TU Wien entdeckt neues Quasiteilchen
Durch Zufall wurde ein neues Quasiteilchen an der TU Wien entdeckt. Der Bindungszustand besteht aus zwei Elektronen, zwei Löchern und Licht.
Elementare Teilchen sind die bekanntesten Teilchenarten in der Physik und zudem fundamentale Bausteine der Materie. Andere Teilchen, wie Atome, sind im Detail Bindungszustände und bestehen aus mehreren, kleinen Bestandteilen. Ein Quasiteilchen ist die Anregung eines Vielteilchen-Systems, welches eine Dispersionsrelation (Energie-Impuls-Beziehung) wie ein herkömmliches Teilchen aufweist. Da die speziellen Teilchen nicht aus Materie bestehen, werden sie Quasiteilchen genannt. Zu den bekanntesten Quasiteilchen zählen die Löcher (Defektelektronen) in Halbleitern, Cooper-Paare, Phononen und Magnonen. Von Zeit zu Zeit werden neue Teilchen entdeckt. Das Pi-Ton, eines der jüngsten Quasiteilchen, wurde an der Technischen Universität (TU) in Wien sogar zufällig gefunden. Im Detail handelt es sich dabei um einen Bindungszustand, der aus zwei Elektronen, zwei Löchern und aus Licht besteht.
Zufällige Entdeckung eines neuen Quasiteilchens
Eigentlich wollten die Wissenschaftler der TU Wien etwas ganz anderes finden. In einer Computer-Simulation entdeckten sie stattdessen ein neues Quasiteilchen namens Pi-Ton. Im Fachmagazin „Physical Review Letters“ stellen die Wissenschaftler das neu entdeckte Quasiteilchen vor und beschreiben ausführlich, wie man den Bindungszustand aus Löchern, Elektronen und Licht experimentell nachweisen kann.
Ein Loch ist das einfachste Quasiteilchen
Professor Karsten Held vom Institut für Festkörperphysik an der Technischen Universität Wien erklärt: „Stellen wir uns einfach vor, dass sich in einem Kristall mehrere Atome befinden und an jedem einzelnen Atom sitzt ein bewegliches Elektron. Nur ein einziges Atom besitzt kein Elektron, sondern stattdessen ein Loch.“
Das Elektron vom benachbarten Atom kann dadurch nachrücken und somit wird das ursprüngliche Loch geschlossen. Am Nachbaratom entwickelt sich ein neues Loch. Anstatt die ständige Bewegung der nachrückenden Elektronen beschreiben zu müssen, ist es um einiges einfacher, die Bewegung der Löcher zu betrachten. Rücken die Elektronen beispielsweise nach rechts nach, so wandert das Loch automatisch nach links. Diese Bewegung folgt den bekannten, physikalischen Regeln und ähnelt der Bewegung von einem gewöhnlichen Teilchen. Während man ein Elektron auch von außerhalb des Kristalls sehen und beobachten kann, existieren die Löcher ausschließlich im Zusammenhang mit anderen Teilchen. In einem solchen Fall handelt es sich um ein Quasiteilchen.
Laut Karsten Held ist die Trennlinie zwischen einem herkömmlichen Teilchen und einem Quasiteilchen nicht ganz so eindeutig wie man es vermuten könnte.
„Ganz streng betrachtet kann man auch ein gewöhnliches Teilchen ausschließlich im Zusammenhang mit seiner Umgebung verstehen. Selbst in einem Vakuum entstehen regelmäßig sogenannte „Teilchen-Loch-Anregungen“. Ohne diese würde ein Elektron eine vollkommen andere Masse besitzen. Aus diesem Grund sieht man auch bei den Experimenten mit herkömmlichen Elektronen ein Quasiteilchen-Elektron.“
Komplizierte und komplexe Bindungen
Selbstverständlich gibt es noch weitaus komplexere und kompliziertere Quasiteilchen. Besonders bekannt ist das Exziton, welches im Bereich der Halbleiterphysik eine wichtige Rolle spielt. Im Detail handelt es sich dabei um einen Bindungszustand und dieser besteht aus einem Loch und aus einem Elektron. Das Licht regt den Bindungszustand an. Ist das Elektron negativ aufgeladen, besitzt das Loch eine positive Aufladung. Loch und Elektron ziehen sich an und können dadurch eine Bindung miteinander eingehen.
Die Erstautorinnen Dr. Petra Pudleiner und Dr. Anna Kauch berichten: „Ein solches Exziton wollten wir bei unserem Experiment eigentlich nicht untersuchen“. Mit unseren Computersimulationen kann man die Effekte in den Festkörpern quantenphysikalisch präzise berechnen.“ Gemeinsam mit der Kollegin Katharina Astleithner erkannten die beiden Erstautorinnen, dass sie bei ihren Berechnungen etwas ganz anderes entdeckt hatten – ein vollkommen neues Quasiteilchen.
Getauft wurde das Quasiteilchen auf den Namen Pi-Ton?
Dem bisher unbekannten Objekt gaben die Wissenschaftler den auffälligen Namen „Pi-Ton“. Die beiden Löcher und die beiden Elektronen werden entweder durch Spin-Fluktuationen oder Ladungsdichte-Fluktuationen zusammengehalten. Von einem Gitter im Kristall zum nächsten kehren sie ihren Charakter stets um 180 Grad um – dies entspricht dem Pi-Winkel (gemessen in Radiant).
Petra Pudleiner erklärt: „Die ständigen Wechsel von Minus nach Plus und umgekehrt kann man mit einem Wechsel von Weiß nach Schwarz auf einem Schachbrett vergleichen.“ Das neu entdeckte Quasiteilchen entsteht spontan, sobald ein Photon absorbiert wurde. Verschwindet das Pi-Ton, wird ein Photon wieder emittiert.
Das Quasiteilchen stammt aus einem Computer
Bisher wurde das Quasiteilchen ausschließlich am Computer gefunden und nachgewiesen. Das Forschungsteam der Technischen Universität Wien bezweifelt die Existenz des Pi-Tons jedoch nicht: Die Wissenschaftler haben das neu entdeckte Quasiteilchen mit vielen unterschiedlichen Modellen untersucht und dabei zeigte sich das Pi-Ton immer wieder. Laut Karsten Held sollte das Quasiteilchen definitiv in unterschiedlichen Materialen nachgewiesen werden können. Einige experimentelle Messdaten, die bei der Untersuchung des Materials Samarium-Titanat gewonnen werden konnten, deuten bereits auf das Quasiteilchen hin. Weitere Experimente mit Neutronen und Protonen sollen in Zukunft Klarheit schaffen.
Das Pi-Ton wird eine wichtige Rolle spielen
Obwohl es bereits unzählige Quasiteilchen gibt, ist die Entdeckung eines neuen Teilchens dennoch etwas ganz Besonderes. Nun gibt es neben dem bekannten Exziton noch das Pi-Ton. Das neu entdeckte Teilchen trägt in jedem Fall dazu bei, dass Wissenschaftler die Kopplung zwischen Festkörpern und Licht besser verstehen werden. Dieser wichtige Themenbereich spielt nicht nur bei der Grundlagenforschung, sondern in vielen weiteren technischen Anwendungen, unter anderem Halbleitertechnologie und Photovoltaik, eine zentrale Rolle.
Lesen Sie auch:
Ein Beitrag von: