Quanten- trifft Kernphysik: Kommen nun die präzisesten Uhren der Welt?
Kommen die präzisesten Uhren aller Zeiten? Lassen sich völlig neue Grundsatzfragen der Physik beantworten? Erstmals wurde der seit Jahrzehnten gesuchte „Thorium-Übergang“ mit einem Laser gezielt angeregt. Er soll dies möglich machen.
Seit Jahren suchen Wissenschaftler weltweit nach einem besonderen Zustand von Thorium-Atomkernen, der bahnbrechende technische Anwendungen ermöglichen könnte. Dieser Zustand würde nicht nur präzisere Zeitmessungen mit einer neuartigen Atomuhr ermöglichen, sondern auch helfen, fundamentale Fragen der Physik wie die Konstanz der Naturkonstanten über Zeit und Raum zu klären.
Nun hat sich die geduldige Suche endlich gelohnt: Der lang ersehnte Thorium-Übergang wurde entdeckt und seine Energie genau bestimmt. Erstmals ist es gelungen, einen Atomkern mit einem Laser in einen höheren Energiezustand zu versetzen und seine Rückkehr in den Ausgangszustand detailliert zu beobachten.
Die Entdeckung verbindet zwei Gebiete der Physik, die bisher wenig miteinander zu tun hatten: die Quantenphysik und die Kernphysik. Entscheidend war die Entwicklung spezieller Thoriumkristalle. Das Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Thorsten Schumm von der TU Wien hat diesen Durchbruch in Zusammenarbeit mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig (PTB) in der renommierten Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ veröffentlicht. Über die Arbeiten der PTB zur Erforschung von Atomuhren berichten wir auch auf unserer Schwesterseite vdi-nachrichten.com.
Messungen mit bisher unerreichter Genauigkeit?
Die Manipulation von Atomen oder Molekülen mit Lasern ist heute alltäglich. Wenn die Wellenlänge des Lasers genau richtig gewählt ist, können Atome oder Moleküle zwischen verschiedenen Zuständen hin- und hergeschaltet werden. Diese Präzision ermöglicht es, die Energie von Atomen und Molekülen genau zu messen. Auf dieser Technik basieren viele moderne Präzisionsmessverfahren, zum Beispiel unsere Atomuhren und verschiedene chemische Analyseverfahren. Auch in Quantencomputern werden Laser häufig eingesetzt, um Informationen in Atomen oder Molekülen zu speichern.
Lange Zeit galt es jedoch als unmöglich, diese Techniken auf Atomkerne anzuwenden. „Auch Atomkerne können unterschiedliche Quantenzustände annehmen. Doch um einen Atomkern von einem Zustand zum anderen wechseln zu lassen, ist normalerweise viel mehr Energie nötig – mindestens das Tausendfache der Energien, mit denen wir es bei Elektronen im Atom oder im Molekül zu tun haben“, sagt Thorsten Schumm. „Daher lassen sich Atomkerne normalerweise mit Lasern nicht manipulieren, die Energie der Photonen reicht dafür einfach nicht aus.“
Das ist besonders bedauerlich, weil Atomkerne eigentlich ideale Quantenobjekte für Präzisionsmessungen sind. Sie sind viel kleiner als Atome und Moleküle und daher weniger anfällig für Störungen von außen, etwa durch elektromagnetische Felder. Theoretisch könnten sie daher Messungen von bisher unerreichter Genauigkeit ermöglichen.
Auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Der Thorium-229 Übergang
Seit den 1970er-Jahren vermuten Forscher, dass es einen speziellen Atomkern, Thorium-229, geben könnte, der sich vielleicht doch mit einem Laser manipulieren lässt. Dieser Kern besitzt zwei eng benachbarte Energiezustände, die so dicht beieinanderliegen, dass theoretisch ein Laser ausreichen sollte, um seinen Zustand zu ändern.
Allerdings gab es lange Zeit nur indirekte Hinweise auf diesen Übergang. Thorsten Schumm erklärt das Dilemma: „Das Problem ist, dass man die Energie des Übergangs extrem genau kennen muss, um den Übergang mit einem Laserstrahl herbeiführen zu können“. Schumm weiter: „Wenn man auf ein Elektronenvolt genau weiß, bei welcher Energie sich dieser Übergang befindet, dann nützt das wenig, wenn man ihn auf ein Millionstel Elektronenvolt genau treffen muss, um ihn nachzuweisen“. Er vergleicht es mit der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen oder dem Versuch, eine kleine Schatzkiste auf einer riesigen Insel zu finden.
Revolutionäre Kristalltechnik: Thorium-Kerne in Massen messen
Einige Forschungsgruppen haben versucht, Thorium-Kerne zu analysieren, indem sie diese einzeln in elektromagnetischen Fallen isolierten. Thorsten Schumm und sein Team gingen jedoch einen anderen Weg. „Wir entwickelten Kristalle, in denen Thorium-Atome in großer Anzahl gezielt eingebaut werden“, erklärt Fabian Schaden, der in Wien für die Entwicklung der Kristalle zuständig ist und die Messungen zusammen mit dem Team der PTB durchführt.
Schaden erläutert weiter: „Das ist zwar technisch recht aufwändig, hat aber den Vorteil, dass wir auf diese Weise nicht nur einzelne Thorium-Kerne studieren, sondern rund zehn hoch siebzehn Thorium-Kerne gleichzeitig mit dem Laser treffen können – etwa millionenfach mehr als es Sterne in unserer Galaxie gibt.“ Diese Methode verstärkt den Effekt, verkürzt die benötigte Messzeit und erhöht die Wahrscheinlichkeit, den gesuchten Energie-Übergang erfolgreich zu entdecken.
Historischer Durchbruch: Erste gezielte Laseranregung eines Thorium-Kerns
Am 21. November 2023 war das Forschungsteam am Ziel: Es traf genau die Energie des gesuchten Thorium-Übergangs, und die Thoriumkerne sendeten erstmals ein klares Signal aus. Der Laserstrahl hatte den Zustand der Kerne gezielt verändert. Nach eingehender Überprüfung und Analyse der Daten veröffentlichten sie die Ergebnisse.
„Für uns geht damit ein langjähriger Traum in Erfüllung“, sagt Thorsten Schumm. Seit 2009 hatte er seine Forschung auf diesen Thoriumübergang konzentriert, und sowohl seine Gruppe als auch internationale Teams erzielten über die Jahre wichtige Teilerfolge. „Wir freuen uns natürlich sehr, dass wir es nun sind, die den entscheidenden Durchbruch präsentieren können: Die erste gezielte Laseranregung eines Atomkerns“, erläutert Schumm.
Das lässt sich mit der Entdeckung alles machen
Mit der Entdeckung, wie man Thorium anregen kann, beginnt eine aufregende neue Phase der Forschung. Die Technik lässt sich nicht nur für Präzisionsmessungen nutzen, sondern könnte auch die Entwicklung einer völlig neuartigen Atomuhr vorantreiben. Von Anfang an war der Bau eine Atomkern-Uhr ein wichtiges Fernziel“, sagt Thorsten Schumm. „Ähnlich wie eine Pendeluhr das Schwingen des Pendels als Zeitgeber nutzt, könnte man die Schwingung des Lichts, das den Thorium-Übergang anregt, als Zeitgeber für eine neuartige Uhr nutzen, die noch einmal deutlich genauer wäre als die besten Atomuhren, die es heute gibt.“
Die neue Technologie könnte jedoch noch viel mehr als nur die Zeit messen. Sie könnte das Schwerefeld der Erde so genau erfassen, dass sich daraus Rückschlüsse auf Bodenschätze ziehen oder Erdbeben vorhersagen ließen. Und sie könnte helfen, fundamentale Fragen der Physik zu klären, etwa ob Naturkonstanten im Laufe der Zeit konstant bleiben oder sich verändern. „Unsere Messmethode ist erst der Anfang“, ist Thorsten Schumm zuversichtlich. „Welche Ergebnisse man damit erzielen wird, lässt sich heute noch gar nicht abschätzen. Spannend wird es ganz sicher.“
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