Wenn Korken knallen und CO2-Bläschen steigen
Wenn der Sektkorken aus der Flasche katapultiert wird, gehen nur fünf Prozent der gespeicherten Energie in seinen Flug. Den weitaus größten Teil der Energie verbraucht dagegen der laute Knall. Französische Wissenschaftler aus dem Zentrum des feinen Schaumweines, der Champagne, widmen sich der Physik des Sektkorkens.
Wie viel Sekt Gérard Liger-Belair selbst konsumiert, ist nicht bekannt. Fest steht aber, dass der Physiker und sein Team in den letzten Jahren Hunderte von Sektflaschen entkorkt haben – streng im Dienste der Wissenschaft. Der 42-jährige Franzose arbeitet an der Universität von Reims, und erforscht dort, im Zentrum der Champagne und der Heimat des weltberühmten Schaumweines, die physikalischen Eigenschaften rund um den Champagner.
Winzige Sekt-Tröpfchen fliegen bis zu zehn Zentimetern weit
„Das Herz des Champagner“, sagen die Wissenschaftler, „liegt in seinen Bläschen.“ Deren Verhalten sind die Forscher mit einer Infrarot-Hochgeschwindigkeitskamera auf die Spur gekommen. Die kleinen Bläschen aus Kohlendioxid entstehen im zweiten Teil der Champagner- und Sektgärung, wenn der Rohwein aus Fässern in Flaschen umgefüllt und mit einem Zusatz von Zucker und Hefe in die zweite Gärungsphase gebracht wird. Rund 18 Gramm Zucker pro Dreiviertelliter-Flasche sorgen so im Laufe von anderthalb Jahren Reifezeit für rund neun Gramm CO2-Moleküle. Vor dem Öffnen liegen sie gelöst in der Flüssigkeit und gasförmig im Flaschenhals vor.
Schüttet man sich ein Glas Sekt ein, werden etwa zwei Millionen dieser Bläschen freigelassen. Wird das Glas zum Mund gehoben, platzen die Bläschen an der Oberfläche und geben bereits mit kleinsten Tröpfchen aromatischer Moleküle eine Vorahnung auf das Geschmackserlebnis. Beim ersten Schluck sind die Bläschen dann verantwortlich für das sensorische Gefühl des Weines – zu viele Bläschen wirken unangenehm, zu wenige enttäuschend. Mit ihrer Kamera, die 5000 Bilder pro Sekunde schießt, haben die französischen Wissenschaftler die Explosion der Bläschen genau festgehalten. „Bei der Explosion entsteht ein winziger Krater auf der Oberfläche“, erklärt Liger-Belair den Vorgang. „Der Krater schließt sich und schießt dann einen flüssigen Faden in die Höhe. Der Faden bricht in winzige Tröpfchen auseinander, die bis zu zehn Zentimeter fliegen können.“
Je sauberer das Glas, desto weniger Bläschen werden gebildet
Die Forscher fanden auch heraus, dass perfekt saubere Gläser, wenn sie luftgetrocknet aus der Spülmaschine kommen, gar nicht gut sind für die aromatische Bläschen-Produktion. Kleine Schnüre von Kohlendioxid-Molekülen haften nämlich am besten dort, wo sich mikroskopische Fasern, etwa vom Geschirrtuch, im Glas befinden. Das flüssige CO2 sammelt sich dort und bildet neue Bläschen. Je sauberer das Glas, desto weniger sprudelt es also. Manche Glashersteller nutzen diese Entdeckung bereits und ätzen winzige Punkte auf den Glasboden ein, die einen markanten Ring von Bläschen, der vom Boden aufsteigt, zu erzeugen.
Auch der physikalischen Kräfte, die beim Entkorken der Flasche entstehen, haben sich die Wissenschaftler gewidmet. Und wieder kam die Infrarot-Hochgeschwindigkeitskamera zum Einsatz, um das ausströmende Kohlendioxid vermessen zu können. Wie erwartet zeigte sich, dass wärmere Flaschen die Korken schneller herausschnellen lassen. Je wärmer der Sekt, desto weniger Gas bleibt gelöst und desto mehr entweicht in den Hohlraum unter dem Korken. Insgesamt kann sich in der Flasche ein Druck von knapp fünf Bar aufbauen.
Bei vier Grad Celsius blieb die CO2-Wolke klein und entfernte sich mit dem Korken schnell von der Öffnung, während sie sich bei 18 Grad groß und um den Flaschenhals herum entwickelte. Das Gas selbst ist zwar für das Auge unsichtbar und zeigt sich nur im Infrarotbereich. Aber indirekt ist es zu erkennen, weil es die Umgebungsluft beim schnellen Ausströmen abkühlt und leichten, wabernden Nebel an der Flaschenöffnung entstehen lässt.
Jeder Deutsche ab 16 Jahren trinkt im Schnitt 48 Gläser Sekt im Jahr
Was Liger-Belair und sein Team jedoch erstaunte, war die Tatsache, dass der allergrößte Teil der gespeicherten Energie offenbar nicht in den Flug des Korkens, sondern in akustische Energie umgesetzt wurde. In einem thermodynamischen Modell stellten die Wissenschaftler die wichtigsten physikalischen Faktoren wie Temperatur und Volumen, Druck und Geschwindigkeit, Löslichkeit des gespeicherten CO2 und gespeicherte Energie, vor und nach dem Öffnen zusammen. Das Ergebnis zeigte, dass nur knapp fünf Prozent der potenziellen Energie im System, die beim Öffnen freigesetzt wird, zur kinetischen Energie des Korkenflugs verbraucht wird. Der Rest, so vermuten Liger-Belair und sein Team, verpufft als akustische Schockwelle im Öffnungsknall.
Die deutschen Schaumweinhersteller werden diese wissenschaftlichen Erkenntnisse wohl eher beiläufig wahrnehmen. Viel mehr dürfte sie interessieren, dass nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes der Schaumwein-Konsum der Bundesbürger 2012 um zwei Prozent, das sind 6,6 Millionen Liter, gestiegen ist. 340 Millionen Liter Sekt, Champagner, Obst- und Fruchtschaumwein haben die Deutschen 2012 getrunken, das sind im Schnitt 48 Gläser für jeden Einwohner ab 16 Jahren.
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