Zahlen regieren die Welt
In Baden-Baden widmet sich das Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts dem Siegeszug der Zahlenwelt in der modernen Gesellschaft.
Sehr große Entwicklungsschritte auf dem Weg zur heutigen, technologisch hochkomplexen und global vernetzten Dauerberechnung des gesamten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens geschahen im 19. Jahrhundert. Die Schulpflicht eröffnete erstmals breiten Bevölkerungsschichten den Zugang zur Rechenkompetenz.
„In diesem Jahrhundert ereignete sich der Übergang von der großen ,1’ zur ,2’, vom einen Gott zu Pluralismus und Relativität, vom Einzelgegenstand im alltäglichen Leben um 1800 zum Massenprodukt um 1900, vom gemalten Unikat zur fotografischen Vervielfältigung, von fürstlicher Einzelherrschaft zu bürgerlicher Konkurrenz um Mitsprache und Macht“, erläutert Kristina Helena Paviçeviç von der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Museums für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden.
Technisch und wirtschaftlich verlief die Entwicklung umgekehrt. Die Normierung der bunten Vielfalt der regionalen Maße wie Klafter, Elle und Fuß und die Standardisierung einer landesweit gültigen Uhrzeit begünstigten Handel und Verkehr. Die Quantifizierung von allem im 19. Jahrhundert vereinheitlichte das praktische Leben einerseits und vervielfältigte Werte und kulturelle Deutungen andererseits.
Badener Ausstellung zeichnet den Triumphweg der Zahl nach
Die Badener Ausstellung führt den bis heute folgenreichen Triumph der Zahl in allen Lebensbereichen des 19. Jahrhunderts vor Augen. So sind die Exponate in den Kontext wissenschaftlicher Untersuchungen zur Politik-, Literatur-, Ideen-, Kunst-, Technik- und Industriegeschichte gestellt. Zu sehen sind ein historisches Klassenzimmer, die im 19. Jahrhundert erstmals dauerhaft eingeführten Geldscheine, Eichkörper im damals neuen Dezimalsystem, Rechenmaschinen aller Art sowie ein historischer Glücksspieltisch. Zeitschriften und Gemälde legen bildliche Zeugnisse ab von der Finanzelite, einer neuen bürgerlichen Klasse, die sich zum Teil sogar adeln ließ.
Paviçeviç: „Erst mit dem Computer kommt die intensive Bemühung des 19. Jahrhunderts, Zahl und Maschine zu integrieren, zu ihrem Ziel. Aus diesem Grund bildet der Großrechner Zuse 23 aus der Werkstatt des IT-Pioniers Konrad Zuse von 1961 die raumgreifende und anschauliche Verknüpfung unserer Zeit zurück in das Jahrhundert der Quantifizierung.“
Zahlen sind keine Natur-Gegebenheiten
Das 19. Jahrhundert war ein „mathematisches“, ein wissenschaftlich geprägtes Jahrhundert. Doch darf nicht übersehen werden, dass Zahlen keine Gegebenheiten der Natur sind, sondern Konventionen, Zeichen, gleichsam Zahlzeichen sind, die wie algebraische Zahlen sogar anschaulich sein können. Neben den „natürlichen“ gibt es symbolische Zahlen wie die Eulersche Zahl oder die Kreiszahl Pi. Sie verbinden sich, wie imaginäre Zahlen, mit Vorstellungen und ähneln dann Noten in der Musik, oder Buchstaben, die eine imaginäre Wirklichkeit erschließen.
„Es kommt darauf an, was man mit Zahlen macht“, betont Wolfgang Grenke, der Vorsitzende des Kuratoriums der gleichnamigen Stiftung als Trägerin des Museums. „Die Zahl als rationales und abstraktes Mittel zur Berechnung von allem Möglichen hilft beispielsweise, Umstände und Entwicklungen zu verstehen, welche die direkte Anschauung jedes Einzelnen übersteigen und dennoch Einfluss auf das Leben jedes Einzelnen haben, etwa in der Bevölkerungsstatistik oder im Versicherungswesen.“
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