nach 75 Minuten war alles wieder gut, die Qualifikation begann. Severin Freund war mit einem Sprung über 134,5 m als Zweiter hinter Top-Favorit Peter Prevc aus Slowenien bester deutscher Springer. Angeführt von Severin Freund gehen somit heute zehn deutsche Skispringer beim Auftaktwettbewerb der Vierschanzentournee in Oberstdorf an den Start. „Severin hat den Absprung noch nicht optimal getroffen, ist aber lässig geflogen“, stellte Bundestrainer Werner Schuster erleichtert fest. „Er hat eine richtig gute Ausgangsposition. Das hatten wir lange nicht.“
Flugzeugingenieur Reinhard Straumann wollte es wissen
Das Wissen über den optimalen Absprung und über die optimale Körperhaltung geht auf den Schweizer Flugzeugingenieur und ehemaligen Skispringer Reinhard Straumann zurück. Er beschäftigte sich ab 1926 wissenschaftlich mit dem Skispringen und untersuchte die Beziehung von Geschwindigkeit, Technik, Körperhaltung und Schanzenprofilen.
Dazu führte er Messungen bei Sprungveranstaltungen durch und experimentierte mit Springerpuppen, die er im Göttinger Windkanal der Aerodynamischen Versuchsanstalt simuliertem Schanzenwind aussetzte.
„Weg vom Bauchgefühl-Springen“
„Straumanns Windkanaluntersuchungen waren eine zukunftsweisende Entwicklung weg vom Bauchgefühl-Springen hin zu einer wissenschaftlich fundierten Technik“, sagt Dr. Gerd Falkner, Ski-Historiker und Direktor des Deutschen Skimuseums. Mit einer eigens hergestellten etwa 50 cm großen Puppe, die er kopfüber in einen Windkanal hängte, untersuchte Straumann die optimale Haltung von Skispringern.
Der Fisch-Stil war geboren
Das Ergebnis: Am weitesten kommen die Springer, wenn sie in weiter Körpervorlage parallel zu ihren 2,60 m langen und bis zu sechs Kilogramm schweren Sprung-Ski mit angelegten Armen die Schanze herab segeln. Die Richtung korrigieren die Springer mit den Händen wie Fische im Wasser.
Daher rührt die Bezeichnung Fisch-Stil. „Vorher haben die Springer permanent mit den Armen gerudert. Straumanns Technik hatte den großen Vorteil, dass er Ruhe in das System brachte und damit weniger abbremste“, erklärt Falkner.
Etabliert seit 1953
Doch es brauchte Zeit: Erst 20 Jahre nach den Windkanal-Untersuchungen mit der Puppe wurden Reinhard Straumanns Theorien auch in der Praxis relevant. Mit der ersten Vierschanzentournee 1953 etablierte sich der Fisch-Stil. „Das hatte hauptsächlich sportpolitische Aspekte“, meint Falkner.
„Man war nicht daran interessiert, immer weiter zu springen.“ Bis in die 1980-er Jahre hinein dominierte der von Reinhard Straumann im Windkanal für optimal befundene Fisch-Stil.
Jens Weißflog holte in beiden Stilen eine olympische Medaille
Gegen Ende der 1980-er Jahre kam der V-Stil zum Fisch-Stil hinzu. Der Fisch-Stil wird heute meist wegen der parallelen Skihaltung als Parallel-Stil bezeichnet. Einer der beide Stile beherrschte, ist Jens Weißflog. Der Mann ist der einzige Athlet, der sowohl im Parallel-Stil als auch im V-Stil eine Einzelmedaille bei Olympischen Spielen erringen konnte.
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