„Viele denken im Markt an Profit, aber nicht an Moral“
Geld oder Leben, in einem Experiment der Bamberger Ökonomin Nora Szech und ihres Bonner Kollegen Armin Falk ging es genau darum. Sie haben dabei herausgefunden, dass es einen grundlegenden Unterschied macht, ob jemand individuell entscheidet oder sich in einer Marktsituation bewegt. Wie Marktkräfte dafür sorgen, dass moralische Standards ignoriert werden, erklärt Szech im Interview.
VDI nachrichten: Wie sind Sie bei dem Experiment vorgegangen?
Szech: Ausgangspunkt war die Frage, ob Märkte unser moralisches Verhalten beeinflussen können. Die Versuchsteilnehmer sollten darüber entscheiden, ob sie einer Maus das Leben schenken oder die Maus töten und dafür einen Geldbetrag entgegennehmen wollten. Ein Teil der Probanden entschied individuell, er befand sich also nicht in einer Marktsituation. Ein anderer Teil agierte in verschiedenen Marktsituationen, das heißt in der Rolle eines Käufers oder Verkäufers, der seine Maus verkaufen und damit töten kann.
Wie sahen die Marktbedingungen aus?
Wir haben kleine Märkte untersucht, in denen ein Käufer mit einem Verkäufer handeln kann. Und wir haben große Märkte untersucht, mit vielen Käufern und Verkäufern – konkret waren es sieben Käufer und neun Verkäufer in den größeren Märkten.
Und wie lautet Ihr Ergebnis?
Die Bereitschaft zu töten war in den Märkten deutlich höher: Knapp 46 % der Teilnehmer in der Individualbedingung waren bereit, die Maus für Geld zu töten. Dieser Wert stieg im größeren Markt auf über 75 % an. Erschreckt hat uns dabei, dass die Probanden bereit waren, die Mäuse bereits bei einem Betrag von 5 € töten zu lassen.
Daraus lässt sich also schließen: Märkte untergraben die Moral. Wie lässt sich das Verhalten des Kollektivs erklären?
Die Standardbegründungen der Teilnehmer lauteten: Ich wollte Profit machen. Ich mag keine Mäuse. Ich brauche das Geld. Andere haben das auch gemacht.
Die Menschen sehen in solch einer Situation, dass die anderen auch auf den Profit schauen. Das macht es leichter, moralische Bedenken zu überwinden. Und dann ist es so, dass in einer Masse von Menschen der Einzelne sich sagt: Mein Verhalten ist doch sowieso egal!
Interessant waren die Reaktionen nach dem Ende unseres Experiments. Diejenigen, die im Markt das Geldangebot akzeptiert und die Maus zu Geld gemacht hatten, gaben häufig an, ihre Entscheidung zu bereuen.
Märkte und Moral – passt das überhaupt zusammen?
Viele denken im Markt an Profit, aber nicht an Moral. In Märkten wirken Mechanismen, durch die wir unser moralisches Empfinden herabsetzen können. Die Akteure können etwa ihre Schuldgefühle mit anderen im Markt teilen. In der Ökonomie beschäftigen wir uns häufig mit Fragen des Marktdesigns, beispielsweise: Wie kann man Märkte effizient gestalten oder steuern? Aber sobald eine moralische Dimension ins Spiel kommt, wirken offensichtlich psychologische Mechanismen, die wir in unseren Marktmodellen genauer abbilden müssen.
Tritt das beobachtete Phänomen nur in Marktsituationen auf? Ein solches Verhalten lässt sich an jeder roten Ampel beobachten. Sobald einer aus einer Gruppe die Straße überquert, folgen ihm andere, ohne auf Grün zu warten.
Das ist richtig. In Märkten kommen allerdings mehrere Effekte zusammen. Es ist für uns normal geworden, im Markt insbesondere an den Profit zu denken. Bei der Ampel haben viele Menschen grundsätzlich noch eher Skrupel, ein schlechtes Vorbild abzugeben. Liegt der Fokus auf Geld und Gewinn, oder auf den vielen Anderen, die am Markt beteiligt sind, werden moralische Bedenken schwächer. Man denke auch an die berühmte Schnäppchenjagd, umschrieben mit Geiz ist geil, eine Verhaltensweise, die teils sehr undifferenziert als Tugend dargestellt wird. Arme Menschen haben sicherlich ihre Gründe für Sparsamkeit. Trotzdem sind mehr gesellschaftliche Debatten notwendig über Produktionsbedingungen, Handlungsfolgen – und auch über Werte.
Marktteilnehmer sind auch Entscheider in Wirtschaft und Politik. Wie können sie moralische Standards aufbauen bzw. mit welchen Methoden oder Werkzeugen festigen – womöglich gegen den vorherrschenden Mainstream?
Es ist ganz gut, wenn die Menschen sich als Einzelne in der Pflicht sehen und sich nicht hinter anderen verstecken können. Für Unternehmen ist es wichtig, auf die eigenen Strukturen zu achten: Wird ein Unternehmen autoritär geführt oder herrscht eine gleichberechtigte Entscheidungskultur? Wie sollte ein Gremium, ein Komitee oder eine Projektrunde zusammengesetzt sein, wie ist die Stimmgewichtung, auf welche Weise wird Einfluss genommen? Und: Traut sich ein Arbeitnehmer, moralische Bedenken zu äußern? Herrscht ein Klima der Offenheit, das dies zulässt?
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