Senckenberg-Studie 11.12.2024, 11:30 Uhr

Art der Landnutzung ist wichtiger für die Insektenvielfalt als das Klima

Landnutzung beeinflusst die Insektenvielfalt stärker als das Klima. Durch Schutz an der falschen Stelle könnte die Vielfalt weiter abnehmen.

Schmetterlinge auf der Wiese

Die Art der Landnutzen ist für die Insektenvielfalt wichtiger als klimatische Bedingungen. Bislang wurden bei Insektenschutz falsche Prioritäten gesetzt.

Foto: PantherMedia / Birgit Urban

Eine aktuelle Studie des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt zeigt auf, dass die Vielfalt der Insekten in Deutschland weit mehr von der Art der Landnutzung abhängt als von klimatischen Bedingungen. Diese Erkenntnis stellt bisherige Annahmen infrage, die den Einfluss des Klimawandels stärker gewichtet haben. Der Schutz findet daher oft an der falschen Stelle statt.

Die Forschenden betonen, dass Lebensräume mit niedrig wachsender Vegetation, wie etwa Wiesen und Brachflächen, bis zu 58 % mehr Artenvielfalt aufweisen können als bewaldete Gebiete. Jedoch fehlt es vielerorts an ausreichendem Schutz für diese artenreichen Flächen. Dies birgt ein erhebliches Risiko für einen weiteren Verlust der Insektenvielfalt.

Warum Insekten für das Ökosystem unverzichtbar sind

Insekten spielen eine Schlüsselrolle in der Natur. Sie bestäuben Pflanzen, darunter zahlreiche Nutzpflanzen, die für unsere Ernährung essenziell sind. Gleichzeitig tragen sie zur Fruchtbarkeit der Böden bei, indem sie organisches Material zersetzen. Zudem dienen sie als unverzichtbare Nahrungsquelle für viele andere Tierarten.

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Ihr Rückgang gefährdet nicht nur die Stabilität ökologischer Systeme, sondern auch die Lebensgrundlagen der Menschen. „Um das Insektensterben zu stoppen, müssen wir die Hauptursachen identifizieren und analysieren, welche Insektengruppen besonderen Schutz benötigen“, erklärt Prof. Dr. Peter Haase, der die Studie leitete.

Wie moderne Technologien neue Erkenntnisse liefern

Die Forschenden nutzten einen der umfangreichsten Insekten-Datensätze Deutschlands, der durch ein Netzwerk von 75 sogenannten Malaise-Fallen generiert wurde. Diese Fallen sind strategisch über das gesamte Bundesgebiet verteilt und erfassen die Vielfalt der Fluginsekten. Mithilfe des innovativen Metabarcoding-Verfahrens wurde die DNA der gesammelten Insekten analysiert.

Dieses Verfahren ermöglicht eine schnelle und kostengünstige Identifikation tausender Arten auf einmal, da gemischte DNA-Proben sequenziert und mit Referenzdatenbanken abgeglichen werden. „Seit Beginn des Monitorings im Jahr 2019 konnten wir rund 31.846 Insektenarten aus über 2000 Proben bestimmen, darunter etwa 8000 Arten, die bisher in Deutschland unbekannt waren“, berichtet James S. Sinclair, der Erstautor der Studie. Diese Ergebnisse verdeutlichen, wie wenig bislang über die deutsche Insektenwelt bekannt ist.

Landnutzung als Schlüsselfaktor für Biodiversität

Die Ergebnisse der Studie zeigen deutlich, dass die Landnutzung der entscheidende Faktor für die Verteilung und Vielfalt von Insekten ist. Unterschiedliche Landnutzungstypen, wie Ackerland, Wälder und Siedlungsflächen, beeinflussen die Biomasse und Artenzusammensetzung erheblich. Insbesondere eine heterogene Vegetationsstruktur trägt zur Steigerung der Artenvielfalt bei. Gebiete mit variierender Vegetation verzeichnen einen Anstieg der Insektenbiomasse um bis zu 56 %. Gleichzeitig steigt dort die Artenvielfalt um bis zu 58 %.

Besorgniserregend ist jedoch, dass viele dieser artenreichen Gebiete nicht durch Schutzprogramme abgedeckt sind. Dies ist ein kritischer Punkt, insbesondere im Kontext internationaler Biodiversitätsziele wie dem EU Nature Restoration Law und dem Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework. „Um diese Ziele zu erreichen, sollten auch unbewaldete Gebiete mit hoher Habitatvielfalt in tieferen Lagen verstärkt in Schutzkonzepte integriert werden“, betont Haase.

Der Zusammenhang zwischen Biomasse und Artenvielfalt

Ein zentraler Aspekt der Studie ist der direkte Zusammenhang zwischen dem Verlust an Biomasse und dem Artenrückgang. Dieser Zusammenhang zeigt, dass der oft beobachtete Biomasserückgang auch auf eine reduzierte Stabilität der Ökosysteme hindeutet.

Wenn die Biomasse abnimmt, bedeutet dies, dass die Vielfalt der Insekten und damit auch ihre ökologischen Funktionen abnehmen. „Unsere Forschung zeigt nicht nur, wie vielfältig und zugleich unbekannt die deutsche Insektenwelt ist, sondern auch, wie fragil ihre Lebensräume sind“, fasst Sinclair zusammen.

Die Ergebnisse der Studie liefern wichtige Hinweise darauf, wie der Rückgang der Insektenvielfalt aufgehalten werden kann. Neben der Stärkung bestehender Schutzgebiete sollten auch neue Strategien für unbewaldete Lebensräume mit hoher Habitatvielfalt entwickelt werden. Diese Flächen müssen verstärkt in Naturschutzkonzepte einbezogen werden, um die ökologischen Funktionen langfristig zu sichern.

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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