Technik in der Steinzeit 22.11.2024, 16:12 Uhr

Wie die Neandertaler Leim für Werkzeuge und Waffen herstellten

Faszinierende Entdeckung: Neandertaler nutzten vor 60.000 Jahren komplexe Feuerstellen zur Herstellung von Birkenpech – ein Zeugnis ihrer technischen Fähigkeiten.

In solch einer uralten Felsenhöhle haben Forschende eine komplexe Feuerstelle der Neandertaler gefunden. Sie beweist, dass die Steinzeitmenschen nicht so primitiv waren, wie wir lange dachten. Foto: PantherMedia /
ChiccoDodiFC

In solch einer uralten Felsenhöhle haben Forschende eine komplexe Feuerstelle der Neandertaler gefunden. Sie beweist, dass die Steinzeitmenschen nicht so primitiv waren, wie wir lange dachten.

Foto: PantherMedia / ChiccoDodiFC

Forschende haben in der Vanguard-Höhle in Gibraltar eine spannende Entdeckung gemacht: Neandertaler haben vor etwa 60.000 Jahren ein spezielles Verfahren zur Herstellung von Birkenpech entwickelt – einem Material, das sie als Leim für ihre Waffen und Werkzeuge verwendeten. Diese Entdeckung, die durch eine detaillierte Analyse einer komplexen Feuerstelle untermauert wurde, gibt uns Einblicke in die bemerkenswerten technologischen Fähigkeiten unserer urzeitlichen Verwandten.

Urzeitliche Feuerstelle entdeckt

Ein internationales Forschungsteam aus Spanien, Italien und Gibraltar hat in der Vanguard-Höhle in Gibraltar eine zunächst rätselhafte Entdeckung gemacht: Eine kreisförmige Grube mit Seitenkanälen. Nach eingehenden Analysen konnte sie schließlich als eine Feuerstelle zur Herstellung von Birkenpech identifiziert werden – ein entscheidender Hinweis auf die technologischen Fähigkeiten der Neandertaler.

Die Grube war mit Schichten aus Sand, pflanzlichem Material und Guano ausgekleidet, was auf eine durchdachte Planung und die gezielte Beherrschung von Feuertechniken hinweist. Diese Materialkombination diente nicht nur der Stabilität, sondern ermöglichte auch eine präzise Kontrolle der Temperatur – eine wesentliche Voraussetzung für den chemischen Prozess der Pechherstellung.

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Die Struktur der Grube zeigte bemerkenswerte Details, die ihre Funktion als technisches Hilfsmittel belegen. Im Zentrum befand sich eine kreisförmige Hauptgrube mit einem Durchmesser von etwa 26 cm und einer Tiefe von 22 cm. Zwei Seitenkanäle ermöglichten die gezielte Zufuhr oder Abschirmung von Sauerstoff, was den Verbrennungsprozess kontrollierbar machte. Die Wände der Grube bestanden aus Schichtungen von Sand und Guano, die eine anoxische, also sauerstoffarme, Umgebung schufen – eine zentrale Bedingung für die Destillation von Birkenrinde.

Bedeutung von Birkenpech
Birkenpech entsteht durch die Erhitzung von Birkenrinde unter sauerstoffarmen Bedingungen. Dieses Material war für die Neandertaler von enormem Wert, da es dazu diente, Steinklingen oder Spitzen fest mit Holzschäften zu verbinden. Diese haftenden Eigenschaften machten es zu einem essenziellen Bestandteil ihrer Jagdausrüstung. Neben Waffen stellten sie  damit auch Werkzeuge her.

So stellten die Neandertaler Birkenpech her

Die Herstellung von Birkenpech durch die Neandertaler war ein hochkomplexer Prozess, der nicht nur handwerkliches Geschick, sondern auch ein tiefes Verständnis für chemische und physikalische Abläufe erforderte. Die erste Phase des Verfahrens bestand in der sorgfältigen Vorbereitung einer Grube. Diese wurde von den Neandertalern in den Boden gegraben und mit einer Schicht aus Sand und Guano ausgekleidet. Diese Kombination diente nicht nur der Stabilität, sondern auch der optimalen Isolation und Wärmeverteilung, um die nachfolgenden Prozesse kontrolliert ablaufen zu lassen.

In einem zweiten Schritt brachten die Neandertaler Birkenrinde in die vorbereitete Grube ein. Diese Rinde war der Schlüsselrohstoff für die Herstellung des begehrten Pechs. Um den chemischen Prozess zu fördern, wurde die Rinde mit einer Sandschicht bedeckt, die den Sauerstoffzutritt minimierte und somit eine anoxische Umgebung schuf. Diese Sauerstoffarmut war entscheidend, um die Rinde zu destillieren, anstatt sie einfach zu verbrennen.

Sobald die Grube vorbereitet war, entzündeten die Neandertaler ein kontrolliertes Feuer direkt über der Grube. Die Hitze, die dabei erzeugt wurde, setzte den Destillationsprozess in Gang. Dabei wurden die organischen Bestandteile der Birkenrinde zersetzt und das Birkenpech freigesetzt. Dieser Schritt erforderte eine präzise Steuerung der Temperatur, da zu hohe Hitze das Material zerstören konnte, während zu geringe Hitze den Prozess unvollständig ließ.

So kamen die Forschenden dem Rätsel auf die Spur

Mit Hilfe modernster Analysemethoden gelang es dem Forschungsteam, die Geheimnisse der von Neandertalern genutzten Grube zu entschlüsseln. Dabei kamen Verfahren wie Gaschromatografie und Mikroskopie zum Einsatz, um Rückstände in der Struktur detailliert zu untersuchen.

Die Analysen brachten bemerkenswerte Ergebnisse zutage: Spuren von Levoglucosan und Reten konnten eindeutig nachgewiesen werden. Diese chemischen Verbindungen sind typische Indizien für die Verbrennung harzhaltiger Pflanzenmaterialien und stützen die Hypothese, dass die Grube für die Herstellung von Birkenpech verwendet wurde.

Zusätzlich wurden mikroskopisch kleine Reste von verkohltem Holz und Harz entdeckt. Diese Funde sind ein weiterer Hinweis darauf, dass die Neandertaler bewusst Materialien ausgewählt und genutzt haben, die sich zur Pechgewinnung eignen. Besonders auffällig war der Nachweis von verkohlten Pflanzenteilen, sogenannten Phytolithen, die spezifisch auf den Einsatz von Birkenrinde oder ähnlichem Material hindeuten.

Was die Entdeckung bedeutet

Die Fähigkeit, Birkenpech herzustellen, ist ein beeindruckendes Zeugnis für das Wissen und die Fähigkeiten der Neandertaler. Dieser Prozess erforderte weit mehr als ein grundlegendes Verständnis von Feuer. Die Neandertaler mussten die richtigen Materialien gezielt auswählen, wie beispielsweise Birkenrinde, die als Grundlage für die Pechherstellung dient, sowie hitzebeständige Sedimente, die die Stabilität und Funktionalität ihrer Gruben sicherstellten.

Darüber hinaus mussten sie chemische Prozesse verstehen, um die richtigen Bedingungen für die Destillation zu schaffen. Eine präzise Temperaturkontrolle und die Aufrechterhaltung einer sauerstoffarmen Umgebung waren essenziell, um die Birkenrinde zu destillieren, ohne sie zu verbrennen. Dieses Wissen deutet auf eine bemerkenswerte Fähigkeit hin, natürliche Prozesse zu beobachten, zu analysieren und gezielt anzuwenden.

Auch die Entwicklung von Werkzeugen und Techniken, um das entstandene Pech zu sammeln und für praktische Zwecke zu nutzen, zeugt von einer hohen Innovationskraft. Die Neandertaler nutzten das gewonnene Material, um Waffen und Werkzeuge zu verbessern, und schufen damit wichtige Grundlagen für ihr Überleben und ihre Jagderfolge.

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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