Stereotyp: Weibliche Fröhlichkeit taugt nicht für den Chefposten
Die Einschätzung über die Eignung einer Führungskraft ist alles andere als objektiv. Im Gegenteil: Stereotype in den Köpfen der Entscheider üben einen großen Einfluss auf diese Einschätzungen aus. Und das sehr oft zum Nachteil von Frauen.
Frauen in Führungspositionen sind ja bekanntlich immer noch eine seltene Spezies. 15 Frauen sitzen aktuell in den Vorständen der 30 Dax-Unternehmen. Das sind stolze acht Prozent. Aber darunter befinden sich immer noch 17 Konzerne, die keine einzige Frau in ihr höchstes Führungsorgan lassen. Ein langfristiges Forschungsprojekt der Technischen Universität München (TUM) wirft jetzt ein sehr spezielles Licht auf diese seltsame Schieflage. Denn es sind die Stereotypen in den Köpfen, die das Bild der Fähigkeiten von Führungskräften stark verzerren. Und es sind vor allem Frauen, die ein sehr kritisches und verzerrtes Bild ihrer Geschlechtsgenossinnen mit sich herumtragen.
Das Unterbewusstsein entscheidet mit
Das bisher vorhandene Rezept, mit dem Frauen Führungspositionen erreichen sollen ist ein Dreiklang aus besserem Verhandeln, Netzwerke knüpfen, Karrierestrategien entwerfen. „Doch diese Konzepte reichen nicht“, sagt Professorin Isabell Welpe vom Lehrstuhl für Strategie und Organisation der TUM. „Sie lassen die Stereotype außer Acht, die bei der Einschätzung von Spitzenpersonal im Unterbewusstsein eine entscheidende Rolle spielen: Führungskräfte sollen durchsetzungsstark, dominant und hart sein. Frauen gelten dagegen als ausgleichend, freundlich, sozial.“
Die Experimente, die Welpe und ihr Team durchführten, liefen immer nach dem gleichen Schema ab: Zufällig ausgewählten Versuchspersonen wurden Szenarien vorgespielt, in denen potentielle Führungskräfte mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern interagieren. Anschließend fragten sie die Wahrnehmung und die Erwartungshaltung der Testpersonen ab. Das überraschende Ergebnis: Frauen und Männer in Führungspositionen werden völlig unterschiedlich bewertet – auch wenn sie sich völlig gleich verhalten.
Frauen sind sich selbst ihre schärfsten Kritiker
Beispiel Management by Delegation: Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern mehr eigene Entscheidungsfreiheit bei der aktuellen Aufgabe einräumen, schneiden in den Bewertungen besser ab, als Chefs mit der berühmten kurzen Leine. Aber Achtung: Bei den Frauen als Testpersonen schnitten die weiblichen Führungskräfte mit der kurzen Leine noch schlechter ab, als die männlichen Chefs mit der kurzen Leine. „Männern in Führungspositionen wird nach wie vor mehr Durchsetzungsfähigkeit gegenüber ihren Mitarbeitern zugetraut“, sagt Welpe. „Überraschend ist, dass manche Stereotype gegenüber Frauen bei den Frauen selbst sogar ausgeprägter sind – wenn sie etwa einen dominanten Führungsstil bei Männern eher akzeptieren.“
Diese Stereotype in den Köpfen der Beurteiler stellen ein Problem dar, denn Vorstudien zeigten: Wer als führungswillig angesehen wird, hat größere Chancen, tatsächlich einen leitenden Posten zu ergattern. Das ist für Frauen oft ein großer Nachteil, weil sie mit ihrem eher kooperativen Arbeitsansatz häufig als kaum an Führung interessiert wahrgenommen werden. In ihrer aktuelle Studie haben die Forscher der TUM um Welpe nun auch die Rolle von Emotionen für solche Beurteilungen untersucht. Dafür sahen die Testpersonen Szenarien, in denen Männer und Frauen fröhlich waren, stolz auf die eigene Leistung oder aber keinerlei Emotionen zeigten. Sieger in Sachen Führungswillen waren eindeutig diejenigen, die stolz wirkten. Frohnaturen hingegen waren die Verlierer. Und fröhlich wirkende Frauen wurden am wenigsten als führungswillig eingeschätzt. „Vor allem fröhliche wirkende Frauen wird wenig Führungswillen zugetraut“, sagt Welpe. „Umso größer ist die Wirkung, wenn sie Stolz zeigen.“
Umsturz in Leipzig: Professorin gilt künftig auch für Männer
Stolz können die Professorinnen an der Universität in Leipzig jetzt sein, selbst dann, wenn sie ein Mann sind. Denn die Uni macht nach 600 Jahren Männerdominanz einen ziemlich radikalen Schnitt und setzt nur noch auf weibliche Bezeichnungen: Der Titel „Professorin“ gilt künftig einfach auch für Männer, eine Fußnote macht das klar. Die eher gewöhnungsbedürftige Änderung ist wohl mehr ein Zufall, als ein beinharter strategischer Plan feministischer Professorinnen der Uni. Anlass des Umsturzes war ein gähnend langweiliger: Die Grundordnung der Universität sollte neu formuliert werden. Und dabei kamen auch so zeitraubende Diskussionen um Begriffe wie Professor/Professorin, Rektor/Rektorin zur Sprache.
Physikprofessor Dr. Josef Käs nervte der viele Lärm um zwei Buchstaben und deshalb machte er den Vorschlag, künftig ausschließlich die weibliche Form einzusetzen. „Das war eine spontane Entscheidung ohne politische Ziele“, sagt er. Und zur allgemeinen Überraschung stimmte der erweiterte Senat dieser Änderung bereits Mitte April zu und Anfang Mai auch das Rektorat um Professorin Dr. Beate Schücking. Der Gleichstellungsbeauftragte der Uni Leipzig Georg Teichert ist immer noch völlig baff: „Ich hätte das niemals gedacht, dass der erweiterte Senat das beschließt, denn bei anderen Themen zur Familienfreundlichkeit und Frauenförderung ist er sonst eher behäbig.“
Leipziger Uni will, dass Frauen sichtbarer werden
Rektorin Schücking sieht das mit der Professorin völlig nüchtern: „Der erweitere Senat hat den Beschluss gefasst, um die zahlreichen Frauen an der Universität Leipzig in der Grundordnung sichtbarer werden zu lassen.“ An der Uni seien 60 Prozent der Studierenden Frauen, bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern betrage der Anteil 40 Prozent. Die Ökonomin Professorin Dr. Friederike Maier von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin ist da bissiger: „Ich sehe das eher als Notwehr. Wir haben an unserer Hochschule die Vorschrift, geschlechtergerecht zu formulieren. Also nutzen viele die männliche Formulierung und machen eine Fußnote, dass auch Frauen gemeint sind. Ich fühle mich damit nicht mitgemeint. Deshalb finde ich es gut, zu sagen, wir drehen das mal um.“
Auch der Gleichstellungsbeauftragte der Leipziger Universität zeigt keine große Freude angesichts des neuen generischen Femininum, wie die Professorin für Alle korrekt heißt: „Nur weil die Grundordnung geändert wird, ändert sich doch nichts an den tatsächlichen Verhältnissen“, erklärt Teichert. Er glaube nicht, dass sich damit die Einstellung vieler Professoren verändere. Vielleicht schaffe das aber das Bewusstsein für die Frauenförderung. Eine Einstellung, die Frau Professor Welpe von der TUM, die ihre Grundordnung noch nicht ändern, sicherlich teilen wird. Denn es sind nicht langweilige Grundordnungen von Universitäten, in die ohnehin kaum jemand mal reinschaut, sondern Stereotype in den Köpfen, die Frauen benachteiligen. Wohl nicht nur bei der Frage der Eignung für Führungspositionen.
TUM-Forscherinnen wollen jetzt Schulungen entwickeln
Die Forscher der TUM wollen aus ihren Studienergebnissen jetzt Schulungen entwickeln, die Unternehmen und Wissenschaftsorganisationen dabei helfen sollen, das Potential und die Leistung von Frauen und Männern ohne den störenden Einfluss von Stereotypen zu beurteilen. Gleich zwei Lehrstühle der TUM sind am Projekt „Auswahl und Beurteilung von Führungskräften in Wissenschaft und Wirtschaft – wie unterscheiden sich Männer und Frauen?“ beteiligt: Der Lehrstuhl für Strategie und Organisation unter der Leitung von Professorin Isabell Welpe und der Lehrstuhl für Forschungs- und Wissenschaftsmanagement unter der Leitung von Professorin Claudia Peus. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union gefördert.
Es wird also wohl noch eine kleine Weile dauern, bis auch in den Vorständen der 30 DAX-Konzerne Frauen und Männer zu gleichen Teilen vertreten sind. Denn es sind die Stereotypen in den Köpfen der Personalentscheider, die den Frauen die Führungsqualität und den Willen zur Führung nicht zugestehen. Und das selbst dann, wenn der Personalentscheider eine Personalentscheiderin, also eine Frau ist. Jetzt kann nur noch eine männliche Professorin aus Leipzig helfen. Vielleicht hat die Physikprofessorin Josef Käs ja gerade etwas Zeit übrig.
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