Urmenschen verwendeten Muscheln als Leinwand für Gravuren
Nicht nur der moderne Mensch Homo sapiens war in der Lage, künstlerisch tätig zu sein. Dies zeigt die neueste Entdeckung niederländischer Wissenschaftler: Sorgfältig eingeritzte Muster auf 500.000 Jahren alten fossilen Muscheln weisen darauf hin, dass bereits der asiatische Homo erectus exakte Muster gravieren konnte. Diese überraschende Entdeckung verändert auch die Erkenntnisse der Evolution über das menschliche Verhalten.
Geometrische Muster in Zickzack-Linien, in Form des Buchstabens M und des spiegelverkehrten N haben Wissenschaftler auf fossilen Muscheln gefunden, als sie Hunderte fossiler Gegenstände der Sammlung Dubois im naturgeschichtlichen Museum Naturalis im niederländischen Leiden untersuchten. Die Muschelschalen wurden 1890 in Trinil auf Java von dem niederländischen Arzt und Forscher Eugène Dubois gefunden.
Die Entdeckung kam völlig überraschend für das niederländische Team um José Joordens von der Universität Leiden. Die Bedeutung der Gravuren ist zwar noch unklar, jedoch machen sie deutlich, dass bereits der Frühmensch Homo erectus Fähigkeiten hatte, welche die Wissenschaft bisher erst dem modernen Menschen Homo sapiens zutraute. „Bis zu dieser Entdeckung wurde davon ausgegangen, dass vergleichbare Gravuren nur von dem modernen Menschen, Homo sapiens, vor etwa 100.000 Jahren in Afrika gemacht wurden“, erklärt Joordens, die Hauptautorin der Studie.
Das exakt gravierte Muster auf der gefundenen Muschelschale ist damit etwa 300.000 Jahre älter als alle bisher anerkannten Zeugnisse von Menschenhand. Damit ist bewiesen, dass nicht erst der Homo sapiens die geistige und motorische Fähigkeit hatte, exakte Muster zu gravieren.
Haifischzähne als Werkzeuge
Der Frühmensch Homo erectus konnte gleichmäßige Muster ohne Absetzen schaffen. „Es gibt keine Lücken zwischen den Linien an den Wendepunkten, was nahelegt, dass darauf geachtet wurde, ein gleichmäßiges Muster zu schaffen“, schreiben Joordens und Kollegen in ihrer Studie. Experimente an anderen Muscheln zeigen, dass die Gravuren möglicherweise mit Haifischzähnen als Werkzeuge durchgeführt wurden.
Bei den Muschelschalen scheint es sich nicht um natürlich gemischte Muschelpopulationen zu handeln, sondern nur von erwachsenen Tieren, meint Joordens. Die Forscher gehen davon aus, dass es sich daher um Reste von Muschelmahlzeiten handelt. Etwa 80 Prozent der gefundenen Muschelschalen haben an der gleichen Stelle ein Loch, an der die Muschel normalerweise mit einem Muskel in der Schale verbunden ist. Dies könnte darauf hinweisen, dass der Homo erectus damals die Muscheln genau an gleicher Stelle anbohrte, um an das Muschelfleisch zu gelangen.
Frühe Form der Kunst?
„Es ist fantastisch, dass diese gravierten Muschelschalen in einer Museumssammlung entdeckt wurden, wo sie sich bereits mehr als hundert Jahre befindet. Menschen werden sich nun die Frage stellen, ob es sich dabei um eine frühe Form der Kunst handelt“, sagt Will Roebroeks, Professor der Altsteinzeit Archäologie an der Universität Leiden, über den Fund.
„Obwohl es derzeit nicht möglich ist, die Funktion oder Bedeutung der gravierten Muschel zu bewerten, weist die Entdeckung darauf hin, dass das Einritzen abstrakter Muster im Rahmen der geistigen und motorischen Fähigkeiten des asiatischen Homo erectus lag“, heißt es in der Studie.
Die Entdeckung lässt vermuten, dass Asien noch recht unerforscht auf dem Gebiet der Wissenschaft vom Menschen ist. Die Wissenschaftler erwartet nun noch vielversprechende Antworten auf Fragen zur Anthropologie.
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