Droht der EU ein PVC-Verbot?
Im Mittelpunkt des jetzt vorgelegten Grünbuchs stehen die Zukunft der europäischen PVC-Industrie, der Umgang mit Additiven und die Behandlung von PVC-Abfällen.
Auf ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpause legte die Brüsseler Behörde in der vergangenen Woche ein Grünbuch über „Umweltprobleme und die Verwendung von PVC“ vor. Das 40-seitige Diskussionspapier dient als Grundlage für eine breit angelegte Debatte über eine PVC-Gemeinschaftsstragegie. Noch ist völlig offen, ob am Ende der Konsultationen mit Industrie, Wissenschaft und Umweltverbänden weitergehende freiwillige Selbstverpflichtungen, eine neue PVC-Richtlinie oder gar das Verbot von PVC stehen werden.
„Die Menge der PVC-Abfälle wird bis zum Jahre 2020 voraussichtlich um 80 % zunehmen“, so EU-Umweltkommissarin Margot Wallström. Jahr für Jahr fallen in der EU rund 3,6 Mio. t Alt-PVC an: Fenster, Rohre, Bodenbeläge, Kabel und Isoliermaterialien. Mit 57 % gehört der Bausektor zu den Hauptanwendern, gefolgt von Kraftfahrzeugteilen, Verpackungs- und Haushaltsmaterialien. Während die PVC-Müllberge wachsen, stagnieren die Recyclingquoten. Derzeit werden nur 100 000 t des EU-weiten PVC-Mülls einer Wiederverwertung zugeführt. Schlimmer noch, 600 000 t werden jährlich verbrannt. „Höchste Zeit, den Trend zu stoppen“, betont Wallström.
So sieht die Kommission die als Stabilisatoren eingesetzten Blei- und Cadmiumverbindungen ebenso kritisch wie die als Weichmacher bekannten Phthalate. Der für Unternehmen in der EU zuständige Kommissar Erkki Liikanen setzt zunächst einmal auf den Dialog mit den rund 21 000 Firmen der PVC herstellenden und verarbeitenden Branche. Sie beschäftigen 530 000 EU-Bürger und erbringen ein Wertschöpfung von jährlich rund 72 Mrd. Euro ( rd. 145 Mrd. DM). Ein Viertel der weltweiten PVC-Produktion entfällt auf Europa.
Die Diskussion mit den Verbänden und der Wirtschaft ist bereits in vollem Gange. In den Brüsseler Generaldirektionen Umwelt und Unternehmen wurden die Ankündigungen der europäischen PVC-Produzenten (ECVM) im März dieses Jahres, die Recyclingquoten drastisch steigern zu wollen, aufmerksam registriert. Der EU-Kommission geht die Selbstverpflichtung jedoch nicht weit genug. In ihrem Grünbuch regt sie nicht nur den Aufbau getrennter Sammelsystem für PVC-Abfälle an, sondern erwartet auch eine direkte finanzielle Beteiligung der Industrie an den hohen Kosten der PVC-Verbrennung. Vor allem bei der Herstellung von Kraftfahrzeugen, Elektroartikeln und Verpackungsmaterialien hat Brüssel klare Verbote im Auge. Auf längere Sicht ist an eine vollständige Substitution von PVC gedacht.
Aus Sicht der deutschen Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt (AgPU) hinkt die EU-Debatte hinter der aktuellen industriepolitischen Diskussion in Deutschland „weit hinterher“. „Das vorgelegte Grünbuch verengt die Diskussion vornehmlich auf PVC im Abfallstrom“, bedauert AgPU-Geschäftsführer Werner Preusker. Zur Beurteilung einer nachhaltigen Entwicklung müssten Werkstoffe in Bezug auf ihre ökologischen, okonomischen und sozialen Aspekte „ganzheitlich“ betrachtet werden. Bereits seit Beginn der 90er Jahre steht die Chlor-Chemie in Deutschland auf dem Prüfstand. „Kein anderer Werkstoff ist in den letzten Jahren so umfassend gründlich untersucht worden wie PVC“, erklärt Preusker.
Die rot-grüne Bundesregierung verfügt wie kein anderes EU-Mitgliedsland über profunde Kenntnisse in der wissenschaftlichen PVC-Debatte. Grund genug, auf EU-Ebene eine Vorreiterrolle in der anstehenden Grünbuch-Diskussion einzunehmen. Aber der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin hält sich auffallend zurück. Das Thema Chlorchemie sei eine Debatte der 90er Jahre, heißt es aus dem Bonner Umweltministerium. Auch für die Grünen in Nordrhein-Westfalen hat das Thema seine Priorität verloren. Erst in der vergangenen Woche gaben die NRW-Grünen den Widerstand gegen den Ausbau einer Chlorfabrik in Hürth-Knappsack bei Köln und den Bau eine PVC-Anlage im Wert von 250 Mio. DM auf. THOMAS A. FRIEDRICH
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