„Unser täglich Brot“: Industrialisierung der Ernährung
Um die Ernährung, das heißt um die Grundlage des gesamten menschlichen Lebens, geht es zurzeit in Mannheim
Die Bedeutung von Brot geht weit über seinen Wert als Nahrungsmittel hinaus. Wer über Brot verfügte, hatte Macht. Im jüdischen und im christlichen Glauben ist Brot ein Symbol für das Leben geworden. Dieses religiöse Verständnis findet Ausdruck in Gemälden und kultischen Geräten.
„Unser tägliches Brot gib uns heute, die erste weltliche Bitte des Vaterunsers, zeigt den außergewöhnlichen Stellenwert an, den das Brot einmal hatte“, betont Oliver Seifert vom Museum der Brotkultur in Ulm. „Bis zum Beginn der Neuzeit“, ergänzt er, „ja mancherorts noch bis an die Schwelle des 20. Jahrhunderts war Getreide mit weitem Abstand vor Gemüse und gar Fleisch die Hauptnahrung der Menschen und das in so ausschließlicher Weise, dass Getreidemangel gleichbedeutend mit Hunger war. So konnte Brot über Jahrtausende als Inbegriff von Nahrung überhaupt gelten.“
Das Brot hat eine lange Geschichte
Die Mannheimer Ausstellung zeigt, wie sich dieses „Nahrungsmittel Nr. 1“ im Verlauf von rund 6000 Jahren unter dem Einfluss unterschiedlicher kultureller Kontexte und technologischer Standards verändert hat. Eine erste Form der Getreidenahrung war der mit Wasser angerührte Getreidebrei. Die Trocknung dieses nicht aufgehenden, ungesäuerten Teigs (Azyme) unter heißer Asche führte zum Fladen.
Brot im eigentlichen Sinn kam wohl im 6. Jahrtausend v. Chr. mit der Verbreitung des Tonbrennofens auf. Seifert: „Nur der geschlossene Backraum des Ofens erlaubt das gleichmäßige Ausbacken des vorgegärten (gesäuerten) Teiges zum Brotlaib der chemische Prozess ist als Verkleisterung des Mehl-Eiweißes zu beschreiben.“
Wo genau sich der Übergang vom Fladen zum Brot vollzogen hat, kann nicht mehr festgestellt werden. Sicher ist, dass die ägyptischen Pharaonen bereits zahlreiche Brotsorten kannten. Die älteste Darstellung einer Hofbäckerei mit unterschiedlichen Brotarten stammt aus der Grabkammer Ramses III. (1184 bis 1153 v. Chr.).
Das Bäckerhandwerk entstand mit der Gründung von Städten und Zünften
Im Hochmittelalter entwickelten sich im Heiligen Römischen Reich mit der Gründung von Städten die Zünfte. „Das Bäckerhandwerk“, so Seifert, „entfaltete sich nun auch jenseits der Höfe und Klöster. Der Wettbewerb in den Städten, die (wenig) verbesserten Verkehrsmöglichkeiten und die herrschaftliche Zersplitterung der Territorien führten zu einer Vielfalt an Brotsorten.“
Die Bäcker wurden unterschieden nach den von ihnen verarbeiteten Teigen: Brot-, Semmel-, Kuchen-, Zucker- und Kunstbäcker, wobei die eigentlichen Brotbäcker sich je nach Verwendung von hellem Weizenmehl, das einen lockeren Teig ergibt, oder dunklem Roggen, der fester backt, in Weiß- und Schwarzbäcker bzw. in Los- und Fastbäcker (Festbäcker) unterteilten.
War die Berufsbäckerei eine Domäne der Männer, so buken im Haus die Frauen. Sie entfalteten die Brauchtumsgebäcke aus Anlass mannigfaltiger Feste des Jahreskreises, zu Geburt, Patenschaft, Hochzeit, Begräbnis. „Durch bestimmte Brotformen – Zöpfe, Kringel, Seelen – und figürliche Gebäcke – Gebildbrote – wird Brot zum essbaren Medium, durch das die jeweiligen Anlässe im wörtlichen Sinn verinnerlicht, das heißt auf sinnlichste Weise kommuniziert und tradiert werden können“, schwärmt Seifert.
Die Prognose einiger Zukunftsforscher in den 1960er-Jahren, wir würden unsere Nahrung bald nur noch in Form von Pillen zu uns nehmen, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt. Dennoch haben sich die Bedingungen des Backens völlig gewandelt: Rohstoffe, Verarbeitung, Betriebsstruktur und Konsum. Nährstoffreiche, widerstandsfähige und ergiebige Getreidesorten wurden gezüchtet. Ingenieurwissen und moderne Gusstechniken perfektionierten den Walzenstuhl mit stählernen Walzen.
Brot-Herstellung: Heute kneten nur noch Maschinen
Eine umfassende Maschinentechnik hat die archaischen Tätigkeiten des Bäckers ersetzt: Knet-, Wirk- und Teigteilmaschinen bis hin zur elektronisch gesteuerten Brezelschlingmaschine. Kühltechniken, die sogenannte Bäckerkälte, Konservierung, luftdichte Verpackungen erfordern detaillierte Kenntnis der Gär-, Nährstoff- und Alterungschemie (Rückkristallisation der Kleister in Stärkemoleküle) sowie eine hinreichend große Produktion, um die teuren Verfahren und Apparate rentabel zu nutzen.
„Die Mannheimer Ausstellung umschreibt zeitlich den Bogen vom Aufkommen der ersten industriell hergestellten Konserven im 19. Jahrhundert bis zur computergesteuerten Nahrungsproduktion heute“, erläutert Museums-Mitarbeiterin Marit Teerling. „Ernährung hat auch einen starken interkulturellen Aspekt“, ergänzt Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz. „Essend lernen wir ein Stück der fremden Kulturen kennen und schätzen – und nähern uns so einander an.“
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