Sprechen Sie Bionisch?
Die Natur sei der erfolgreichste Innovator aller Zeiten, sagen Bioniker, die biologische Funktionsprinzipien in technische Anwendungen umsetzen wollen. Der Lotuseffekt zähle in Deutschland demnach zu den zwölf wichtigsten Innovationen der letzten 50 Jahre. Die Hannover Messe widmet der Bionik erneut einen Schwerpunkt in Halle 2.
„Bionik soll anwendungsnahe und nachhaltige Lösungen für technische Problemstellungen hervorbringen“, sagte Rainer Erb, Geschäftsführer von Biokon. Das Bionik-Kompetenz-Netz veranstaltete Mitte März in Berlin einen Bionik-Industriekongress, auf dem die Weichen für zukunftsweisende Entwicklungen gestellt werden sollten.
Das Netzwerk will die Beteiligten an einen Tisch bringen und beim Einwerben von Finanzmitteln helfen, um die Markteinführung zu beschleunigen. „Wir sind aber nicht die verlängerte Werkbank der Industrie“, beteuerte Erb und betonte, man verfolge keine eigenen Interessen, habe keine Bindung an die Industrie.
Rund zehn Jahre lang hatte das Bundesforschungsministerium (BMBF) die deutsche Bionik gefördert. Die dafür bereitgestellten insgesamt 55 Mio. € sollten Trigger sein für die Industrie, weitere etwa 10 Mio. € zuzusteuern.
Mit dem Auslaufen der bisher geförderten Projekte aber enden jetzt die Zahlungen. „Es wäre schön, wenn beispielsweise die Deutsche Forschungsgemeinschaft in die Förderung einsteigen würde“, hofft Lothar Mennicken vom BMBF dennoch auf eine Fortsetzung der Bionikförderung in Deutschland.
Eine Hitliste der besten bionischen Entwicklungen zu erstellen sei schwierig, sind sich die Bionik-Experten einig. Doch einige Systeme wie der Lotuseffekt zählten in Deutschland zu den wichtigsten Innovationen der letzten 50 Jahre. Weitere Beispiele seien selbstheilende Oberflächen, Antifouling oder Hafttapes nach dem Vorbild des Geckos.
Vor allem in den Branchen Chemie, Maschinenbau, Robotik und Automobilbau, aber auch in Architektur und Medizintechnik halten bionische Systeme Einzug. In jedem deutschen Auto stecke Bionik, behauptete Biokon-Geschäftsführer Erb. Doch die Konzerne würden nicht einmal damit werben. „Möglicherweise fürchten sie einen negativen Touch fürs Image“, mutmaßte Erb.
Mittlerweile sei Bionik auch fest an deutschen Hochschulen etabliert. „Es hat sich unter den Studenten an unserem Lehrstuhl eine neue Sprache entwickelt: Bionisch“, schmunzelte Antonia Kesel. Die Leiterin des internationalen Studiengangs Bionik an der Hochschule Bremen gesteht indes, dass sie diese selbst fast nicht verstehe.
„Jede Disziplin hat ihre eigene Sprache. Bionik ist interdisziplinär, deshalb ist hier eine Standardisierung so wichtig“, erklärte Heike Beismann von der VDI-Gesellschaft Technologies of Life Sciences. Schon früh habe der VDI die Bionik mit Standardisierung begleitet. Mittlerweile seien acht VDI-Richtlinien in der Entwicklung oder bereits publiziert worden mit dem Ziel, „eine gemeinsame Sprache zu schaffen, aus der heraus die verschiedenen Teilnehmer Zugang zu einem neuen Ideenschatz bekommen“. Das sei auch international wichtig, so Beismann.
Die auslaufende Forschungsförderung in Deutschland kritisierte Kesel scharf und wünscht, dass Bionik künftig im 8. EU-Forschungsrahmenprogramm fest verankert wird. In ihren eigenen Forschungsprojekten entwickelt die Bremer Wissenschaftlerin ungiftige Schutzanstriche für Schiffe, die den Aufwuchs von Seepocken verhindern sollen. Dies bringe enorme wirtschaftliche Vorteile. „Ein mittelgroßes Containerschiff kann mit einem bionischen Antifoulinganstrich rund 30 000 $/Tag an Kraftstoffkosten einsparen“, erläuterte Erb dazu.
Von bionischen Entwicklungen erwarten sich die Experten ein globales Umsatzpotenzial von bis zu 1000 Mrd. $ bis zum Jahr 2025. Um die Bionik auch weltweit optimal unterstützen zu können, wurde 2009 Biokon-International gegründet. Deren Präsident George Jeronimidis untersucht selbst seit über drei Jahrzehnten Fasersysteme. Er fand in der Mikrostruktur von Holz verschiedene Fasern, die mit unterschiedlicher Ausrichtung so miteinander gebündelt sind, dass sich die Stabilität des Verbundes drastisch erhöht.
Nach dem Vorbild der Holzstruktur hat Jeronimidis nun Faserverbundwerkstoffe gefertigt, die selbst von einer Geschosskugel mit Kaliber 9 mm und einer Geschwindigkeit von 500 m/s nicht durchschlagen wird. „Das Prinzip der Energieabsorption wollen wir künftig im Automobilbau einsetzen, um beim Crash die Aufprallenergie abzuleiten, ohne den Fahrgast zu verletzen“, erklärte Jeronimidis. BETTINA RECKTER
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