Hereon-Studien 23.10.2024, 14:30 Uhr

Blue Carbon: CO2-Speicherung an Küsten braucht klare Regeln

CO2-Speicherung an Küsten könnte helfen, den Klimawandel zu bekämpfen. Hereon-Studien fordern klare Regeln, um Projekte effizient und rechtssicher zu machen.

Seegraswiese

Seegraswiesen können wesentlich mehr Kohlenstoff speichern als vergleichbare Ökosysteme an Land, allerdings braucht es klare Regeln.

Foto: PantherMedia / Allexxandar

CO2-Speicherung an Küsten, in Fachkreisen als „Blue Carbon“ bezeichnet, gilt als wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels. Dabei wird das Kohlenstoffdioxid in Küstenökosystemen wie Seegraswiesen, Mangroven und Salzwiesen gebunden. Diese Ökosysteme speichern große Mengen CO2 und helfen dabei, die Klimaziele zu erreichen. Doch ob und wie effektiv diese Maßnahmen sind, bleibt unklar. Es fehlt an klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen und einer übergeordneten Organisation, die diese Projekte überwacht und bewertet.

So funktioniert Blue-Carbon Management

Wie bereits eingangs geschrieben versteht man unter „Blue Carbon“ Kohlenstoff, der in Küsten- und Meeresökosystemen wie Mangrovenwäldern, Seegraswiesen, Salzwiesen und Seetang gespeichert wird. Diese Lebensräume spielen eine entscheidende Rolle bei der Reduktion von CO2 in der Atmosphäre. Im Gegensatz zu Wäldern an Land, die ebenfalls Kohlenstoff binden, haben diese marinen Ökosysteme eine bemerkenswerte Effizienz bei der Speicherung von Kohlenstoff, sowohl in ihrer Biomasse als auch in den darunterliegenden Sedimenten.

Blue Carbon Management konzentriert sich auf den Schutz und die Wiederherstellung dieser Ökosysteme, um ihre Fähigkeit zur Kohlenstoffbindung zu maximieren. Durch die Erhaltung von Mangroven, Seegraswiesen und ähnlichen Lebensräumen kann die Menge des im Boden gespeicherten Kohlenstoffs deutlich erhöht werden. Diese Ökosysteme können CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen und langfristig speichern. Dabei hängt die Stabilität dieser Speicherung jedoch stark vom Fortbestehen der Ökosysteme ab.

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Seegraswiesen als Kohlenstoffspeicher

Ein besonders wichtiger Akteur im Blue Carbon Management sind Seegraswiesen. Sie speichern Kohlenstoff nicht nur durch das Wachstum ihrer Biomasse, sondern auch, indem sie feine organische Partikel aus dem Wasser filtern. Durch ihre Photosynthese binden sie CO2, das im Wasser gelöst ist, und reduzieren so den Anteil des von Menschen verursachten CO2 in der Atmosphäre. Der gebundene Kohlenstoff wird in den Böden dieser Wiesen langfristig gespeichert.

Eine Studie des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel zeigt, dass Seegraswiesen in der Ostsee etwa 285 Quadratkilometer Fläche bedecken und im Durchschnitt 2700 Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter speichern. Die Menge an Kohlenstoff, die sie jährlich durch organische Partikel im Meeresboden anreichern, liegt zwischen 26 und 52 Gramm pro Quadratmeter. Diese Speicherleistung ist etwa 30- bis 50-mal höher als bei vergleichbaren Ökosystemen an Land.

Internationale Gesetze und Überwachung notwendig

Zwei aktuelle Studien des Helmholtz-Zentrums Hereon, veröffentlicht in Environmental Research Letters und Elementa, fordern klare internationale Regelungen zur Überwachung und Zertifizierung von „Blue Carbon“-Projekten. Die Studien richten sich an Politik und Wirtschaft, mit dem Ziel, CO2-Speicherprojekte in Küstenregionen zu fördern und gleichzeitig die Risiken zu minimieren.

„Es braucht eine internationale Organisation, die die Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung sicherstellt“, so Erstautor Bryce von Dam. Diese Organisation soll für die Zertifizierung von Kohlenstoffgutschriften zuständig sein und ein gerechtes System schaffen, das auch kleinere Projekte berücksichtigt.

Der Digitale Zwilling als Hilfsmittel

Ein zentraler Vorschlag der Studien ist der Einsatz eines digitalen Zwillings. Dieser soll modellieren, wie der Kohlenstoffkreislauf ohne „Blue Carbon“-Projekte aussehen würde. „Ein Digitaler Zwilling kann Echtzeitdaten nutzen, um Basisline-Szenarien zu erstellen und die Effektivität von CO2-Speichermaßnahmen zu überprüfen“, erklärt Bryce von Dam.

Solche Szenarien könnten die Langzeitwirkung der Projekte besser abschätzen und die Glaubwürdigkeit erhöhen. Die Verwendung von künstlicher Intelligenz ermöglicht dabei eine präzisere Simulation von „Was-wäre-wenn“-Szenarien.

Herausforderungen: Risiken und rechtliche Fragen

Neben den technischen Aspekten sehen die Forscherinnen und Forscher große Herausforderungen in der aktuellen Gesetzeslage. So gibt es beispielsweise nur wenige internationale Regelungen, die sich mit der Wiederherstellung mariner Lebensräume befassen. „Manche Maßnahmen können sogar zu erhöhten CO2-Emissionen führen, wenn sie falsch umgesetzt werden“, warnt Hereon-Institutsleiter Helmuth Thomas. Auch die Frage der Haftung bei Fehlschlägen oder unerwarteten Nebenwirkungen ist noch ungeklärt. Ohne verbindliche Regeln besteht die Gefahr, dass Projekte scheitern oder sogar negative Folgen für das Klima haben.

Wirtschaft und Wissenschaft müssen zusammenarbeiten

Die Hereon-Studien betonen auch die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. So könnten innovative Technologien und Methoden zur CO2-Speicherung entwickelt werden. Allerdings sei dies nur möglich, wenn auch der rechtliche Rahmen stimmt. „Wir brauchen neue internationale Steuerungs- und Rechtsrahmen, um die Potenziale dieser Projekte voll auszuschöpfen“, fordert Helmuth Thomas.

Projekte zur CO2-Speicherung könnten eine zentrale Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen. Doch nur mit klaren rechtlichen Strukturen und einer übergeordneten Überwachung können solche Projekte langfristig erfolgreich sein. Dies betonen die Autorinnen und Autoren der Hereon-Studien mehrfach. Sie warnen davor, dass ohne solche Strukturen die Risiken und Unsicherheiten überwiegen könnten.

Kernpunkte der ersten Studie: Strukturiertes Monitoring ist unerlässlich

  1. Herausforderungen der Kohlenstoffbilanzierung

Die erste Hereon-Studie hebt hervor, dass es erhebliche Mängel bei der Kohlenstoffbilanzierung von „Blue Carbon“-Projekten gibt. Fehlerhafte Praktiken führen dazu, dass die Kohlenstoffspeicherung oft überschätzt wird. Um die Glaubwürdigkeit dieser Projekte zu erhöhen, schlagen die Autorinnen und Autoren ein detailliertes Monitoring-Reporting-Verification (MRV)-System vor. Dieses System soll sicherstellen, dass die zusätzlich gebundene Menge an CO2 exakt gemessen und dokumentiert wird. Nur so können „Blue Carbon“-Projekte in den internationalen Kohlenstoffmärkten anerkannt und in nationale Klimaziele integriert werden.

  1. Genauigkeit und Skalierbarkeit des MRV-Systems

Das vorgeschlagene MRV-System muss in der Lage sein, sowohl kleine als auch groß angelegte „Blue Carbon“-Projekte zu überwachen. Ein zentrales Problem ist, dass kleinere Projekte oft benachteiligt werden, weil die Kosten für die Überwachung unverhältnismäßig hoch sind. Dies könnte dazu führen, dass nur große Vorhaben wirtschaftlich tragfähig sind, was der Vielfalt der Ansätze und Innovationen schaden würde. Daher fordern die Forscherinnen und Forscher, dass das MRV-System für Projekte jeder Größe und jedes Ökosystems anwendbar sein muss.

  1. Digitaler Zwilling für präzisere Vorhersagen

Eine innovativen Lösungen, die die Studie vorschlägt, ist der Einsatz eines digitalen Zwillings. Darüber haben wir früher im Text bereits einiges geschriebenm daher nur noch soviel: Diese Methode kann dazu beitragen, die Langzeitwirkungen von CO2-Speicherprojekten besser zu verstehen und die Genauigkeit der Prognosen zu erhöhen.

  1. Gründung einer Zertifizierungsorganisation

Ein weiterer Vorschlag der ersten Studie ist die Einrichtung einer unabhängigen Organisation, die für die Zertifizierung von Kohlenstoffgutschriften zuständig ist. Diese Organisation soll sicherstellen, dass die Kohlenstoffsenken-Überwachung nach standardisierten, fairen Kriterien erfolgt. Zudem soll sie dafür sorgen, dass sowohl kleine als auch große Projekte gleichberechtigt am Kohlenstoffmarkt teilnehmen können.

Hier geht es zur Originalpublikation

Kernpunkte der zweiten Studie: Die Zukunft der CO2-Speicherung im Meer

  1. Potenzial mariner Kohlenstoffsenken

Die zweite Hereon-Studie untersucht das Potenzial von marinen Kohlenstoffentfernungstechniken (mCDR). Küstenökosysteme und der Ozean bieten große Kapazitäten zur langfristigen Speicherung von CO2. Diese können insbesondere nach 2050 eine wichtige Rolle bei der Minderung von Kohlendioxidemissionen spielen. Jedoch gibt es erhebliche Unsicherheiten bezüglich der langfristigen Effizienz dieser Techniken. Weitere Forschung und klare rechtliche Rahmenbedingungen sind nötig, um diese Unsicherheiten zu minimieren.

  1. Risiken und Nebenwirkungen

Während „Blue Carbon“-Projekte zusätzliche Vorteile wie den Schutz vor Stürmen und die Förderung der Biodiversität bieten, bestehen Risiken. Die Ökosysteme sind anfällig für Degradation und könnten durch falsches Management sogar mehr CO2 freisetzen, als sie binden. Marine Techniken zur CO2-Entfernung, wie die Ozeanalkalisierung oder Makroalgen-Aquakultur, bergen ebenfalls ökologische Risiken. Die Studie betont, dass ohne ein solides Regulierungsframework negative Umweltauswirkungen nicht ausgeschlossen werden können.

  1. Dringender Bedarf an Regulierung

Aktuelle Regulierungen für marine CO2-Entfernungstechniken sind entweder veraltet oder fehlen ganz. Die Studienautoren fordern daher die Entwicklung eines umfassenden Rechtsrahmens, um sicherzustellen, dass mCDR-Projekte verantwortungsvoll durchgeführt werden. Ohne klare Regeln könnten Initiativen zur CO2-Speicherung scheitern oder als „Greenwashing“ wahrgenommen werden. „Wir müssen uns darauf konzentrieren, dass diese Projekte die versprochenen CO2-Einsparungen tatsächlich liefern“, heißt es in der Studie.

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Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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