Besorgniserregend: Schweizer Gletscher verlieren die Hälfte ihres Volumens
Das Klima im 20. Jahrhundert war für Gletscher nicht optimal, und doch wuchsen einzelne. Aber insgesamt stellten Forschende aus der Schweiz einen historischen Gletscherschwund in weniger als 100 Jahren fest.
Forschende der ETH Zürich und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald Schnee und Landschaft WSL haben gemeinsam die Gletscheroberflächen aller Schweizer Gletscher betrachtet, rekonstruiert und bewertet. Geholfen haben ihnen dabei historische Fotografien und die sogenannte Stereo-Photogrammetrie.
Heraus kam ein klares Ergebnis: Das Gletschervolumen aller Schweizer Gletscher hat sich in der Zeit von 1931 bis 2016 halbiert. „Auch wenn es über kürzere Zeiträume zu einem Zuwachs kam, ist es trotzdem wichtig, das Gesamtbild im Auge zu behalten. Unser Vergleich zwischen den Jahren 1931 und 2016 zeigt deutlich, dass es in diesem Zeitraum einen markanten Gletscherschwund gab“, bilanziert Daniel Farinotti, Professor für Glaziologie an der ETH Zürich.
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Mit der Methode der Stereo-Photogrammetrie lassen sich Bildpaare genauer untersuchen, so dass man Beschaffenheit, Form und Lage beliebiger Objekte bestimmen kann. Diese Methode hat in der Schweiz Tradition. Sie wurde schon in der Zeit des Ersten Weltkriegs bis Ende der 1940er-Jahre zur Landvermessung eingesetzt.
Von etwa 7.000 verschiedenen Standorten aus fotografierten Ingenieure große Teile der Schweizer Alpen. Sie benutzen dafür einen sogenannten Phototheodoliten, eine Mischung aus einem Fotoapparat und einem Winkelmessgerät. Dadurch entstehen nicht nur Fotos auf Glasplatten, sondern es ermöglicht auch eine Vermessung der fotografierten Objekte. Swisstopo, das Bundesamt für Landestopografie in der Schweiz, hat diese Bilder digitalisiert und zudem noch um weitere Informationen ergänzt. Sie stammen unter anderem aus Feldbüchern. So entstand das heutige „TerrA“-Bildarchiv, das auch für die Öffentlichkeit zugänglich ist.
Klimawandel: Gletscherschwund anhand von Bildern und Berechnungen ermittelt
Die Forschungsgruppe bediente sich ebenfalls dieses Materials aus dem Bildarchiv, deckt es immerhin 86% der vergletscherten Fläche in der Schweiz ab. Für die Analyse nahm sich die Gruppe etwa 21.700 Bilder vor, die zwischen 1916 und 1947 entstanden sind. Aus den Bildern konnten sie die Gletscheroberfläche ermitteln. Denn für einen Vergleich benötigen die Forschenden von zwei verschiedenen Zeitpunkten den Zustand der Oberflächen. Erst dann lässt sich eine Volumendifferenz berechnen. Die Forschenden haben sich als Referenz für das Jahr 1931 entschieden. Das liegt daran, dass die Bilder insgesamt aus unterschiedlichen Jahren stammen und man für die Rekonstruktion einen Basiswert benötigte.
Vor allem in den Jahren nach 1960 hat man in der Schweiz die Gletscher beobachtet. Dafür entstanden neben Vermessungsdaten auch Luftbildaufnahmen. Daraus rekonstruierten Forschende die Massenbilanz einzelner Gletscher, also die Differenz zwischen Massengewinn und -verlust. An sich eine gute Basis für heutige Forschungen. Allerdings gibt es zwei Nachteile: Nur sehr wenige Gletscher wurden regelmäßig auf diese Art und Weise vermessen. Und ältere Massenbilanzreihen bergen meistens Fehler. Das liegt an ungenauen oder unsicheren Messungen. Daraus entstehen dann größere Verzerrungen, weil sich die Fehler summieren.
Klimawandel: Gletscherschwund erreicht historische Dimensionen
Die Forschungsgruppe konnte im Rahmen ihrer Untersuchungen feststellen, dass nicht alle Gletscher gleichermaßen schwinden. Die Volumenreduzierung hat mit drei Faktoren zu tun: die Höhe, auf der sich der Gletscher befindet, der Auslauf der Gletscherzunge und die Stärke der Schuttdecke. Insgesamt war das Klima im 20. Jahrhundert zwar ungünstig für Gletscher, doch es gab auch Dekaden, in denen die Masse wuchs und es zu einzelnen sogenannten Gletschervorstößen kam. Ein Gletschervorstoß beschreibt das Wachstum eines Gletschers, und zwar konkret im Bereich der Front. In den 1920er- und 1980er-Jahren konnten Forschende ein solches Wachstum beobachten.
Beunruhigend ist allerdings, dass das Gletschervolumen immer schneller abnimmt. Das konnten die Forschenden durch ein Gletschermessnetz namens Glamos belegen. Ein Beispiel: Die Gletscher haben in der Zeit zwischen 1931 und 2016 die Hälfte ihres Volumens verloren. In sechs Jahren, zwischen 2016 und 2022, waren es noch einmal 12%. „Der Gletscherschwund beschleunigt sich. Diesen genau zu beobachten und dessen historische Dimensionen zu quantifizieren, ist wichtig, weil sich dadurch die Reaktionen der Gletscher auf ein veränderndes Klima ableiten lässt. Solche Informationen sind notwendig, um verlässliche Gletscherszenarien für die Zukunft zu entwickeln“, sagt Farinotti.
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