CCU taugt kaum als Klimaschutzmaßnahme
Acatech und Dechema stellen gemeinsam ein Impulspapier zur Abscheidung von CO2 aus der Atmosphäre (CCU) vor.
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Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden und auf den Einsatz von Erdöl, Erdgas und Kohle verzichten. Die EU wiederum hat sich dieses Ziel für 2050 auf die Fahnen geschrieben. Im Vordergrund der Diskussion steht immer der Einsatz der Fossilen im Energiesektor, in der Gebäudeheizung und im Verkehr. Immerhin entfallen rund 80 % des eingesetzten Kohlenstoffs auf diese drei Sektoren.
Etwa 10 % jedoch, rund 1,2 Mrd. t, werden stofflich eingesetzt: in Baumaterialien oder in der chemischen Industrie als Rohstoff für Kunststoffe, Kosmetika oder Arzneimittel. „Diesen Kohlenstoffbedarf wird es auch in Zukunft geben, genauso wie es einen Bedarf an synthetischen Kraftstoffen geben wird“, erklärte Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, auf einer Pressekonferenz der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften Acatech.
CCU hat in Politik und Gesellschaft noch nicht den richtigen Stellenwert
Fischedick und sein Team stellten ein Impulspapier für den Einsatz von abgeschiedenem Kohlendioxid als Rohstoff für die Produktion vor. Im Fachjargon wird es als „Carbon Capture and Utilization“ (CCU) bezeichnet und ist neben der Langzeitspeicherung des Treibhausgases und seiner direkten Entfernung aus der Atmosphäre das dritte Standbein der CO2-Management-Strategien. „Wir hatten den Eindruck gewonnen, dass CCU in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion noch nicht den richtigen Stellenwert hat“, so Fischedick.
Der Ingenieur sprach im Namen des Projektes „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) von Acatech, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Akademienunion. Die 160 Mitglieder aus universitären, außeruniversitären und industriellen Forschungsinstituten reagierten mit ihrem Impulspapier auf die Kohlenstoffmanagementstrategie, an der die Bundesregierung gerade arbeitet. Im Frühjahr wurden Eckpunkte vorgestellt, mittlerweile gelangte auch der Entwurf aus dem Wirtschafts- und Klimaschutzministerium von Robert Habeck an die Öffentlichkeit.
Die Diskussion innerhalb der Regierung und in der Öffentlichkeit wollte ESYS mit dem Papier vorantreiben und gab zur Unterstützung eine Studie bei der Dechema in Auftrag. Von ihr wurden auf der Pressekonferenz jetzt erste Grundzüge vorgestellt. „Die Grundfrage ist, wie wir auf fossilen Kohlenstoff verzichten und alternative Quellen in die Wertschöpfungsketten einbringen können“, betonte Studienleiter Dennis Krämer, Senior Advisor Carbon Management bei der Dechema. Diese alternativen Quellen sind nicht besonders zahlreich: Neben CCU kommen nur noch chemisches Recycling und die Nutzung von Biomasse infrage. CCU sticht in diesem Trio jedoch durch seine hohen Kosten hervor.
Basischemikalien aus CO2 benötigen extrem viel Wasserstoff
Die Dechema konzentrierte sich in ihrer Studie auf die chemische Grundstoffindustrie mit ihren Basischemikalien, schließlich beanspruchen sie einen besonders hohen Anteil vom Kohlenstoffbudget. „Ihre Herstellung mit CO2 benötigt große Mengen an Wasserstoff, der entsprechend teuer und ohnehin momentan gar nicht verfügbar ist“, so Krämer.
Wasserstoff wird benötigt, weil Kohlendioxid ein extrem reaktionsträger Stoff ist, der erst mit hohem Energieeinsatz aktiviert werden kann. Der Wasserstoff muss im Übrigen nicht nur in großer Menge vorhanden sein. Soll die Produktion klimaneutral sein, muss er obendrein mithilfe von erneuerbarer Energie hergestellt werden. Beides ist auf absehbare Zeit nicht realistisch. „Von daher bremst das die weitere Entwicklung momentan aus“, so Dennis Krämer.
Fürs chemische Recycling mangelt es an genügend Abfallmengen
Auch hinter die Alternativen setzt das Dechema-Team um Dennis Krämer Fragezeichen. Beim chemischen Recycling müssen überhaupt erst einmal die nötigen Abfallmengen verfügbar sein. Derzeit gibt es nach Krämers Angaben eine Pilotanlage im Frankfurter Stadtteil Höchst. Sie hat eine Kapazität von jährlich 3200 t und setzt Kunststoffabfälle ein, die zu verunreinigt fürs konventionelle Recycling sind. In ihrer Studie beziffern die Dechema-Forschenden das europaweite Potenzial bis 2045 mit rund 1,8 Mio. t bei einem geschätzten Gesamtbedarf von 28 Mio. t.
Schwierig sieht es auch bei der Option Biomasse aus. „Da haben wir Nutzungskonkurrenz zu energetischen Anwendungen, zur Lebensmittel- und zur Futtermittelproduktion und mit Blick auf die Biodiversität Konflikte mit dem Naturschutz“, so Manfred Fischedick. Das Dechema-Forschungsteam ist da optimistischer und schreibt der Biomasse eine wichtige Rolle zu. Ein gutes Drittel des europäischen Kohlenstoffbedarfs, immerhin 10 Mio. t, soll 2050 aus dieser Quelle gedeckt werden. Ungenutztes Potenzial sieht Dennis Krämer auf Nachfrage in Altpapier, Getreidestroh, Grünschnitt und Restholz aus der Forstwirtschaft, aber auch in Mist und Gülle von Rindern und Schweinen. Das „Aber“ kommt gleich hinterher: „Aber das birgt die Gefahr, dass wir nicht nur bestimmte Vorprodukte, sondern gleich das ganze Produkt importieren.“
CCU als alternative Kohlenstoffquelle und weniger als Klimaschutzmaßnahme
Die Diskussion, die die deutschen Akademien mit ihrem Impulspapier anstoßen wollen, ist demnach überfällig und muss innerhalb der breiten Auseinandersetzung um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland geführt werden. Dabei plädierten die Experten dafür, CCU vor allem als alternative Kohlenstoffquelle anzusehen und nicht als Klimaschutzmaßnahme. „Nur 9 % der relevantesten CCU-Chemikalien binden Kohlenstoff länger als ein Jahr“, zitierte Johanna Wiechen von der Umweltschutzorganisation Germanwatch eine Studie der EU-Kommission. Das CO2-Speicherpotenzial erscheint da zu unsicher.
Die 2050 in der Deckung des europäischen Kohlenstoffbedarfs klaffende Lücke von 16,2 Mio. t müsse durch CCU geschlossen werden – hohe Kosten hin oder her. Und damit landen auch die 160 Koryphäen des ESYS-Projektes bei einer Diskussion, die in Deutschland alle Foren bis hinunter zum Stammtisch beherrscht. „Wir stehen vor der Alternative, grüne Vorprodukte zu importieren und damit natürlich Wertschöpfung ins Ausland zu verschieben“, beschreibt es Manfred Fischedick.
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