Edelsprit bringt alten Diesel in die Bredouille
Der Absatz von „Edeldiesel“ brummt. Aral und Shell versprechen den Fahrern von Diesel-Pkw mehr Leistung, weniger Schadstoffe und einen geringeren Verbrauch, wenn sie die neue Sorte Ultimate bzw. V-Power tanken. Doch ist der neue Kraftstoff wirklich „für alle Dieselmotoren geeignet“, wie Shell propagiert?
Seit einiger Zeit werden die „Edelsorten“ Aral Ultimate Diesel und Shell V-Power Diesel angeboten. Der etwa 10 Prozent teurere Kraftstoff soll Selbstzündern mehr Leistung bringen und ihren Schadstoffausstoß und Verbrauch verringern. Der Absatz dieser Sorten beschleunigte sich schnell. Derzeit beträgt sein Anteil am Pkw-Dieselkraftstoff schon über 10 Prozent bei Aral und knapp 20 Prozent bei Shell – obwohl man die neue Dieselsorte bisher nur an der Hälfte der Stationen dieser Marken tanken kann.
Guter Diesel ist bei dem Versprechen seinen Preis wert, meinte Franz Nitschner. Der Motorenfachmann und sein alter weißer Mercedes 200 D sind gemeinsam alt geworden. Seit 1973 fährt und pflegt Nitschner (65) das Auto. 1989 gönnte er ihm einen neuen „OM 615“ – das legendäre Aggregat, dessen Klang lange Zeit als der Dieselsound schlechthin galt. „Man fährt ruhig mit 55 PS“, erklärt der Schiffsingenieur a. D. Und genau dieser ruhige Fahrstil, könnte seinen Motor gerettet haben.
Etwas gutes für den alten Wagen
Am 17. Juni 2004 tankte Nitschner 30 l Shell V-Power Diesel. „Ich wollte meinem alten Wagen etwas Gutes tun“, erinnert er sich. Schließlich stand im Prospekt, der Edelkraftstoff mit einem Anteil verflüssigten Erdgases (GtL) optimiere die Verbrennung, entferne durch neue Additive dieseltypische Ablagerungen und schütze so den Motor. Vor allem aber stand da: „Shell V-Power Diesel ist für alle Dieselmotoren geeignet“. Ein Satz, der Nitschner heute auf die Palme bringt.
Rund 200 km nach dem Tanken zeigte sein Motor Auffälligkeiten. „Er lief unrund, begann sich zu schütteln“, beschreibt er die Probleme. Zunächst überprüfte der Fahrensmann aus dem Schiffsmaschinenraum die Kraftstoffzufuhr. Alles war sauber. Danach wurden die Düsen gezogen – und da kam die Bescherung ans Licht. Die Einspritzdüsen waren blau gebrannt, die Nadelelemente extrem verrußt und alles so verkokt, dass sich die Teile kaum noch remontieren ließen.
Schaden durch Edeldiesel?
„So ein Schadensbild hatte ich bis dahin nie erlebt“, erklärte der Maschinenbauingenieur den VDI nachrichten. Es lag also nahe, den Einsatz des neuen Kraftstoffs zu überprüfen – und vor allem den OM 615 erst wieder ans Laufen zu bringen. Nitschner baute einen Satz neuer Injektoren ein, tankte herkömmlichen Dieselkraftstoff nach und seitdem läuft der Motor wie eh und je.
Nitschner begann nun den Schaden zu ergründen. Als Schiffsingenieur hat er Jahrzehnte unter Deck verbracht und die Dieselmotoren großer Handelsschiffe am Laufen gehalten. Auf dieser praktischen und theoretischen Grundlage begann er mit der Analyse.
Der Motorenfachmann ermittelte zunächst den Flammpunkt und den Brennpunkt des Shell V-Power Diesels. Gegenüber normalem Diesel liege der Flammpunkt des Shell-Edeldiesels mit 57 oC etwa 20 oC und der Brennpunkt mit 65 oC um 16 oC niedriger, so Nitschner. Zudem gibt Shell die Cetanzahl (steht für die Zündwilligkeit) von V-Power Diesel mit 58 an, herkömmlicher Diesel hat laut DIN Norm eine Cetanzahl von mindestens 45 – in der Regel liegt sie heute bei 52. „Die hohe Cetanzahl und der geringe Flamm- und Brennpunkt führen dazu, dass sich der Kraftstoff in der Vorkammer zu früh entzündet“, so Nitschner.
Frühzündungen bergen große Gefahren für den Motor
Während der verkürzte Zündverzug für moderne Dieselmotoren mit Direkteinspritzung bei Drücken von weit mehr als 1000 bar sehr nützlich ist, läuft er dem Prinzip des tradierten Vorkammermotors zuwider, erklärte Nitschner. Diese von dem Benz & Cie.-Ingenieur Prosper L“Orange (1876 – 1939) schon 1919 patentierte Erfindung der indirekten Einspritzung war bahnbrechend und machte erst den Weg frei für schnelllaufende, straßentaugliche Dieselmotoren: 1923 im 5-t-Lkw und 1936 im ersten serienmäßigen Diesel-Pkw Mercedes-Benz 260 D.
L“Orange setzte eine Kammer vor den Brennraum des Zylinders und verband beides durch mehrere Bohrungen. Wird Diesel eingespritzt, prallt er zunächst in der Vorkammer auf einen „Kugelstift“, wo er verdampft und sich entzündet. Die aus der Vorkammer austretenden Brenngase erfassen die heiße komprimierte Luft im Zylinder, wo es zur Hauptverbrennung kommt, die den Kolben dann abwärts drückt. Vorteil des Verfahrens ist die „weiche“ Verbrennung, weil sich der Druck nach und nach aufbaut. Der Einspritzdruck im OM 615 beträgt gerade einmal 115 bar.
Die blau gebrannten Einspritzdüsen in den Vorkammern von Nitschners Motor zeigten, so der Ingenieur, dass der Diesel sich dort schon entzündete, bevor er auf den Kugelstift in der Vorkammer traf. „Solche Frühzündungen bergen große Gefahren für den Motor“, erklärt er. Schlimmstenfalls könne der Kugelstift aus seinem Halter heraus brennen, auch die Einspritzpumpe hätte Schaden nehmen können. „Eine längere Vollgasfahrt hätte der Motor wohl nicht überlebt“, vermutet Nitschner. Nur wegen seines frühen Eingreifens sei es bei einem glimpflichen Schaden geblieben. Letztlich musste er nur einen Satz neue Düsenhalter und Vorkammern kaufen. Kosten: 1000 Euro.
Zusammenhang zwischen Schaden und Kraftstoff?
Nachdem Nitschner analysiert hatte, wie der Edeldiesel im Motor gewirkt haben könnte, konfrontierte er Shell mit seiner These und forderte die Reparaturkosten zurück. Es folgte ein langer Schriftwechsel, der den VDI nachrichten vorliegt. Shell bestreitet darin jeden Zusammenhang zwischen Schaden und Kraftstoff und beharrt auf der Aussage, dass V-Power Diesel für alle Dieselmotoren geeignet ist.
Doch Shell kann keine Erklärung liefern, warum Nitschners Motor V-Power Diesel offensichtlich nicht verträgt, aber mit normalem wieder völlig rund läuft. Auch laufe er mit GtL-freiem Aral Ultimate Diesel (Cetanzahl: 60 Flammpunkt: 77 oC Brennpunkt: 83 oC) problemlos, so Nitschner. Sein Briefwechsel mit Shell endete vorerst mit einer Gutschrift des Konzern: „Im Rahmen der Kulanz erstatten wir, die Shell Deutschland Oil GmbH, Ihnen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, 50 Prozent der Ersatzteilkosten“, heißt es darin. Nitschner erhielt also 500 Euro.
Damit ist er keineswegs zufrieden. Versöhnlicher stimmte ihn Anfang Januar ein neuer Prospekt an seiner Shell-Tankstelle, in dem V-Power Diesel beworben wird. Viele Aussagen sind gegenüber dem ursprünglichen Prospekt identisch. Doch diesmal preist Shell nur noch die Vorteile des Edeldiesels für moderne Dieselmotoren an. Der Passus, dass V-Power Diesel für alle Dieselmotoren geeignet ist, fehlt. – Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Ein Beitrag von: