Bayer will bis 2030 klimaneutral werden: Welche Rolle Ingenieure bei den Plänen spielen
Bayer will bis 2030 klimaneutral werden. Wie das gelingen soll und welche Rolle die Ingenieure dabei spielen, hat INGENIEUR.de mit Delf Bintakies, Head of Ecological Footprint beim Konzern, besprochen.
ingenieur.de: Bis zum Jahr 2030 plant Bayer klimaneutral zu werden. Wie sieht da die Roadmap aus?
Bintakies: Wir werden dazu die Energieeffizienz steigern, zu 100 % Strom aus erneuerbaren Energien nutzen und die restlichen Emissionen gezielt kompensieren. Hinsichtlich der Reduzierung orientieren wir uns am Pariser Klimaschutzabkommen. Unsere Emissionen werden also auf das Ziel der Beschränkung einer Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad oder 1,5 Grad angepasst. In diesem Zuge haben wir uns dazu entschieden, ein Science Based Target zu formulieren, also ein wissenschaftlich-basiertes Ziel. Die Science Based Target Initiative ist transparent und überprüfbar und wurde unter anderem vom WWF, UN Global Compact und CDP (Carbon Disclosure Project) gegründet. Ein praktisches Beispiel für Energieeffizienzmaßnahmen zusammen mit den Ingenieuren ist die Optimierung von Be- und Entlüftungsanlagen.
Was heißt das denn genau: Die Emissionen werden unter 2 Grad liegen?
Das heißt, dass wir die Reduktion von mindestens 25 % oder besser 42 % erreichen. Die genaue Zielsetzung ist noch in der Entwicklung, wird aber dem Pariser Klimaschutzabkommen entsprechen.
Bei einer Angabe zwischen 25 % und 42 % bewegen wir uns ja doch in einem größeren Bereich. Wird es ein Wert in der Mitte werden?
Das kann man so nicht sagen, denn ein CO2-neutrales Unternehmen bedeutet ja, dass wir unabhängig, wie stark wir selbst Energie reduzieren, die verbleibenden Emissionen vollständig kompensieren werden. Eine höhere Reduktion ist für uns erstrebenswert, gleichzeitig müssen wir die technischen und betrieblichen Beschränkungen bei einem realistischen Ziel berücksichtigen.
Es soll ja auch zu 100 % Strom aus erneuerbaren Energien genutzt werden. Was muss sich dafür in den nächsten Jahren bei Bayer tun?
Hierzu werden wir unsere Einkaufsstrategie anpassen. Wir haben uns selbstverständlich bereits in der Vergangenheit mit erneuerbaren Energien befasst. Der erste Schritt ist, dass wir definieren, was wir unter erneuerbaren Energien verstehen. Wenn wir zum Beispiel ein großes Wasserkraftwerk nehmen, ist das zwar theoretisch grüner Strom, aber eine umstrittene Angelegenheit. Und solch umstrittenen grünen Strom wollen wir vermeiden. Inhaltlich gesehen gibt es diverse Verfahren zur Umstellung. Größter Hebel, weltweit gesehen, stellt die Umstellung auf Power Purchase Agreements (PPA) dar. In diesen Verträgen streben wir an, dass der Strom physisch so nah wie möglich an unseren Standorten produziert wird. Unser Ziel ist es nicht, einfach Grünstrom-Zertifikate zu kaufen. Wie das gelingt, ist je nach Land unterschiedlich. Umfangreiche PPA-Verträge bestehen bereits für Spanien und Mexiko.
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Und warum noch nicht für Deutschland?
Bei PPA-Verträgen geht man einen längerfristigen Vertrag mit zusätzlichen Nebenbedingungen ein, das gestaltet sich auch komplexer. Klassischer Stromeinkauf ist deutlich flexibler. Die Möglichkeiten und Verbreitung von PPA-Verträgen ist stark von lokalen Regelungen abhängig. Sobald in Deutschland die ersten wesentlichen Anlagen ab 2021 aus der staatlichen Förderung des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) fallen, ist auch hier mit einer Dynamik für PPA zu rechnen.
Wie viele Ingenieure arbeiten bei Bayer denn an den klimaneutralen Zielen?
Die konkrete Zahl kann ich Ihnen hier gar nicht nennen, weil Ingenieure und Naturwissenschaftler bei Bayer in sehr vielen unterschiedlichen Bereichen tätig sind. Ein typischer Ingenieurbereich bei uns ist „Engineering & Technology“ (E&T). Dort arbeiten fast ausschließlich Ingenieure an Themen der Produktion. Aber auch außerhalb von E&T gibt es eine Vielzahl von Ingenieuren. Ich selbst bin Wirtschaftsingenieur und in Corporate Sustainability für den „ökologischer Fußabdruck“ verantwortlich. Das spiegelt die Bandbreite der Ingenieurtätigkeiten wider. Was ändert sich nun für die Ingenieure? Gar nicht so viel, denn wir haben schon immer hohen Wert auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz gelegt. Das Thema Energiereduktion sowie –effizienz bekommt im Rahmen unseres Nachhaltigkeitsengagements nur ein noch höheres Gewicht.
Was müssen Ingenieure in Zukunft besonders gut können? Was wandelt sich hier?
Also fundamentale Änderungen kommen da auf Ingenieure nicht zu. Bayer erwartet zum Beispiel eine technische Expertise als Grundvoraussetzung. Was sich immer mehr ändert ist, dass Ingenieure auch gute Kommunikatoren sein müssen. Es reicht eben nicht mehr aus, nur noch technisch versiert zu sein. Das Ziel vermitteln zu können oder die Notwendigkeit einzelner Projektschritte zu erklären, wird für Ingenieure immer mehr entscheidend. Weiterhin wird kaufmännisches Denken noch wichtiger werden. Ingenieure müssen Investitionen in neue Geschäftsfelder begründen können und die Vorteile für das Unternehmen deutlich machen. Für Bayer ist zudem ein großes Gespür für interkulturelle Anforderungen wichtig. Wir sind ein globales Unternehmen. Englisch ist hier als Sprache wichtiger als Deutsch. Eine starke Sensibilisierung für andere Kulturen ist weiterhin bedeutend. Es besteht ja ein bisschen das Klischee, dass ein deutscher Ingenieur sehr direkt und lösungsorientiert ist. Die Fakten stehen im Fokus. Bei anderen Kulturen kann das aber Projektbeteiligte schnell vor den Kopf stoßen. Technisch brillant zu sein reicht also nicht mehr. Ingenieure müssen auch kaufmännisches Denken, Kommunikationsstärke und interkulturelle Fähigkeiten mitbringen.
Wie Ingenieure 2030 arbeiten werden, lesen Sie hier.
Also steht Bayer auch für Diversity?
Ja, absolut. Wir haben eine große Vielfalt unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich kann Ihnen auch mal ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung nennen. Mein vorheriges Team am deutschen Standort hatte unter anderem einen philippinischen Mitarbeiter sowie eine Mitarbeiterin aus Spanien. Vervollständigt wurde die Abteilung mit weiteren Teammitgliedern in den USA.
Können Sie jetzt nochmal kurz skizzieren, welche weiteren Ziele Bayer in Sachen Nachhaltigkeit verfolgt?
Ja gern, Bayer teilt seine Ziele in zwei Gruppen auf. Die eine Gruppe fasst Auswirkungen auf die Umwelt zusammen. Hier wollen wir wie besprochen die Klimaneutralität bis 2030 erreichen. Außerdem wollen wir dazu beitragen, die Treibhausgas-Emissionen in großen Agrarmärkten – pro Kilogramm Ernteertrag – sowie die Umweltauswirkungen von Pflanzenschutz um jeweils 30 % bis 2030 zu reduzieren. Bei der zweiten Gruppe geht es um Themen des Zugangs. Wir wollen bis zum Jahr 2030 100 Millionen Kleinbauern in Ländern mit geringen und mittleren Einkommen unterstützen, indem sie Zugang zu Innovationen, Wissen und Partnerschaften erhalten. Das Ziel aus Pharmasicht ist es, bis 2030 100 Millionen Frauen aus Ländern mit geringem und mittlerem Einkommen Zugang zu einer verantwortungsvollen Familienplanung zu ermöglichen. Ein letzter Block betrifft das Consumer-Health-Geschäft. Hier wollen wir den Zugang zu Gesundheitsprodukten für den täglichen Gebrauch für 100 Millionen Menschen in unterversorgten Gebieten weltweit verbessern.
Zu den Blöcken würden wir gerne noch mehr erfahren. Fangen wir doch mit dem Agrarmarkt an.
Wenn ich die Emissionen reduzieren will, kann ich auf der einen Seite die Anzahl der Kohlenstoffmenge, die im Boden gehalten wird, erhöhen. Auf der anderen Seite kann ich versuchen, Emissionen bei der landwirtschaftlichen Praxis zu reduzieren oder ganz zu vermeiden. Was heißt das jetzt genau? Es können zum Beispiel Pflanzen entwickelt werden, die Stickstoff stärker in ihrem Wurzelsystem binden. Oder ich entwickle Mikroben, die Pflanzen unterstützen, Stickstoff aus der Luft zu gewinnen und zu binden. Ein anderer Punkt beschäftigt sich mit digitalen Geschäftsmodellen. Wie können Bauern zum Beispiel durch Wettervorhersagen oder Drohnenauswertungen unterstützt werden, auf dem Feld so wenig Einsatzstoffe wie möglich einzusetzen.
Wie sieht es mit den Kleinbauern aus, die will Bayer weltweit unterstützen oder gibt es einen lokalen Fokus?
Der Fokus liegt auf Kleinbauern mit geringem und mittlerem Einkommen und entsprechend weltweit verteilt mit Schwerpunkt in Ländern mit eher geringem Durchschnittseinkommen.
Wie gestaltet sich das Projekt genau?
Unsere derzeitige Geschäftstätigkeit in Asien, Afrika und Lateinamerika bedient bereits Millionen Kleinbauern mit innovativen Technologien. Kleinbauern haben ganz unterschiedliche Voraussetzungen, moderne Agrartechnik einzusetzen. Wir bieten Trainingsmaßnahmen an, beispielsweise um die eigenen Einnahmen durch Effizienzsteigerung zu erhöhen oder digitale Tools anzuwenden. Es geht aber auch darum, Kleinbauern zu schulen, wie überhaupt die besten Pflanzen angebaut werden. Hybridreis ist so ein Beispiel. Er bringt mehr Ertrag und verbraucht weniger Wasser. Hybridreis kann zu einer Reduktion der Treibhausgase um bis zu 40 % führen.
Das wäre doch auch ein Berufsfeld für Ingenieure, das Coaching in diesem Bereich zu übernehmen. Oder bedarf es da anderer Berufsgruppen?
Das ist sehr unterschiedlich, Agraringenieure könnten das sicherlich. Das Grundwissen und die Methodik für die Trainings wird von einer Mischung aus Ingenieuren, Biologen und weiteren Experten gemeinsam entwickelt. Für die Vermittlung der Inhalte ist eine Herausforderung, den typischen Kleinbauern erst einmal effektiv zu erreichen. Das Training vor Ort hängt entsprechend von den Gegebenheiten ab und kann durch unterschiedliche Berufsgruppen und Ansätze erfolgen.
Zum Schluss: Was müsste aus Ihrer Sich politisch, gesellschaftlich und auch technisch passieren, damit die erneuerbaren Energien auch wirklich den Durchbruch schaffen?
Eine spannende Frage! Ich finde die aktuelle Situation rund um Covid-19 bedenkenswert. Eine aktuelle Studie hat ergeben, dass in der jetzigen Situation nur noch acht % der Deutschen den Klimawandel als Priorität sehen. Das ist angesichts der gegenwärtigen Probleme verständlich, aber nicht richtig. Die Herausforderungen der Corona-Krise dürfen uns nicht von den Klimazielen ablenken. Die Chancen sind jetzt, in eine nachhaltige Wirtschaft zu investieren und dem Klimawandel aktiv entgegenzutreten.
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