Wenn der Chef zur Kurzandacht bittet
Seit Firmen von der Krise durchgerüttelt werden und Finanzmärkte für Unruhe sorgen, meldete der Kongress christlicher Führungskräfte sein Allzeithoch. Gut 4000 Teilnehmer strömten zum letzten Anlass nach Düsseldorf. Zehn Jahre zuvor kamen erst 1000 Teilnehmer, ein Indiz dafür, dass christlich sein im Trend liegt, und trotz Kirchenskandalen der Glaube Einzug in die Arbeitswelt hält.
In den USA dauert diese Entwicklung schon länger an. Im Jahr 1996 wurde hier ein Dienstleister der besonderen Art gegründet: Corporate Chaplains vermittelt Geistliche an Firmenkunden. Einmal pro Woche kommt der Pfarrer dann in die Firma, leiht Mitarbeitern, die Angst oder Seelenschmerz haben, sein Ohr. „Jeder Soldat kann sich von einem Geistlichen betreuen lassen, wenn er weit weg von Familie, Gemeinde und Kirche ist. Warum soll dasselbe nicht auch für Manager in Unternehmen möglich sein?“, beschreibt Dan Truitt von Corporate Chaplains das Credo seiner Organisation. Mitarbeiter würden ihre spirituellen Bedürfnisse nicht an der Firmentüre abgeben – deshalb folgt ihnen die Kirche ins Büro.
Seelentrost am Schreibtisch ist inzwischen ein großes Ding geworden: 100 000 Mitarbeiter betreut Geistlichen-Vermittler Truitt inzwischen, ein weiterer Dienstleister, Marketplace Chaplains, bringt es sogar auf 500 000 Mitarbeiter. Weil die Nachfrage nach den Geistlichen so hoch ist, bilden die Dienstleister laufend neue Büro-Seelsorger aus.
Dieser Trend ist längst auch in der Alten Welt angekommen. Gestresste Seelen, die täglich mit Entlassungsprogrammen, überlasteten Chefs und haufenweise Problemen zu tun haben, leiden überall auf der Welt unter denselben Nöten. Vermeintlich Antworten auf die drängenden Fragen gibt nicht nur der Kongress Christlicher Führungskräfte, sondern auch Anselm Grün. Dieser Mönch, der Berufstätigen Streicheleinheiten für die Seele liefert, hat inzwischen mehr öffentliche Auftritte als Schlagerstar Udo Jürgens, dessen Tourneen 120 bis 140 Termine umfassen. „Spirituell führen“ ist Grüns Botschaft, der Mönch ist überall, heute bei der Sparkasse Erlangen, morgen beim Bayerischen Bauernverband, dann bei den Wirtschaftsjunioren Forchheim. Auch Mönchskollege Anselm Bilgri, ehemaliger Cellerar des Klosters Andechs, steht so oft auf der Bühne, dass eine Illustrierte ihn bereits zum „Manager-Messias“ beförderte.
Peer-Detlef Schladebusch, der für die Hannoverschen Landeskirche speziell Menschen im Arbeitsleben berät, spürt den neuen Trend ebenfalls. „Bei vielen Berufstätigen hat sich das Bewusstsein verstärkt, dass sie noch eine zusätzliche Kraft brauchen“, sagt der Pastor. Deshalb nehmen sie ihren Glauben, früher gut gehütete Privatsache, mit ins Büro. „Die Menschen wollen ungespalten leben. Das Vaterunser hat seinen Platz nicht nur am Sonntag in der Kirche. Der ganze Alltag soll im Einklang mit dem christlichen Glauben stehen“, sagt Norman Rentrop, Unternehmer, Mäzen und Gründungs-Sponsor des christlichen Senders Bibel TV. Bei vielen Berufstätigen ist die christliche Botschaft schon im Arbeitsalltag verankert. Ein Beispiel sind die firmeninternen Treffen zum gemeinsamen Gebet. In der Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt etwa gibt es einen Gebetskreis er ist Teil des Diversity-Programms des Dienstleisters. Im Jahr 2004 wurde der Kreis gegründet, inzwischen fühlen sich dieser Initiative 80 Mitarbeiter locker verbunden.
Auch Kleinunternehmer praktizieren offen die christliche Botschaft. Bei Suchy Messtechnik etwa, einem 15-Mitarbeiter-Betrieb im sächsischen Lichtenau, kommt Gottes Botschaft an den Arbeitsplatz. Immer freitags führt Inhaber Frank Suchy ein geistliches Kurzseminar durch, das 20 Minuten dauert. Überdies schließt das gemeinsame Frühstück, zu dem sich interessierte Mitarbeiter treffen, jeden Tag mit einer Kurzandacht.
Überraschend sei dieser Trend zum praktizierten Glauben im Büro nicht, sagt Hans Thomas, Direktor des Lindenthal-Instituts: „Wenn Arbeit nur Geld bringt, ist auf Dauer niemand wirklich zufrieden“. Seine private Kölner Denkfabrik ist auf die Themen Ethik, Werte und Glauben spezialisiert. Mit diesem Wissen sagt Thomas: „Je stärker der Kapitalismus einseitig auf Rendite setzt, desto mehr suchen die Menschen nach Würde, Sinn und Anerkennung.“
AXEL GLOGER
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