Versunkene Welten 07.01.2025, 14:15 Uhr

Unerwartete Plattenreste im Erdmantel: Forscher staunen

Muss die Geschichte der Plattentektonik neu geschrieben werden? Forschende haben unter dem Pazifik versunkene Welten gefunden.

Plattentektonik

Ein neues Computermodell macht im unteren Erdmantel Material sichtbar, das nicht von abgetauchten Platten stammen kann.

Foto: Sebastian Noe / ETH Zürich

Geophysiker*innen der ETH Zürich und des California Institute of Technology (CalTech) haben mit Hilfe eines hochauflösenden Modells erstaunliche neue Erkenntnisse über den Erdmantel gewonnen. Ihre Beobachtungen werfen grundlegende Fragen über die Plattentektonik auf. Könnte es sein, dass unser Verständnis von der Dynamik der Erdkruste eine Revision benötigt?

Das Rätsel des Erdmantels

Tief unter der Erdoberfläche liegt der Erdmantel – eine Schicht, die etwa 2900 Kilometer dick ist und den großen Teil des Erdvolumens ausmacht. Sie spielt eine entscheidende Rolle für die Plattentektonik, da die Konvektionsströme im Mantel die Bewegungen der tektonischen Platten antreiben. Doch direkte Einblicke in diese verborgene Welt sind unmöglich. Selbst die tiefsten Bohrungen reichen nur wenige Kilometer unter die Oberfläche.

Stattdessen nutzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seismische Wellen, die durch Erdbeben erzeugt werden. Diese Wellen breiten sich durch das Erdinnere aus und werden dabei von verschiedenen Gesteinsschichten beeinflusst. Die Geschwindigkeit und Richtung der Wellen liefern wertvolle Informationen über die Beschaffenheit der durchlaufenen Materialien.

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„Seismische Wellen sind unser Fenster ins Erdinnere“, erklärt Andreas Fichtner, Professor an der ETH Zürich. Mithilfe von Seismogrammen, den Aufzeichnungen dieser Wellen, erstellen Forschende detaillierte Modelle des Erdinneren. Diese Technik ist vergleichbar mit Ultraschall in der Medizin, wo Strukturen im Körper sichtbar gemacht werden, ohne ihn zu öffnen.

Unerwartete Funde: Plattenreste an ungewohnten Orten

Die etablierte Theorie der Plattentektonik beschreibt, wie tektonische Platten an sogenannten Subduktionszonen ins Erdinnere abtauchen. Dort verbleiben sie über Jahrmillionen, bevor sie sich durch die heißen Temperaturen und hohen Drücke allmählich auflösen. Diese Prozesse sind zentral für den geologischen Kreislauf der Erde, der die Bildung und Zerstörung von Krustenmaterial regelt.

Mit ihren neuen Modellen entdeckten die Forschenden jedoch seismische Anomalien, die darauf hindeuten, dass versunkenes Plattenmaterial an unerwarteten Stellen im Erdmantel vorhanden ist. Besonders auffällig war eine Zone unter dem westlichen Pazifik, weit entfernt von bekannten Subduktionszonen. „Dort sollte nach bisherigen Annahmen kein solches Material existieren“, sagt Thomas Schouten, Hauptautor der Studie. Auch unter anderen Ozeanen und sogar tief im Inneren von Kontinenten fanden sich diese rätselhaften Zonen.

Was steckt hinter den Anomalien?

Die neuen Erkenntnisse werfen grundlegende Fragen auf: Woher stammen diese Anomalien, und warum liegen sie an solchen Orten? Schouten erklärt: „Wir vermuten, dass diese Anomalien mehrere Ursachen haben könnten. Möglicherweise handelt es sich um sehr alte Gesteinszonen, die seit der Entstehung des Erdmantels bestehen und durch Mantelkonvektion nicht zerstört wurden.“ Eine andere Hypothese ist, dass sich eisenreiche Materialien über Milliarden Jahre hinweg in bestimmten Bereichen angereichert haben.

Darüber hinaus könnten diese Zonen Hinweise auf Prozesse geben, die bisher nicht in die gängigen Modelle der Plattentektonik eingeflossen sind. Beispielsweise könnte es Regionen geben, in denen tektonische Platten anders abtauchen oder sich anders zersetzen als bisher angenommen.

Bessere Modelle, neue Möglichkeiten

Der Durchbruch bei diesen Entdeckungen war nur durch modernste Technologien möglich. Das Verfahren der Full Waveform Inversion, das die Daten aller Erdbebenwellenarten kombiniert, ermöglicht eine bislang unerreichte Auflösung der Modelle. Die hohe Rechenintensität dieser Methode erfordert den Einsatz von Supercomputern wie Piz Daint am CSCS in Lugano. Diese leistungsstarken Rechner können riesige Datenmengen verarbeiten und liefern detaillierte Bilder der Mantelstruktur.

Doch selbst diese Technik hat ihre Grenzen. Bisher können die Modelle nur die Geschwindigkeit der seismischen Wellen abbilden. Schouten betont: „Wir müssen die Materialeigenschaften, die hinter den beobachteten Mustern stecken, detaillierter untersuchen. Dazu benötigen wir noch präzisere Daten und bessere Rechenmodelle.“ Dies würde es erlauben, die chemische Zusammensetzung und die physikalischen Eigenschaften der Anomalien genauer zu bestimmen.

Was die Entdeckungen bedeuten

Die Entdeckung unerwarteter Plattenreste im Erdmantel hat weitreichende Konsequenzen für das Verständnis der Plattentektonik. Sie zeigt, dass der Erdmantel weitaus komplexer ist als bisher angenommen. Diese neuen Hinweise könnten auf Prozesse deuten, die in den aktuellen Modellen fehlen, oder auf eine bisher unbekannte Dynamik im Erdinneren hinweisen.

Darüber hinaus werfen die Funde Fragen über die geologische Geschichte der Erde auf. Wie alt sind diese Strukturen, und welche Rolle spielten sie in der Entwicklung des Planeten? Die Antworten darauf könnten nicht nur unser Wissen über die Erde verändern, sondern auch Auswirkungen auf andere Forschungsfelder wie die Vulkanologie oder die Klimaentwicklung haben.

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Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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