Tauben haben Navi im Kopf
Tauben finden immer zuverlässig zurück nach Hause. Diese Fähigkeit verdanken sie ihrem äußerst raffinierten Sinn für das Magnetfeld der Erde. Doch nicht nur das: Die klugen Vögel haben zudem eine Art mentale Karte des Raumes im Kopf.
Das „Rennpferd des kleinen Mannes“, die Brieftaube, findet immer wieder nach Hause. Und zwar unabhängig davon, ob sie von bekanntem oder von unbekanntem Gelände aus ihren Flug dorthin antritt. Das ist seit Jahrtausenden bekannt und die Orientierungskünstler der Luft waren deshalb in früheren Zeiten die Überbringer von guten oder schlechten, aber immer wichtigen Nachrichten. Eine regelrechte Brieftaubenpost errichteten im frühen Mittelalter die Ägypter. Im ersten Weltkrieg dienten Brieftauben auch militärischen Zwecken: Sie transportierten kleine Röhrchen mit winzigen Fotografien oder anderen kriegswichtigen Informationen. Ja, die Taubenpost begründete die Luftpost, die heute allerdings auf den Einsatz der fliegenden Orientierungskünstler verzichtet.
Tauben können ihre Flugziele selbst wählen
Bisher war klar, dass Tauben einen Mix aus Sonnenstand, Sternenkonstellationen und vor allem das Magnetfeld der Erde nutzen, um sich im Raum zu orientieren. Nicole Blaser, Biologie-Doktorandin am Anatomischen Institut der Universität Zürich konnte nun experimentell nachweisen, dass Tauben eine räumliche Vorstellung von ihrer Umgebung haben und damit kognitive Fähigkeiten besitzen. Sie erkennen in unbekanntem Gelände, wo genau sie sich gerade in Bezug zu ihrem Heimat-Taubenschlag befinden. Sie sind also mit einem eingebauten Navigationsgerät im Kopf unterwegs. Und: Tauben sind in der Lage, sich ihre Flugziele selbst zu wählen.
Die Tauben navigieren anhand einer mentalen Karte, die ihnen das Wissen um den sie umgebenden Raum gibt. Das ist das Ergebnis eines Tier-Experiments, welches in zwei Stufen verlief. In der ersten Stufe gewöhnten die Forscher die Tauben daran, ihr Futter nicht wie sonst üblich im Heimatschlag zu bekommen. „Wir fütterten die Tauben in einem zirka 30 Kilometer entfernten zweiten Schlag, von dem aus sie jeweils zurück in ihren Schlag fliegen mussten“, erklärt Blaser den Aufbau ihres Experiments.
Mentale Karte im Kopf vermittelt den Tauben das Wissen um den Ort
In Stufe zwei ging es für die Tauben ins Neuland. Sie wurden von den Forschern an einen dritten Ort in einem ihnen völlig unbekannten Gelände gebracht. Die Entfernung von Heimat- und Futterschlag betrug ebenfalls 30 Kilometer. Es gab durch natürliche Geländehindernisse keinen Sichtkontakt zwischen dem Startplatz im Neuland und den beiden den Tauben bekannten Schlägen.
Jetzt bildeten die Wissenschaftler zwei Gruppen von Tauben. Die eine konnte sich vor dem Heimflug satt fressen, die andere Gruppe dagegen musste hungrig an den Start. „Mit dieser Anordnung wollten wir herausfinden, ob die hungrigen Tauben zuerst zum Heimatschlag und von dort zum Futterschlag fliegen oder sie in der Lage sind, den Futterplatz direkt anzusteuern.“ Erwartungsgemäß flogen die satten Tauben direkt zum Heimatschlag. „Sie starteten bereits mit Kurs auf ihren Schlag und wichen nur kurzfristig von ihm ab, wenn sie Geländehindernisse umflogen“, erklärt Professor Hans-Peter Lipp, Neuroanatom an der Universität Zürich und Blasers Doktorvater. Ganz anders die Tauben aus der hungrigen Gruppe.
„Tauben fliegen eben mit Köpfchen“
Diese haben es nicht nötig, für ihre Orientierung zuerst nach Hause zu fliegen, um dann von dort aus den Futterplatz anzusteuern. Im Gegenteil: Sie nahmen äußerst zielstrebig bereits am Start Kurs auf den Futterplatz und flogen diesen direkt an. Bei Geländehindernissen umflogen sie diese, schwenkten im Anschluss aber sofort wieder auf Kurs in Richtung Futterplatz. Die klugen Vögel sind damit in der Lage, ihren Standort und ihre Flugrichtung in Bezug auf das Ziel zu bestimmen und zwischen mehreren Zielen zu wählen. „Tauben fliegen eben mit Köpfchen“, meint Nicole Blaser schmunzelnd.
Im Köpfchen der Tauben, genauer im Hirnstamm laufen die Informationen des Erdmagnetfeldes zusammen. Zwei Wissenschaftler des Baylor College of Medicine in Houston haben die Neurone der Navigationszentrale der klugen Vögel mit Elektroden angezapft und so zeigen können, wie die Tiere aus den Signalen der Magnetfeldrezeptoren die nötigen Positions- und Lageinformationen berechnen.
Spezialisierte Zellen erkennen die Magnetfeld-Orientierung
Le-Quing Wu und David Dickman implantierten dazu haarfeine Messgeräte in einer Hirnstammregion der Tauben, die auch für den Gleichgewichtssinn zuständig ist. Anschließend platzierten sie ihre sieben Versuchstiere bei völliger Dunkelheit in einer dreidimensionalen Anordnung aus Magnetspulen. So waren die Tauben vom Erdmagnetfeld vollkommen abgeschirmt. Die beiden Wissenschaftler konnten durch diese Anordnung sehr präzise Magnetfeldlinien verändern und so manipulieren. Sie probierten nun systematisch alle denkbaren Orientierungen der Magnetfeldlinien durch und zeichneten gleichzeitig die Reaktionen im Taubengehirn auf.
Sie erhielten Antworten von 50 der mehr als 300 abgehörten Neurone. Es zeigte sich: Jede der abgehörten Zellen im Taubenhirn ist spezialisiert auf eine bevorzugte Feldlinienorientierung und feuert maximal, sobald sie diese wahrnimmt. Neigt die Taube nun zum Beispiel den Kopf, so ändert sich ihre Orientierung im künstlich erzeugten Magnetfeld. Die eben noch maximal feuernde Zelle verstummt, und eine andere übernimmt die Antwort. Die Tauben verrechnen die Reaktion der einzelnen auf die jeweiligen Magnetfeldlinien spezialisierten Zellen an Ort und Stelle mit denen des Gleichgewichtssinns und gleichen sie mit dem konstant nach unten weisenden Vektor der Schwerkraft ab.
Damit hat die Taube ein neuronales Instrumentarium im Kopf, was ihr erlaubt sowohl die Himmelsrichtung, als auch ihre geographische Breite zu bestimmen. Denn je nach aktueller Position auf dem Globus treten die Erdmagnetfeldlinien in einem anderen Winkel aus dem Boden. Und in Kombination mit der mentalen Karte weiß die kluge Taube eigentlich immer, wo es gerade für sie lang geht.
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