Sandverbrauch führt zum Raubbau an der Natur
Sand wird von der Allerweltsware zum gesuchten Rohstoff. Er findet sich in Beton ebenso wie in Handys, Kosmetik und Chips. Nach Wasser ist es der meist verbrauchte Rohstoff überhaupt. In vielen Teilen der Welt ist ein regelrechter Krieg um Sand entbrannt. Das führt dazu, dass Flüsse ihr Bett verlieren, Tiere ihren Lebensraum, Menschen ihre Existenzgrundlage. Bauboom und der Klimawandel treiben gefährliche Entwicklungen voran, die auch Strände in Gefahr bringen. Laut neuesten Prognosen sollen bis 2100 die Hälfte aller Strände verschwinden.
Vor der französischen Côtes-d’Armor in der Bucht von Lannion sind ein paar Seehunde heimisch. Kleine bretonische Dörfchen gibt es hier, Pinguine und Kormorane. Und viel Wut. Denn seit ein Unternehmen die Unterwasserdüne aus Muschelsand absaugen will, haben sich 31 Vereine und 13 Gemeinden zu einem Kollektiv zusammengeschlossen. Eine Filiale der Roullier-Gruppe will im Meer vor der Küste 20 Jahre lang Sand absaugen und zwar 40.000 Kubikmeter jährlich. Daraus sollen Boden-Verbesserer für die Landwirtschaft gewonnen werden. Jetzt sorgen sich Fischer, Naturschützer und Tourismusbetriebe. Und auf einmal steht der Sand im Mittelpunkt.
Sand wird knapp
„Wie Sand am Meer“, ist eine Umschreibung für etwas, das in großer Menge vorhanden ist. Aber der Sand wird rar. Um ihn ist ein Kampf entbrannt. Es gibt sandschmuggelnde Mafiosi in Asien und Supersandsauger großer Konzerne mit weltweitem Einsatz.
Diese Sucht nach Sand hat viele Gründe: Da ist zum einen der internationale Bauboom, zu anderen der Einsatz von Sand in Beton, aber auch Handys, Kosmetik und PC-Chips bis hin zur Glasflasche: Sand umgibt uns in vielen Formen. Besonders gefragt ist er da, wo das Wirtschaftswachstum groß ist.
In Dubai beispielsweise ist die Boom-Phase der Jahre 2006 bis 2008 zwar vorbei. Aber es wird weitergebaut. „Die Kosten, Bauprojekte brach liegen zu lassen, sind wesentlich höher, als die Projekte fertigzustellen“, sagt Ahmed Badr von Credit Suisse. Bei einem Baustopp müssten die Käufer ausgezahlt werden.
Wüstensand eignet sich nicht für Beton
Für den Bau dieser Hochhäuser wird Sand gebraucht. Dubai als Wüstenstadt liegt eigentlich an der Quelle. „Aber Wüstensand eignet sich nicht für Beton“, stellt Michael Welland fest, muss also importiert werden. Der britische Geologe hat ein Buch über Sand geschrieben und ist überzeugt: „Die Nachfrage nach Sand ist so groß, dass sie ein weltweites Problem darstellt.“
Der Sand wird von Schwimmbaggern gefördert. In Dubai war das Luxemburger Unternehmen Jan de Nul aktiv, das gemeinsam mit dem belgischen Spezialisten Deme und den niederländischen Royal Boskalis Westminster und Van Oord zu den 4 Branchengrößen gehört. Zu seiner Flotte von 80 Schiffen zählt auch der Schwimmbagger „Cristobal Colon“ mit einer Ladekapazität von 46.000 Kubikmetern. Dieser Schwimmbagger kann Sand aus einer Meerestiefe bis zu 155 Meter holen. Jetzt soll mit einem solchen Gerät eine 260 Hektar große künstliche Insel vor Indonesien aufgeschüttet werden, gab das Unternehmen bekannt.
Auch in Singapur kommen nächtlich Schiffe mit Sand an. Der Inselstaat hat seine Fläche seit den 60er-Jahren um 20 % vergrößert und der Sandhunger wächst. Die Nachbarstaaten Indonesien, Kambodscha und Vietnam haben den Sand-Export verboten. Seither boomt der Schmuggel.
Singapur importiert täglich 700 Lkw Sand
Jetzt sind die 83 Inseln vor der indonesischen Küste in Gefahr.
„Viele tropische Inseln schrumpfen dramatisch und drohen zu versinken“, warnt Nur Hidayati von Greenpeace Indonesien. „Das ganze Ökosystem und die Korallenriffe sind bedroht.“
Sogar die Meeresströmung könnte sich dann verändern. Laut Malaysias Regierung fahren immer noch 700 Lkw voller Sand täglich nach Singapur. Der Insel- und Stadtstaat wird jetzt beschuldigt, einen Sand-Krieg los getreten zu haben.
Auch in Indien gibt es massive Probleme mit Sand. Das Land wächst schnell und der Sand-Verbrauch ist immens: 200 Tonnen Sand stecken in einem mittelgroßen Haus, 30.000 Tonnen in 1 Kilometer Autobahn und für ein Atomkraftwerk werden 12 Millionen Tonnen benötigt. Da zählt jedes Körnchen.
Rund 100 Lkw fahren jede Nacht mit Ladungen voller Sand in die boomende Metropole Bangalore. Dafür werden drei Flüsse geplündert: Yagachi, Hemavathy und Cauvery verlieren ihr Sandbett. Die Sand-Mafia wird oft von der Politik gedeckt.
Malediven: 12 Inseln sind durch Sandabbau verschwunden
Nicht besser ist es auf den Malediven. In dem Inselstaat sind bereits 12 Inseln versunken. Sie sind Opfer des Baubooms auf der Hauptinsel und der Strandaufschüttung. Das Atoll liegt nur rund einen Meter über dem ansteigenden Meeresspiegel und ist deshalb besonders anfällig. Seine Strände verschwinden und mit ihnen schließlich auch die Inseln.
Die Gier nach Sand hinterlässt ihre Spuren auch in Afrika. Die Küste von Sierra Leone verliert an einigen Stellen bis zu 6 Meter Strandbreite jährlich durch Erosion aufgrund von wildem Sandabbau. Ähnliche Probleme gibt es auch in Südafrika. „Es gibt eine Karte der US-Behörden im Internet, die alle Orte mit Sandproblemen aufführt“, weiß der Geologe Welland.
Strände in Marokko wurden zu Kraterlandschaften
Vor den Küsten von Tanger und Casablanca in Marokko sind die feinen Sandstrände teilweise zu mondähnlichen Kraterlandschaften mutiert. Auch hier hat die Sand-Mafia zugeschlagen, um Material für den Hotelbau zu holen. Aber wer will ein Hotel ohne Strand?
Der französische Forscher Eric Chaumillon von der Universität La Rochelle und dem Centre National des Recherches Scientifiques (CNRS) hält vier Entwicklungen verantwortlich für das Verschwinden der Strände.
„Zum einen steigt durch den menschlichen Eingriff das Meer. Es gibt durch den Klimawandel mehr Stürme, die die Küsten schädigen. Und der massive Bau von Flussdämmen über 15 Metern – 900 pro Jahr zwischen 1951 und 1982 – erhöht die Fließgeschwindigkeit und versperrt dem Sand den Weg zum Meer. Der wilde Sandabbau tut ein Übriges.“
Doch der Sandhunger der Schwellen- und Industriestaaten ist schlimmer als alle natürlichen Phänomene: „Zurzeit wird so viel Sand entnommen, wie alle Flüsse der Welt in einem Jahr produzieren“, so Chaumillon. In seiner Disziplin hat sich ein neuer Begriff durchgesetzt: anthroposcene. „Es bedeutet, dass der Mensch zum ersten Mal mehr Einfluss hat als die Natur.“
Sand wird auch zur Aufschüttung von Stränden gebraucht
Sand wird nicht nur entnommen, um zu bauen, sondern auch, um Strände aufzuschütten und so den Tourismus zu retten. Seit den ersten Aufschüttungen vor New York 1922 haben sich die Dimensionen allerdings dramatisch verändert. So kosteten die 16 Kilometer langen Aufschüttungen am Strand von Miami Beach in Florida allein zwischen 1976 und 1981 64 Millionen US-Dollar. Seither sind die Kosten stetig gestiegen.
Mexiko verlor durch den Hurrikan Wilma 2005 einen Teil seiner Strände. In Cancun wurden daraufhin 4,9 Millionen Kubikmeter Sand auf 450 Metern Küstenlinie aufgeschüttet. Sie sollen 10 Jahre halten. Ähnliche Projekte gibt es an der Golden Coast in Australien oder in Hawaii.
Europa steht nicht zurück. Italien beispielsweise fürchtet um die Erosion seiner 490 Kilometer langen Küste, schüttet massiv auf und baut Barrikaden. Aber das kann auch daneben gehen, wie die die Erfahrung von Waikiki Beach auf Hawaii zeigt: Wenn der aufgeschüttete Sand feinkörniger ist, fegt ihn der nächste Sturm ins Meer. Dort sollte der Strand von 520 Meter Länge nach Plänen aus dem Jahr 2010 seine Breite aus dem Jahr 1985 zurückerhalten. Aber der neu aufgeschüttete Sand blieb nicht liegen.
Touristenattraktion: Der Glasstrand von Kalifornien
Unklar ist noch, welche Folgen Wellenbrecher oder die Sandentnahme im Meer überhaupt haben.
„Die natürlichen Prozesse sind sehr langsam, während der Mensch in kurzer Zeit starke Eingriffe vornimmt. Angesichts des wachsenden Sandhungers sollte deshalb die Forschung verstärkt werden“, meint der Forscher Chaumillon.
Wie die Zukunft aussehen könnte, zeigt sich in den USA: Der Glas-Strand in Nordkalifornien ist durch Müllablagerung entstanden. Der Glasabfall wurde vom Meer rund gewaschen und ist heute eine Touristenattraktion. Der Strand besteht aus buntem Glas-Granulat.
In der Bretagne sind die Anwohner nicht grundsätzlich gegen die Nutzung des Sandes. „Aber an Land gibt es eine gesetzliche Verpflichtung, nach der Sandentnahme wieder den ursprünglichen Zustand einer Landschaft herzustellen. Unter Wasser gibt es die nicht“, gibt Alain Bidal zu bedenken. Er gehört den Mitgliedern des Kollektivs ,peuple des dunes‘ an, das sich gegen die Nutzung der Sanddüne gegründet hat. Im April haben sie drei Europa-Abgeordneten eine Petition überreicht und hoffen nun, dass Sand ebenso ein politisches Thema wird wie Wasser.
Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte die Hälfte aller Strände verschwinden
Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten im Zuge des Klimawandels etwa die Hälfte der Sandstrände weltweit verschwinden. Zu dieser Aussage kommen Wissenschaftler um Michalis Vousdoukas von der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission in Ispra (Italien) im Fachjournal „Nature Climate Change“. Als Basis für ihre Prognose nahmen die Forscher die Veränderungen der Küstenlinien,
Als Grundlage für ihre Prognose nahmen die Forscher die Veränderungen der Küstenlinien, die auf Satellitenaufnahmen zwischen 1984 bis 2015 an vielen Stränden der Welt zu sehen sind. Auf dieser Basis berechneten sie die Veränderungen bis zu den Jahren 2050 und 2100. In die Rechnungen wurden zwei Entwicklungsszenarien des Weltklimarats (IPCC) zu Rate gezogen: Eines mit einer globalen Erwärmung von 2,6 Grad Celsius bis 2100 sowie eines mit einer Erwärmung um 4,8 Grad. Das Ergebnis: Strände weichen bis zu 246 Meter zurück bei einer Erwärmung um 4,8 Grad Celsius. Nach dem ersten Szenario könnten die Küstenlinien bis 2050 um 2,2 bis 79,2 Meter zurückweichen, bis 2100 um 21,7 bis 171,1 Meter. Die Forscher sind sich aber auch sicher, dass bereits eine überschaubare Begrenzung der Treibhausgase das Zurückweichen der Strände um 40 % reduzieren kann.
Die am stärksten gefährdeten Sandstrände liegen in Mitteleuropa, im östlichen Nordamerika, in Süd- und Westasien, Nordaustralien und auf zahlreichen Karibikinseln. Die deutsche Nordseeküste sowie die Südostküste Großbritanniens sind vor allem durch Stürme bedroht, die ebenfalls zum Schwund der Küstenlinien beitragen. Eine standortspezifische Küstenplanung ist laut den Forschern der beste Weg, um die Stranderosion zu reduzieren und für eine stabile Küste zu sorgen. Als Beispiel nennen sie die Küsten der Niederlande.
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