Überlebensdauer von Lawinenopfern ist abhängig von der Schneedichte
Die Dichte des Schnees in einer Lawine hat großen Einfluss auf seinen Sauerstoffgehalt und damit auf die Überlebenschancen eines Lawinenopfers. Wissenschaftler in Südtirol haben das in einer experimentellen Studie mit Testpersonen und einer künstlichen Lawine überprüft.
Bei dieser Nachricht atmet der Leser erst einmal unwillkürlich ganz tief durch: Wissenschaftler in Südtirol haben mit Testpersonen und einer künstlichen Lawine experimentiert, um herauszufinden, welchen Einfluss die Schneedichte für das Überleben unter dem Schnee hat. Schon bei früheren Studien hatten die Forscher beobachtet, dass die Überlebensdauer unter einer Lawine mit trockenem lockerem Schnee länger sein kann, während Verschüttete unter nassem dichtem Schnee schneller zu ersticken drohen.
Jetzt wollten es die Wissenschaftler der Europäischen Akademie in Bozen (EURAC), der Medizinischen Universität Innsbruck und des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung in Davos genauer wissen. Von Januar bis März dieses Jahres wurden zahlreiche Daten in einer experimentellen Studie in Prags im Pustertal erhoben.
Im lockeren Schnee konnten Testpersonen problemlos 30 Minuten atmen
In der Studie beschränkte sich das Forscherteam auf ein einziges Volumen der Atemhöhle, auf eine gleichbleibende Temperatur und auf zwölf freiwillige Testpersonen, die entweder Mitglieder des Bergrettungsdienstes oder Medizinstudenten waren. Die Tests, für die die Forscher jeweils eine künstliche Lawine schufen, wurden im Januar, Februar und März bei unterschiedlichen Schneebedingungen durchgeführt. Die Probanden mussten allerdings nicht in die Lawine hinein, sondern atmeten von außen, direkt an der Schneewand, 30 Minuten lang in eine standardisierte Atemhöhle hinein.
Während dieser 30 Minuten überwachten die Forscher zahlreiche Parameter, die für das Überleben relevant sind, wie den Sauerstoffgehalt und Kohlendioxidwert im Blut und in der Atemhöhle, den Sauerstoffgehalt im Gehirn sowie weitere Körperfunktionen wie Puls und Blutdruck. Außerdem wurde zu Beginn und am Ende der 30 Minuten gemessen, wie viel Atemarbeit ein Proband aufwenden musste, um in die Atemhöhle zu atmen.
„Diese Tests simulieren ein komplexes System, da überlebenswichtiger Sauerstoff durch den Schnee in die Atemhöhle eindringen kann. Wir versuchen herauszufinden, wie das Verhältnis zwischen der Sauerstoffdiffusion in die Atemhöhle und der Schneedichte ist, weil ein Überleben im Schnee möglicherweise länger möglich ist als bisher vermutet“, erklären die Studienleiter Hermann Brugger und Giacomo Strapazzon vom EURAC-Institut für Alpine Notfallmedizin, sowie Peter Paal von der Medizinischen Universität Innsbruck.
Zum Vergleich ließen die Wissenschaftler die Probanden auch in luftdichte Plastiktüten atmen, wo kein Sauerstoff von außen in die Atemhöhle strömt. Dabei mussten die Untersuchungen allerdings aufgrund von Sauerstoffmangel nach zwei bis fünf Minuten beendet werden, während die Probanden bei gleich großen Atemhöhlen im lockeren Schnee problemlos 30 Minuten lang atmen konnten.
Untersuchung der Schneestruktur mit Computertomographie
Neben der Erhebung der medizinischen Daten analysierten Jürg Schweizer und seine Kollegen des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung in Davos die Schneedichte und Schneebeschaffenheit der bei den Tests verwendeten Atemhöhlen. Sie entnahmen Proben aus jeder ausgestanzten Atemhöhle – jeweils vor und nach jedem Test, um zu prüfen, ob sich die Struktur des Schnees durch das Atmen der Probanden in die Atemhöhlen verändert hatte. Außerdem transportierten sie Schneeproben der Atemhöhlen tiefgekühlt nach Davos und analysierten dort die Schneestruktur im Labor mit Hilfe einer Computertomographie.
Zusätzlich untersuchten sie die Luftdurchlässigkeit des Schnees, um festzustellen, wie viel Sauerstoff durch den Schnee in die Atemhöhle strömen kann. Dazu saugten sie Luft aus der Atemhöhle ab und maßen, wie schnell sich der so entstandene Unterdruck wieder normalisierte.
„Es sieht ganz danach aus, dass die jeweilige Schneedichte eine größere Rolle für das Überleben unter der Lawine spielen könnte als bisher angenommen. Die Studienergebnisse erwarten wir innerhalb eines Jahres. Sie sind besonders wichtig für die Richtzeiten bei der Bergung und Versorgung von Lawinenverschütteten und für die Entwicklung von neuen Sicherheitsausrüstungen für Tourengeher, Variantenskifahrer und Rettungsmannschaften“, resümiert das Forscherteam.
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