Für Fusionstechnik oder Industrieöfen geeignet? 26.07.2023, 10:07 Uhr

Riesiges Potenzial: Forschende erzeugen erstmals abgekoppeltes Plasma

Forschende der Fachhochschule Aachen haben erstmals ein abgekoppeltes Plasma erzeugt. Bisher war die Erzeugung der Plasmen immer an eine Strahlenquelle gebunden – durch die Abkopplung ergeben sich nach Angaben des Forschungsteams ganz neue Nutzungsszenarien, eventuell sogar für die Fusionstechnik, aber auch für Industrieöfen oder Sicherheitskontrollen am Flughafen.

abgekoppeltes Plasma

Mit diesem Versuchsaufbau wurde erstmals abgekoppeltes Plasma erzeugt.

Foto: FH Aachen | Arnd Gottschalk

Im Labor des Instituts für Mikrowellen- und Plasmatechnik (IMP) der FH Aachen befindet sich eine unscheinbare, aber äußerst faszinierende Apparatur. Auf den ersten Blick ähnelt sie einem Metallzylinder in der Größe und Form einer Konservendose. Doch sobald Prof. Dr. Holger Heuermann das Gerät einschaltet, erfüllt es den Raum mit gleißend hellem Licht. Die Intensität ist derart stark, dass das Betrachten nur durch eine Schutzbrille mit abgedunkelten Gläsern möglich ist. Was diese Apparatur so besonders macht? Mit ihrer Hilfe hat das Forschungsteam erstmals ein abgekoppeltes Plasma erzeugt. Prof. Dr. Holger Heuermann, der führende Forscher hinter diesem Projekt, ist begeistert von den Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben. Wir schauen es uns einmal etwas genauer an.

Was bedeutet Plasma in der Physik?

In der Physik beschreibt der Begriff „Plasma“ ein Gas, das teilweise oder vollständig aus freien Ladungsträgern wie Ionen oder Elektronen besteht. Rund 99 Prozent der sichtbaren Materie im Universum besteht aus Plasma. Um den Zusammenhang besser zu verstehen, betrachten wir die Phasenänderung von Stoffen mit steigender Temperatur. Zunächst gehen sie vom festen in den flüssigen und dann in den gasförmigen Zustand über. Doch wenn die Temperatur weiter ansteigt, entsteht ein Plasma.

Das Plasma ist in der Tat der „vierte Aggregatszustand der Materie“. In einem Plasma trennen sich die Atome des Gases in ihre Bestandteile – Elektronen und Kerne – auf. Alltagsbeispiele für Plasma sind die Plasmasäule in einer Neonröhre, ein elektrischer Funke oder der Plasmafaden eines Blitzes. Im Vergleich zu einem normalen Gas weist ein Plasma völlig andere Eigenschaften auf. Zum Beispiel ist es elektrisch leitend, was bedeutet, dass seine Bewegung durch elektrische und magnetische Felder beeinflusst werden kann.

Plasmen spielen eine zentrale Rolle in der Erforschung des Universums, in der Energietechnik, bei der Herstellung von Halbleitern und in vielen anderen Industriezweigen. Sie werden in Plasmaforschungszentren und Labors auf der ganzen Welt intensiv untersucht, um ihr Potenzial für zukünftige Technologien zu erschließen. In Aachen wurde nun erstmals ein abgekoppeltes Plasma erzeugt. Bislang war die Erzeugung von Plasmen stets an eine Strahlenquelle gebunden. Die Forschenden erhoffen sich dadurch zahlreiche neue Anwendungen.

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Arbeiten bei über 5.000 Grad Celsius

Ein charakteristisches Merkmal von Plasmen ist ihre extrem hohe Energiedichte. In der von Prof. Heuermann und seinem Team entwickelten Apparatur erreicht das Plasma eine Temperatur von über 5000 Grad Celsius. Diese Temperatur sorgt dafür, dass das Material verdampft. Erstaunlicherweise ist dafür nur ein relativ geringer Energieeinsatz von etwa 80 Watt Leistung notwendig. Gezündet wird der Vorgang mit einem Wolframdraht. Viel mehr möchte das Forschungsteam auch nicht über die Technik verraten. Denn noch ist die Patentierung nicht abgeschlossen.

Prof. Heuermann widmet sich seit fast 20 Jahren der Erzeugung von Plasmen unter Verwendung von Mikrowellen mit einer Frequenz von etwa 2,5 Gigahertz (GHz). Doch erstmals gelang dies mit abgekoppeltem Plasma. Dieser Durchbruch eröffnet ein breites Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten für die Plasmatechnologie. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die Form des Plasmas beeinflusst werden kann. Abhängig von den spezifischen Anforderungen kann das Plasma nach Aussagen des Forschungsteams entweder strahlförmig oder flächig ausgelegt werden, was es äußerst vielseitig und anpassungsfähig macht.

Versuchsaufbau abgekoppeltes Plasma

Kleiner Zylinder, riesige Temperaturen: Hier wird Plasma mit über 5000 Grad Celsius erzeugt.

Foto: FH Aachen | Arnd Gottschalk

Riesiges Interesse in Wissenschaft und Wirtschaft

Nach Aussagen von Prof. Heuermann sei das Interesse an dem ausgekoppelten Plasma riesig – und das sowohl auf Seiten der Wissenschaft als auch der Wirtschaft. Wie bereits geschrieben, möchte das Forschungsteam noch nicht viel über die Technik verraten, solange das Verfahren nicht patentiert ist. Prof. Heuermann erzählt dennoch etwas: „Wir haben intensiv an der Modellierung gearbeitet, und zwar mit Simulationen auf der Basis der Finite-Elemente-Methode.“

Das IMP hat zusätzlich einzigartige Messplätze geschaffen, um Plasmen im Gigahertz-Bereich zu untersuchen und zu charakterisieren. Neben der Patentierung arbeitet das Team der FH an weiteren Fortschritten. Es herrscht Optimismus, dass sie in Zusammenarbeit mit Forschungspartnern erfolgreiche Anträge stellen können, beispielsweise bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Dadurch sollen weitere Ressourcen und Unterstützung für ihre Forschung gewonnen werden.

Einsatz in der Fusionstechnik möglich?

„Wir arbeiten eng mit Prof. Dr. Bernhard Unterberg vom Institut für Energie- und Klimaforschung des Forschungszentrums Jülich zusammen“, sagt Prof. Heuermann. Die Forschenden arbeiten gemeinsam daran, herauszufinden, wie das abgekoppelte Plasma sinnvoll in der Fusionstechnik eingesetzt werden kann. In herkömmlichen Fusionseinrichtungen werden bisher äußerst leistungsstarke Magnetfelder verwendet, die sowohl in der Konstruktion als auch im Betrieb äußerst aufwendig sind.

Durch die Untersuchung des abgekoppelten Plasmas eröffnen sich möglicherweise neue Ansätze und Technologien, die weniger komplexe Magnetfelder erfordern könnten, um die Fusion voranzutreiben. Dies könnte die Effizienz und Machbarkeit zukünftiger Fusionsanlagen verbessern und zu bedeutenden Fortschritten in der Nutzung von Fusionsenergie führen. „Über unser abgekoppeltes Plasma können wir eine sehr hohe Energiedichte an einen beliebigen Punkt bringen“, betont Prof. Heuermann. Noch wird es jedoch weitere Forschungen geben müssen, ehe der Traum von Fusionsenergie aus abgekoppeltem Plasma verwirklicht werden kann. In anderen Bereichen könnte es schneller gehen.

Kurzfristige Nutzung in der Industrie denkbar

Das abgekoppelte Plasma bietet nach Angaben des Forschungsteams kurzfristig Möglichkeiten für die industrielle Nutzung, und es gibt demnach bereits Anfragen aus den Bereichen Beschichtung, Ofentechnik und Spektroskopie.

Ein interessantes Projekt ist die Beschichtung von Bremsscheiben mit Keramik, für die ein Antrag gestellt wurde. Ein großer deutscher Automobilkonzern ist als Partner in das Vorhaben involviert. Die Fachleute sind zuversichtlich, dass im Vergleich zu den bisherigen Systemen durch die Verwendung des abgekoppelten Plasmas weniger Feinstaub entsteht und der Energieverbrauch geringer ausfällt. Zudem weisen die Plasmaanlagen eine höhere Lebensdauer auf und erfordern weniger Wartungsaufwand.

Umweltfreundliche Alternative für Industrieöfen?

Ein weiterer vielversprechender Anwendungsbereich liegt laut den Forschenden in der Nutzung in Industrieöfen. Das abgekoppelte Plasma ermöglicht eine präzise Platzierung der sehr hohen Energiedichte genau dort, wo sie benötigt wird. Im Vergleich zu Wasserstoffbrennern ist die Energieeffizienz erheblich höher, da beispielsweise kein Abgas mehr anfällt. Damit entfallen Sicherheits- und Versorgungsprobleme von Gasbrennern.

Außerdem betreibt das IMP bereits eine Versuchsanlage namens „Microwave Induced Breakdown Spectroscopy“ (MIBS), mit der spektrografische Untersuchungen durchgeführt werden können. Prof. Heuermann erklärt, dass diese Anlage es ihnen ermöglicht, verschiedene Stoffe auf ihre Zusammensetzung zu überprüfen. Ein praxisnahes Beispiel für den Einsatz dieser Technologie sind Sicherheitskontrollen am Flughafen. Hier werden Flüssigkeiten im Reisegepäck von Fluggästen mithilfe von MIBS analysiert, um potenzielle Gefahrenstoffe zu identifizieren und die Sicherheit zu gewährleisten.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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