Starben die Neandertaler aus, weil sie keinen Sonnenschutz kannten?
Sonnenschutzmittel, Kleidung und Höhlen könnten dem Homo sapiens vor 41.000 Jahren das Überleben gesichert haben. Die Neandertaler kannten das wohl nicht.

Aufgrund eines Polsprungs vor etwa 41.000 Jahren stieg die UV-Strahlung stark an. Homo Sapiens entwickelte Schutztechniken, die Neandertaler nicht. Ein Grund für das Aussterben?
Foto: PantherMedia / Jürgen Fälchle
Eine neue Studie zeigt: Während einer geomagnetischen Umkehrung vor etwa 41.000 Jahren war die Erde kaum noch vor gefährlicher UV-Strahlung geschützt. Der Homo sapiens nutzte möglicherweise Höhlen, maßgeschneiderte Kleidung und Ocker als Sonnenschutz. Neandertalern fehlten diese Strategien. Das könnte zu ihrem Aussterben beigetragen haben.
Inhaltsverzeichnis
- Ein Polsprung als Auslöser der erhöhten Strahlung
- Polarlichter über Europa – und eine tödliche UV-Dosis
- Homo sapiens mit Schutzstrategien
- Ocker als prähistorischer Sonnenschutz
- Wo die Strahlung am stärksten war
- Neandertaler ohne Gegenstrategie?
- Unsichere Schlussfolgerungen – aber spannende Hypothese
- Was das für uns heute bedeutet
Ein Polsprung als Auslöser der erhöhten Strahlung
Vor etwa 41.000 Jahren befand sich die Erde in einer geologischen Ausnahmesituation. Die Pole des Magnetfelds begannen sich zu verschieben – ein natürlicher Vorgang, der in der Erdgeschichte etwa 180-mal vorgekommen ist. Während dieser sogenannten Laschamps-Exkursion verlor das Erdmagnetfeld massiv an Stärke. Laut einer aktuellen Studie der University of Michigan sank es auf nur etwa 10 % seines heutigen Wertes.
Diese Schwächung hatte direkte Folgen: Mehr energiereiche Strahlung aus dem All drang bis zur Erdoberfläche durch. Normalerweise schützt das Magnetfeld die Erde, indem es geladene Teilchen aus dem Sonnenwind ableitet. Wenn dieser Schutzschild jedoch versagt, kann es zu gravierenden biologischen und klimatischen Folgen kommen – auch für die damaligen Menschenarten.
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Polarlichter über Europa – und eine tödliche UV-Dosis
Während der Laschamps-Exkursion wanderte der magnetische Nordpol über Europa. In dieser Phase wurde die Magnetosphäre so stark gestört, dass Polarlichter nicht mehr nur in der Arktis zu sehen waren, sondern auch über Mitteleuropa und sogar Nordafrika. Gleichzeitig nahm die UV-Strahlung drastisch zu.
Die Forschung zeigt nun, dass genau zu dieser Zeit bestimmte Verhaltensänderungen beim Homo sapiens auftraten. Er suchte häufiger Höhlen auf, nutzte neue Materialien zur Körperbedeckung und entdeckte Ocker – ein eisenhaltiges Mineral – verstärkt für rituelle und praktische Zwecke. Die Neandertaler hingegen scheinen auf diese Entwicklungen kaum reagiert zu haben.
Neandertaler (Homo neanderthalensis)
- Zeitraum: ca. 400.000 – 40.000 v. Chr.
- Verbreitungsgebiet: Europa, Westasien, Zentralasien
- Körperbau: robust, kräftige Muskulatur, niedrige Stirn, breite Nase
- Gehirnvolumen: ca. 1200 – 1750 cm³ (ähnlich oder größer als beim modernen Menschen)
- Werkzeuge: Moustérien-Kultur, Faustkeile, Schaber
- Lebensweise: Jäger und Sammler, Nutzung von Feuer, einfache Kleidung
- Genetisches Erbe: 1–2 % Neandertaler-DNA im Genom heutiger Menschen außerhalb Afrikas
- Aussterben: vor etwa 40.000 Jahren, vermutlich durch Kombination aus Klimawandel, Konkurrenz und geringer Anpassungsfähigkeit
Homo sapiens mit Schutzstrategien
Archäologische Funde zeigen, dass der Homo sapiens zu dieser Zeit begann, maßgeschneiderte Kleidung zu nutzen. Werkzeuge wie Nadeln und Ahlen, die man zum Nähen braucht, fand man an mehreren Fundorten. Diese Kleidungsstücke hielten nicht nur warm, sondern schützten auch vor Sonnenstrahlen.
Anthropologin Raven Garvey von der University of Michigan betont: „Ein Schutz vor Sonneneinstrahlung hätte auch jedem, der ihn besaß, einen erheblichen Vorteil verschafft.“ UV-Strahlung kann nicht nur Sonnenbrände verursachen, sondern auch tiefere biologische Auswirkungen haben – etwa Folsäuremangel, der mit einer höheren Kindersterblichkeit verbunden ist.
Ocker als prähistorischer Sonnenschutz
Ein weiteres Schutzmittel könnte Ocker gewesen sein. Der Homo sapiens trug das rötliche Pulver vermutlich auf die Haut auf – entweder aus kulturellen oder medizinischen Gründen. Neuere Tests zeigen, dass Ocker UV-Strahlung teilweise abblocken kann. Ethnografische Studien belegen, dass indigene Gruppen ihn gezielt als Sonnenschutz einsetzten.
„Es gibt einige experimentelle Tests, die zeigen, dass es sonnenschutzähnliche Eigenschaften hat“, sagt Garvey. Diese Form der Körperbemalung könnte dem Homo sapiens einen zusätzlichen Überlebensvorteil verschafft haben – besonders unter den veränderten Umweltbedingungen.
Wo die Strahlung am stärksten war
Das Forscherteam um Agnit Mukhopadhyay rekonstruierte mithilfe eines 3D-Modells, wie sich das schwache Magnetfeld auf die Erde auswirkte. Dazu nutzten sie das „Space Weather Modeling Framework“, ein Simulationswerkzeug für Weltraumwetter und Magnetfelder. Die Ergebnisse zeigen, wo geladene Teilchen besonders leicht in die Atmosphäre eindringen konnten.
Diese Regionen stimmten auffällig gut mit Gebieten überein, in denen Menschen zu jener Zeit zunehmend Schutzmaßnahmen wie Höhlenaufenthalte oder die Nutzung von Ocker einführten. Das legt nahe, dass Homo sapiens auf die neuen Gefahren reagierte – während Neandertaler es offenbar nicht taten.
Neandertaler ohne Gegenstrategie?
Neandertaler lebten lange in Europa – robust, an kalte Temperaturen angepasst, aber technologisch eher konservativ. Zwar verwendeten auch sie Werkzeuge und kannten Feuer, doch Hinweise auf Kleidung mit Nähten fehlen bislang. Auch Ockerfunde sind in ihrem Kontext seltener.
Garvey erklärt: „Die technologischen Mittel zur Herstellung von Kleidung, die dem Körper angepasst ist, wurden an archäologischen Stätten entdeckt, die mit anatomisch modernen Menschen in Verbindung gebracht werden, aber nicht unbedingt mit Neandertalern.“
Die Folge: Während Homo sapiens flexibel auf Umweltveränderungen reagierte, blieben Neandertaler ihrer Lebensweise treu. Und zahlten möglicherweise einen hohen Preis.
Unsichere Schlussfolgerungen – aber spannende Hypothese
Die Forschenden betonen, dass ihre Arbeit keine endgültige Antwort liefert. Sie ist eine Metaanalyse – eine neue Art, alte Daten mit frischem Blick zu betrachten. Garvey betont: „Ich denke, es ist eine neue Perspektive auf diese Daten im Lichte der Laschamps-Exkursion.“
Trotzdem liefert die Studie eine nachvollziehbare Erklärung, warum der Homo sapiens überlebte – und warum der Neandertaler verschwand. Es könnte nicht nur an Intelligenz oder Waffen gelegen haben. Vielleicht war es schlicht der bessere Umgang mit Sonnenlicht.
Was das für uns heute bedeutet
Mukhopadhyay weist darauf hin, dass geomagnetische Exkursionen auch heute wieder vorkommen könnten – mit gravierenden Folgen. Ein massiver Ausfall des Erdmagnetfelds würde heutige Infrastrukturen lahmlegen: Stromnetze, Kommunikationssatelliten, GPS – all das wäre betroffen.
Sein 3D-Modell soll helfen, solche Szenarien besser vorherzusagen. Zudem zeigt die Arbeit, dass Leben auch unter extremen Bedingungen möglich ist. „Ein Blick auf die prähistorische Erde […] hilft uns, die Physik von Exoplaneten aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten“, sagt Mukhopadhyay.
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