Überlebensstrategie: Fußballer sind bei Hitze langsamer, aber passgenauer
Die Deutsche Nationalelf wird bei der WM in Brasilien mit schwüler Hitze zu kämpfen haben. Bei solchen Bedingungen werden Spieler lauffauler, dafür aber passgenauer. Vor diesem Hintergrund zweifeln Sportwissenschaftler an der laufintensiven Strategie von Bundestrainer Joachim Löw.
Was so manchen Fußballfan bei subjektiver Beobachtung in Rage versetzt, scheint eine wissenschaftliche Tatsache zu sein: Man nehme ein Fußballspiel bei über 30 Grad. Die Laufstrecken jedes einzelnen Spielers werden gemessen. In der letzten Viertelstunde der Partie rennen einige nur noch halb so viel wie in den 75 Minuten zuvor. Wofür die eigentlich so viel Geld kriegen, fragt sich der Fan. Aber die Laufleistung ist offenbar unabhängig vom Gehalt – und auch nicht unbedingt ein Ausdruck mangelnden Engagements, sondern besonderer Cleverness.
Laufleistung sinkt bei Hitze um zehn Prozent
Der Sportwissenschaftler Billy Sperlich von der Uni Würzburg hat zusammen mit Kollegen eine Reihe von Studien zu diesem Thema ausgewertet, darunter die Analyse eines Spiels, die Reporter Hitzeschlacht nannten. Und die zeigte, dass die Spieler in den letzten 15 Minuten nicht nur weniger Strecke machten, sondern auch weniger Sprints und schnelle Antritte hinlegten. Die Laufleistung über das gesamte Spiel lag um fast zehn Prozent niedriger als bei Begegnungen bei frühlingshaften Bedingungen.
Sportwissenschaftler zweifelt an Taktik der deutschen Nationalelf
Die Forscher beobachteten zugleich, dass die Passgenauigkeit um etwa den gleichen Prozentsatz zunahm. „Solche Aktionsanalysen sind natürlich mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Man könnte aber schon sagen, dass der clevere Spieler besser mit der Hitze zurechtkommt, weil er sich durch gutes Auge beispielsweise Sprints ersparen kann“, sagt Sperlich. Der Sportwissenschaftler hat einige Zweifel, ob das vom Bundestrainer verordnete laufintensive Spiel der deutschen Mannschaft in Brasilien funktionieren kann. Das Auftaktspiel gegen Portugal beginnt um 13 Uhr Ortszeit, bei Temperaturen über 30 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit.
Wenn die Außentemperatur der Körpertemperatur von etwa 37 Grad zu nahe kommt, ist das Gefälle zu gering und der Körperkern erwärmt sich. Das führt zu längeren Reaktionszeiten und beeinflusst die Feinmotorik. Sperlich empfiehlt als Gegenmaßnahmen – neben richtiger Kleidung, passender Ernährung und ausreichender Akklimatisation – halbgefrorene Getränke, weil sie den Körper am schnellsten kühlen. Zu viel davon sei für den Magen allerdings nicht gut.
Kühlwesten könnten vor dem Spiel Körpertemperatur senken
Was kann man also noch tun? Die Spieler könnten vor dem Anpfiff Kühlwesten tragen, die die Körperkerntemperatur senken. „Dies verlängert die Zeit, bis die Körperkerntemperatur in einen leistungslimitierenden Bereich ansteigt“, erklärt Sperlich. 20 Minuten würden für einen messbaren Effekt reichen. Im Übrigen sei Sonnencreme wichtig, denn ein Sonnenbrand reduziere die Durchblutung der Haut und verringere damit den Wärmetransport nach Außen.
Wenn es im besonders heißen und feuchten Fortaleza gegen Ghana geht, fürchten viele Fans Vorteile für die hitzegewohnten Afrikaner. Da gibt Sperlich Entwarnung: Erstens seien die meisten Spieler Ghanas in Europa aktiv und deshalb gar nicht so gut angepasst, wie man glaubt. Und zweitens würden die acht Tage, die die deutsche Mannschaft für die Akklimatisierung bis zum Auftakt hat, völlig ausreichen. „Man kann sagen: Der Körper lernt, effektiver zu schwitzen. Es wird mehr dünnflüssiger Schweiß ausgeschieden und somit weniger Elektrolyte“, sagt Sperlich. Das sei in einer Studie bewiesen worden, für die finnische Fußballer in die Wüste geschickt wurden. Fazit: Mit Ausreden wegen des Klimas wird es schwierig.
Ein Beitrag von: