Soziale Netzwerke: Virtuelle und wahre Freunde
Soziale Netzwerke haben der Gesellschaft einen neuen Typ beschert
Es war einmal ein Vater, der wollte nicht aus der Zeit fallen und auch auf Facebook sichtbar sein. Er loggte sich ein und um sich auf unbekanntem Terrain nicht gleich zu verirren, ernannte er seinen netzwerkkundigen Sohn zu seinem ersten Freund. Der schrieb sofort zurück: „Wer sind Sie denn?“ – der erste Versuch mit der Befreundungsmaschine Facebook war gescheitert.
Was ist anders mit den Freunden, die im Netz nur drei Klicks entfernt sind? Wir kennen im realen Leben viele Freunde. Brief-, Sports- und Duzfreunde. Wir treffen welche fürs Leben und haben falsche Freunde. Mit manchen geht man durch dick und dünn, anderen vertraut man sich beim Bier an und einige wenige taugen zum Pferdestehlen. Freunde können auch politisch sein. Wir kennen befreundete Völker, politische Freundeskreise und den Parteifreund. Manche sind Freunde nur deshalb, weil sie einen gemeinsamen Feind haben und andere überwinden lange Feindschaften mit dem sprichwörtlichen Satz, dies sei der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Wir haben berühmte Freundespaare in der Literatur und wir haben den Freundschaftskult der Romantik.
Soziale Netzwerke entwerfen einen neuen Typ Freund
Facebook hat jetzt der Gesellschaft einen neuen Typ Freund beschert: den Kommunikationsfreund. Microsoft-Chef Bill Gates soll nach 10 000 Freundschaftsanfragen das Handtuch geworfen haben. Facebook gibt für den gewöhnlichen User im Schnitt einen Freundeskreis von 130 Personen an, Studien kommen auf wesentlich geringere Zahlen. Was soll man mit so vielen Freunden?
Etwas Tröstliches liegt darin, dass die virtuellen Freundschaften nicht alle über einen Leisten zu schlagen sind. In dem Maße, in dem das Netz gesellschaftliche Verhältnisse abbildet, bildet sich auch in ihm das bekannte Dreistufenmodell an Intensität ab: Man hat Freunde, man hat Bekannte und man hat Kontakte. Wer auf sehr viele virtuelle Freunde verweisen kann, hat meist nur viele Kontakte. Freund dagegen ist, mit wem man sich verlinkt. Das führt zwar nicht durch dick und dünn, kann aber halten.
Die Vorteile des virtuellen Freundelns sind offensichtlich. Das Netz erleichtert es Schüchternen, Zugang zu finden zu Gleichgesinnten, Gleichgestimmten. Wer schon wahre Freundschaften hat, kann sie nun leichter auch über große Entfernungen und Zeiträume hinweg pflegen. Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann sieht gar, dass es mit dem Leiden an der Einsamkeit als einem gesellschaftlichen Phänomen zu Ende geht, jedenfalls der nicht selbst verschuldeten Einsamkeit. Sie spricht von einer „Freundschaftsgesellschaft“, in der der Konformitätsdruck abgenommen habe und das Image von Außenseitern aufgewertet werde.
Sich entfreunden ist in sozialen Netzwerken nicht vorgesehen
Doch haben die sozialen Netzwerke auch ihre Eigenarten. Anders als im normalen Leben kann man hier nur Freunde suchen und finden, niemals aber Feinde. Man freundet sich auch nicht unbedingt freiwillig an, sondern bekommt häufig eine FA, eine Freundschaftsanfrage, klickt dreimal höflich und ist angefreundet worden. Wer nicht aufpasst, steht bald vor dem Problem, wie er die Freundschaftszombies wieder loswerden soll. Sich entfreunden, ist nicht wirklich vorgesehen.
Manche User veranstalten Freundschaftstests: Man nennt ein unwahrscheinliches Geburtsdatum und wer dann gratuliert, wird aus der Freundesliste gestrichen, weil er sich nur routiniert auf seinen Kalender verlassen hat. Und was geschieht mit Freunden, die gestorben sind? Leben sie ewig weiter im Netz? Inzwischen gibt es auch einen Club der toten Facebookfreunde.
Virtuelle Freundschaft, weil sie schnell geschlossen werden kann und ohne Verpflichtungen auskommt, gilt deshalb auch als oberflächlich. Freilich zeigen derzeit alle einschlägigen Studien, dass virtuelle Freundschaften das tatsächliche Freundesleben nicht beschädigen, es vielfach sogar erleichtern. Man kann Facebook ja sogar dazu benutzen, sich persönlich und an einem realen Ort zu verabreden. Das Chatten mit Facebook-Freunden kann das persönliche Gespräch nicht ersetzen, darin sind sich alle einig – aber das tut es meist auch nicht.
Wirkliche Probleme wird man außerhalb von sozialen Netzwerken lösen müssen
Der virtuelle Freundschaftsboom trifft auf eine gesellschaftliche Entwicklung, in der Freundschaft generell an Stellenwert gewinnt. Mit der Auflösung traditioneller Familienbindungen wird sie wichtiger. Freundschaften werden gebraucht, um sich zu helfen und es entstehen neue Lebenshaltungen, sich für Freunde auch wirklich verantwortlich zu fühlen. In der Gesellschaft ist vieles in Bewegung. Alle sieben Jahre verschwindet auch im realen Leben die Hälfte der Freunde und muss ersetzt werden. Wenn Aleida Assmann mit ihrer These von der Freundschaftsgesellschaft recht hat, können soziale Netzwerke mit ihren virtuellen Freundschaften in diesem gesellschaftlichen Prozess nützlich werden.
Wobei allerdings Werte wie Verlässlichkeit, Vertrauen und Stütze in schweren Zeiten in den Online-Beziehungen insgesamt wohl schwächer ausgebildet sind. Wirkliche Probleme wird man außerhalb von Facebook lösen müssen.
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