Abfallentsorger Blum räumt im Danziger Hafen auf
Die Entsorgung von Sondermüll ist ein hartes Geschäft, vor allem, wenn sich Unternehmer im Ausland engagieren. Ein deutscher Mittelständler kommt dabei fast unter die Räder. Die Gründe: Unachtsamkeit, gepaart mit einer Prise Selbstüberschätzung und der Hoffnung auf das ganz große Geschäft.
Sonntag früh, 9 Uhr. Sören Blum und Heiner Schlüter steigen in Melle bei Osnabrück in ihr Auto. Ihr Ziel ist Danzig. Auf deutschen Autobahnen rast die Landschaft mit 180 km/h vorbei, auf den polnischen Landstraßen geht es langsamer voran. Der 40-jährige Blum könnte diese Strecke auch mit geschlossenen Augen fahren, zum zehnten Mal schon ist er seit Juli 2012 hier unterwegs. Muße, sich Wiesen und Wälder anzuschauen, hat er auch nicht. Ihn treiben Sorgen. „Ich kämpfe um das Überleben unseres Standortes im Danziger Hafen.“ Schlüter ist seine rechte Hand, er soll helfen zu retten, was zu retten ist.
Mit seinem Bruder leitet Sören Blum einen Abfallentsorger: die Blum-Gruppe. 1996 hatte die Blum-Gruppe den ehemals staatlichen Entsorger für Hafenabfälle namens Port Service in Danzig übernommen. Seit 2002 betreibt der Abfallentsorger dort seine einzige Sondermüllverbrennungsanlage.
Weil bei Port Service aber Sondermüll nicht ordnungsgemäß gelagert wurde, droht die örtliche Umweltbehörde WIOS (Wojewódzki Inspektorat Ochrony Srodowiska) dem Betrieb seit Ende Juni ein Bußgeld von täglich rund 7500 € an. Für Blum wäre das in Danzig das Ende.
Die Geschichte begann letzten Winter. Einem Danziger, der oft bei Port Service vorbeiradelt, fiel der Gestank auf. Er informierte die Umweltbehörde. Da nichts geschah, wandte er sich an den privaten polnischen Fernsehsender TVN. Zwei Journalisten recherchierten, führten Interviews, drangen durch ein Loch im Zaun auf das Gelände von Port Service vor und filmten Kunststoffsäcke mit Giftmüll aus der Ukraine. Jeder dieser Big Bags enthält rund 1 t Sonderabfall. Einige enthielten die gefährliche Substanz Hexachlorbenzol (HCB).
Manche Säcke waren eingerissen, der Inhalt hätte herausrieseln oder von Regen ausgewaschen werden können, meint Daniel Liszkiewicz, einer der beiden Journalisten. Ihm war klar: Die Umwelt ist in Gefahr.
Abfallentsorgungsanlage der Blum-Gruppe in Danzig: In Bodenproben finden Forscher gefährliche Giftstoffe
Acht Bodenproben, die TVN und Greenpeace in der Nähe von Port Service genommen haben, scheinen das zu bestätigen. Das renommierte polnische Institut für Pflanzenschutz des Nationalen Forschungszentrums fand in jeder Probe krebserregendes Hexachlorbenzol und zum Teil auch Pestizide wie DDT. Am 15. Mai strahlte TVN den Beitrag „Krebserregendes HCB in der Ostsee“ aus und ein Medienrummel überschwemmte den Abfallentsorger im beschaulichen Melle. Und für Blum begann die regelmäßige Raserei nach Danzig.
Neun Stunden dauert die Autofahrt, nur kurz ruhen Blum und Schlüter sich in einer angemieteten Wohnung in der Danziger Innenstadt aus. Am nächsten Morgen geht es um 8 Uhr früh in den Hafen, zu Port Service.
Heißer Kaffee wartet schon auf sie. Zwei polnische Abfallfachleute berichten von 250 Big Bags, die in der vergangenen Woche im Sondermüllofen entsorgt worden sind, gemeinsam mit Sonderabfall aus pommerschen Krankenhäusern und Altöl aus der Werft und den beiden Raffinerien im Danziger Hafen. Blum ist zufrieden.
Vor fünf Monaten war das noch ganz anders. „Als ich im Mai hier gewesen bin, habe ich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen“, erinnert sich Blum. Eine Unzahl an Big Bags lag unordentlich nahezu überall auf dem Betriebsgelände herum. Das sei unverantwortlich gewesen, sagt er heute zerknirscht. So richtig aber hat damals wohl auch niemand hingeschaut.
Dabei geht es um eine gute Sache: das umweltgerechte Entsorgen von Giftmüll, der vielerorts in der Ukraine das Grundwasser bedroht. Das Kiewer Umweltministerium hatte die israelische Firma S.I. Group Consort beauftragt, Tausende Tonnen unbrauchbarer Pestizide zu entsorgen, aber auch Nitrochlorbenzol von einem Militärstandort sowie HCB-belastete Erde aus einem alten Industriestandort.
Die israelische Firma schrieb die Entsorgung aus und verteilte den Sonderabfall im Herbst 2011 auf mehrere Standorte in Europa – nach Brunsbüttel und nach England. Rund 30 000 t gingen nach Polen – gut die Hälfte zum Sondermüllofen von Blum im Danziger Hafen.
„Abgesprochen war mit unserem damaligen polnischen Geschäftsführer aber nur, 8000 t bis 9000 t anzunehmen“, erinnert sich Blum. Das wäre auch vernünftig gewesen. Denn zum einen hat der Sondermüllofen eine Jahreskapazität von nur 20 000 t – und Port Service benötigt knapp die Hälfte dieser Kapazität, um Abfälle aus Krankenhäusern, Raffinerien und der Danziger Werft zu entsorgen. Zum anderen gab es die Auflage der Umweltbehörde, den Abfall innerhalb eines Jahres zu entsorgen.
Polnischer Geschäftsführer von der Gier getrieben
Doch der polnische Geschäftsführer schien zu gierig gewesen zu sein. Er hatte 15 000 Big Bags vom israelischen Exporteur angenommen – also fast das Doppelte dessen, was möglich gewesen wäre. „Diese Menge können wir in Danzig gar nicht in einem Jahr verbrennen“, stellt Blum klar.
Und diese Menge ließ sich auch nicht in die beiden Betonwannen am Ofen stapeln, sondern musste auch auf andere Flächen verteilt werden. Blum betont aber auch, dass die Behörde all das genehmigt habe. Doch er übt auch Selbstkritik. „Wir hatten uns in Melle schon gefreut, als wir von dem Großauftrag hörten.“ Nachgefragt, ob es zu verkraften sei, hat aber wohl niemand.
Das habe an unternehmensinternen Umstrukturierungen gelegen, versucht Blum eine Entschuldigung. Im Mai 2011 starb Karl-Heinz Blum, Geschäftsführer der Blum-Gruppe und Sören Blums Vater. Danach übernahmen die beiden Söhne das Geschäft. „Den Standort Danzig – da bin ich ehrlich – haben wir ein wenig vernachlässigt.“ Und Blum räumt gleich noch einen zweiten Fehler ein: Asche und Schlacke des Müllofens sind Sondermüll. Doch keines der Fuhrunternehmen, die diesen Abfall auf zwei polnische Sonderabfalldeponien brachten, hatte eine Zulassung, Gefahrgüter zu transportieren.
Als der TVN-Film das ans Licht brachte, rollten Köpfe: Der Leiter der Umweltbehörde, der die falsche Lagerung genehmigt hatte, verlor seinen Job und die Blum-Gruppe feuerte ihren Danziger Geschäftsführer. Nach dem ersten Schrecken begann das Aufräumen. „Wir strukturieren den Betrieb so um, wie wir es aus Deutschland kennen“, so Sören Blum
Der 61-jährige Schlüter hilft ihm dabei. Er verbessert Arbeitsabläufe und bringt auch schon mal einen defekten Saugwagen zum Abpumpen von Altöl wieder zum Fahren. Asche und Schlacke will Blum künftig mit eigenem Lkw zu den Deponien transportieren lassen. Und sauberer soll es werden. „Die Anlage funktioniert zwar technisch einwandfrei, sie muss aber nicht so dreckig aussehen“, sagt Blum mit kritischem Blick auf den rostig aussehenden Ofen.
Und die Big Bags werden systematisch entsorgt, vorrangig die eingerissenen und jene, die auf ungesichertem Boden lagern. Doch das dauert. Noch sind etwa 7000 Kunststoffsäcke zu entsorgen.
Blum-Gruppe ringt nach Sondermüll-Skandal um neues Vertrauen
Die polnische Umweltbehörde stört sich aber noch an den rund 3000 Big Bags, die in jener Betonwanne liegen, in der auch zwei Flüssiglagertanks stehen. Die Wanne kann den maximalen Inhalt beider Tanks aufnehmen, stehen aber Big Bags dort, könnte dies eine Gefahr darstellen, fürchten die Fachleute der Umweltbehörde. Blum hält das für übertrieben – „den einen Tank nutzen wir gar nicht“ –, will aber eine alte Halle zu einem Zwischenlager für Sonderabfälle und die Big Bags umbauen.
Noch ist das Zukunftsmusik. Aber Blum ist es eilig mit der Baugenehmigung. „Erst wenn wir das Problem behoben haben, können wir neue Großaufträge an Land ziehen.“
Vor allem aber muss er die örtlichen Behörden überzeugen, dass er auf dem richtigen Weg ist. Einmal im Monat lädt Blum Zbigniew Macczak, den neuen Leiter der Umweltbehörde, zum Kaffee ein, zeigt ihm den Betrieb und informiert über Fortschritte. Er hofft, dass die Behörde es bei der Androhung des Bußgelds belassen wird und er nicht zur Kasse gebeten wird – zumindest nicht in der angedrohten Höhe. Zumal es seiner Ansicht nach keine Umweltbelastung gegeben hat, wie eigene Bodenproben und solche der Umweltbehörde zeigten.
Denn Blum will in Polen im Geschäft bleiben:“Ich sehe hier weiterhin einen Markt für Sonderabfallverbrennung.“ Und ab Mitte 2013 soll der Standort wieder Gewinn machen. Doch bis dahin werden Blum und Schröter noch regelmäßig in ihr Auto steigen und nach Danzig rasen müssen.
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