Artenschutz: Schulkinder werden zu DNA-Detektiven auf den Weltmeeren
Wie man noninvasiv und mithilfe der Bevölkerung die Artenvielfalt in den Weltmeeren analysiert, hat die Unesco in Paris vorgestellt.
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Bis 2030 will die Menschheit 30 % der Meeresoberfläche unter Schutz stellen – dazu verpflichteten sich zumindest 2022 im Abschlussdokument der Vertragsstaatenkonferenz zur Biodiversitätskonvention die Bevollmächtigten. Bislang haben nur 8 % der Meeresoberfläche diesen Status. Bis zum Ziel in acht Jahren ist es also noch ein weiter Weg.
Und das umso mehr, als auch noch weitgehend unbekannt ist, wo dieser Weg langführen soll. „Es ist ein bekanntes Bonmot, dass wir über die Ozeane weniger wissen als über den Mond. Wir müssen also sicherstellen, dass wir 2030 auch die richtigen 30 % der Weltmeere unter Schutz gestellt haben, sonst haben wir mit Zitronen gehandelt“, betonte Fanny Douvere, Chefin des marinen Welterbeprogramms bei der Unesco, am Montag in Paris.
Artenschutz: Sogenannte Umwelt-DNA findet sich in Ausscheidungen von Lebewesen
Die UN-Wissenschaftsorganisation stellte dort die Ergebnisse eines Pilotprojektes vor, mit dem man in kurzer Zeit einen Überblick über die „Bevölkerung“ eines bestimmten Meeresgebiets gewinnen kann. „Statt wie früher fünf bis zehn Jahre brauchen wir nur ein paar Monate dafür“, so Douvere, „und man kann die Methode gut in großem Maßstab und mithilfe von Laien anwenden.“ Die belgische Politikwissenschaftlerin spricht von der Sequenzierung und Analyse von sogenannter Umwelt-DNA.
Darunter verstehen Genetiker Erbgut aus Zellen, die man nicht mehr direkt aus den Körpern von Lebewesen gewinnt, sondern aus deren Ausscheidungen in die Umwelt – seien es Hautpartikel, Kot, Blut oder andere Körperflüssigkeiten. „Im Ozean reicht eine Probe von weniger als 2 l Meerwasser, um zu ermitteln, wer sich in der Nähe aufhält“, sagte Unesco-Generaldirektorin Audrey Azoulay bei der Vorstellung und fügte hinzu: „Deswegen schätze ich das Projekt sehr und verspreche mir viel davon für die Zukunft.“
Ein Grund für diese Wertschätzung liegt darin, dass die Lebensgemeinschaft in den geschützten Meeresgebieten praktisch nicht gestört wird. Es werden keine Lebewesen gefangen und mit Biopsienadeln gepiesackt, sondern es werden einfach Wasserproben genommen. „Man kann das so oft wiederholen, wie man will, und die Umwelteinwirkungen sind praktisch null“, sagt Saara Suominen, die die Probensammelexpeditionen des Pilotprojekts koordiniert hat.
In drei Jahren wurden 21 Welterbestätten weltweit untersucht
Das Projekt hat in den vergangenen drei Jahren 21 Welterbestätten in 19 verschiedenen Staaten beprobt und eine Aufstellung der dort lebenden Organismen erhalten. 4406 Arten konnten identifiziert werden, 120 davon bedroht. Nahezu die Hälfte der identifizierten Arten bestand aus Fischen, es gab auch 28 Meeressäuger und drei Schildkrötenarten. Für die Bestimmung wurde jeder Schnipsel DNA, der sich in der Wasserprobe befand, sequenziert. Anhand der Basenpaarfolgen an vier bestimmten Genorten suchten die Wissenschaftler dann in entsprechenden Datenbanken nach den passenden Arten.
„Die Datenbanken sind natürlich nicht vollständig, und das war auch der Haupteinwand gegen die Anwendung dieser Methode“, gibt Ward Appeltans zu, der bei der Unesco das Biodiversitäts-Informationssystem Obis leitet. Tatsächlich konnten die Forscher beispielsweise in der Probe vom westaustralischen Ningaloo-Riff nur die Hälfte der Genome einer Art zuordnen. „Das Gute ist aber“, so Appeltans, „dass die Methode immer weiter verbessert wird und die Datenbanken immer umfangreicher werden.“ Die Chancen stehen daher gut, dass sich das derzeitige Bild mehr und mehr vervollständigt. Denn die bislang unbekannten Sequenzen bleiben gespeichert und können in der Zukunft zugeordnet werden.
250 Schulkinder haben mitgemacht, das jüngste war sechs Jahre alt
Ein weiterer Grund, warum Unesco-Chefin Azoulay so viel von der Methode hält, liegt darin, dass sie zwar Hightech-Gensequenziertechnik einsetzt, aber mit der Beprobung auch eine wichtige Komponente mit Öffentlichkeitsbeteiligung hat. „Wir haben mit 250 Schulkindern zusammengearbeitet, das jüngste war sechs“, so Fanny Douvere.
Eines der Testgebiete war die Florida Bay zwischen der Südspitze des Festlandes und den Florida Keys. Dort arbeitete die zuständige Nationalparkverwaltung der Everglades mit einer nahe gelegenen Schule zusammen. „Ich war sehr beeindruckt, als ich merkte, wie diese jungen Menschen im Laufe des Projektes die Bedeutung von Biodiversität erfassten, wie sie die Einzelteile von der Laborarbeit über das Probensammeln bis zum Befund zu einem Bild zusammensetzten“, erzählte Melodie Naja, die wissenschaftliche Leiterin des Everglades National Park.
Artenschutz: Probennahme wurde so standardisiert, dass auch Laien sie durchführen können
Diese Citizen-Science-Komponente liegt der Unesco besonders am Herzen, weil sie die Wissenschaft aus ihrem Elfenbeinturm heraus in die Mitte der Gesellschaft holt. Und sie vermeidet auch eine weitere Falle, in die die westliche Wissenschaft häufig tritt. „Es ist keine Helikopterforschung, bei der hoch qualifizierte Experten einfliegen, Proben nehmen und schnell verschwinden, ohne dass die Bevölkerung vor Ort etwas von den Resultaten erfährt, geschweige denn von ihnen profitiert“, betont Ward Appeltans. Die Unesco hat nämlich die Probennahme so standardisiert, dass Laien sie durchführen können. Und die Beprobungssets sind mit rund 25 $ das Stück auch so erschwinglich, dass sich nicht nur westliche Wissenschaftsorganisationen mit Riesenbudgets ein solches Projekt erlauben können.
Das gilt nicht ganz für den nachgelagerten Analytikteil, für den eben hochmoderne Sequenzierautomaten benötigt werden. Für das Pilotprojekt hat die belgische Region Flandern die Finanzierung übernommen, in Löwen wurden auch die insgesamt 500 Wasserproben sequenziert und zugeordnet. In Zukunft müssen sich weitere Genlabors finden, in denen die Sequenzierarbeit nahe an den Probengebieten durchgeführt werden kann, und vor allem müssen sich mehr Sponsoren bereit erklären. Denn die Umwelt-DNA-Untersuchungen sollen von den 21 Pilotgebieten auf alle 51 marinen Welterbestätten und darüber hinaus auf möglichst viele der rund 18.000 marinen Schutzgebiete ausgeweitet werden. Und sie sollen in regelmäßigen zeitlichen Abständen wiederholt werden, damit man einen Überblick über die Veränderungen gewinnen kann, die der Lebensraum Ozean in Zeiten des Klimawandels durchläuft.
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