Energieperspektiven 2030 und Netto-Null: Wird Deutschland wirklich treibhausgasneutral?
Das angestrebte Ziel lautet „Netto Null“: Deutschland strebt an, bis 2045 treibhausgasneutral zu sein. Ist dieses Ziel noch erreichbar? Wo stehen wir auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität, und welche Kosten sind damit verbunden? Ein Team von Systemanalytikern des Forschungszentrums Jülich führt eine Realitätsüberprüfung durch, um diese Fragen zu beantworten.
Das Forschungszentrum Jülich hat ein Team von Systemanalytikern beauftragt, eine Realitätsüberprüfung durchzuführen. In ihrer kürzlich in Berlin vorgestellten Studie fokussieren sich die Wissenschaftler auf das Jahr 2030, das als entscheidender Meilenstein betrachtet wird.
Die Antwort der Forschenden lautet: Ja, eine Netto-Null bis 2045 ist nach wie vor möglich – dies bestätigen die hochdetaillierten Analysen der Jülicher Systemforscher. Dennoch zeigen die Modelle der Wissenschaftler auch, dass das Jahr 2030 einen bedeutenden Wendepunkt markiert.
„Um die Ziele des deutschen Klimaschutzgesetzes einzuhalten, müssen bereits bis zum Jahr 2030 umfangreiche Maßnahmen in allen Sektoren umgesetzt werden“, erklärt Detlef Stolten, Direktor des Jülicher Instituts für Techno-ökonomische Systemanalyse. „Zudem müssen bis dahin zwingend Voraussetzungen für die nächsten Schritte geschaffen werden, damit das Ziel der Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 noch erreicht werden kann. Was wir in den nächsten sieben Jahren tun, ist von entscheidender Bedeutung.“
Kapazitäten erneuerbarer Energien erweitern
Es ist aber erforderlich, die Kapazitäten erneuerbarer Energien zu erweitern. „Die Substitution fossiler Energieträger wird zu einer zunehmenden Elektrifizierung der deutschen Energieversorgung führen,“ so Felix Kullmann, Hauptautor der Studie. „Das betrifft alle Sektoren: Verkehr, Industrie, Haushalte, Handel.“ Die Folge sei ein deutlich höherer Stromverbrauch. „Dazu kommt, dass sich unser Handlungsspielraum immer weiter verkürzt.“
Um die Kosten für den erforderlichen Ausbau erneuerbarer Energien zu reduzieren, sind bis 2030 erhebliche jährliche Zuwachsraten unerlässlich. Aktuell belaufen sich diese auf knapp 2 Gigawatt pro Jahr für Windkraft und 8 Gigawatt pro Jahr für Photovoltaik. Gemäß den Berechnungen der Forscher des Forschungszentrums Jülich müssen beide Zuwachsraten um mindestens das 2- bis 4-fache gesteigert werden.
Verstärkte Nutzung von Wärmepumpen
Weitere zentrale Säulen einer klimaneutralen Energieversorgung sind eine verbesserte Energieeffizienz – denn die umweltfreundlichste Kilowattstunde ist die, die überhaupt nicht verbraucht wird – sowie die verstärkte Nutzung von Wärmepumpen. Bis 2030 soll ihr Anteil bereits 21 Prozent erreichen.
Um sicherzustellen, dass diese Wärmepumpen möglichst effizient arbeiten, ist gleichzeitig eine intensivere Entwicklung von Wärmespeichern erforderlich.
Ebenso entscheidend für den Erfolg der deutschen Wärmewende ist die Sanierung bestehender Gebäude. „Dieses sollte auch in der verstärkten Förderung von Dämmmaßnahmen oder dem Austausch von alten Fenstern berücksichtigt werden“, so Felix Kullmann.
Infrastrukturen für den Wasserstoffimport entwickeln
Ab 2035 wird die Nachfrage nach Wasserstoff signifikant steigen. Neben dem Ausbau der heimischen Elektrolysekapazitäten ist es für Deutschland entscheidend, bis zu diesem Zeitpunkt auch Importinfrastrukturen für Wasserstoff zu entwickeln, da voraussichtlich mehr als die Hälfte des benötigten Wasserstoffs importiert werden muss.
„Biomasse ist eine weitere wichtige Säule“, so Kullmann. Bis zum Jahr 2030 wird ungefähr 14 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs durch diese Quellen abgedeckt sein, und bis 2045 wird dieser Anteil auf 20 Prozent steigen. „Deshalb muss das bisher unerschlossene Potenzial an biogenen Abfall- und Reststoffen gehoben werden, und wir müssen beginnen, die heute für den Bioenergieanbau genutzte Fläche bis 2030 zu vergrößern.“
Kohlendioxid aus der Atmosphäre extrahieren
Schließlich wird es erforderlich sein, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu extrahieren. „Das Ziel der Treibhausgasneutralität kann nicht ohne die dauerhafte Speicherung von CO2 erreicht werden“, erklärt Detlef Stolten. „Im Jahr 2045 verbleiben schwer vermeidbare Restemissionen in Höhe von mehr als 70 Millionen Tonnen CO2. Die müssen durch negative Emissionen in gleicher Höhe ausgeglichen werden. Bis zum Jahr 2030 müssen daher bereits geeignete Speicherstätten für das entnommene CO2 gefunden werden, und es müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die dauerhafte CO2-Speicherung geschaffen werden.“
Die vorliegende Studie basiert auf umfassenden Berechnungen unter Verwendung der speziell für diesen Zweck entwickelten Software ETHOS, die von den Forscherinnen und Forschern des Forschungszentrums Jülich erstellt wurde. Diese Software ermöglicht eine wissenschaftlich fundierte Analyse von kosteneffizienten Strategien und Maßnahmen zur Erreichung der Ziele zur Reduzierung von Treibhausgasen.
Durch die ETHOS-Computermodelle kann die deutsche Energieversorgung mit all ihren Erzeugungspfaden und Wechselwirkungen detailliert und präzise abgebildet werden. Dies schließt nicht nur aktuelle, sondern auch zukünftige Verbindungen von Energieimporten und -exporten ein. Ebenso wird eine Infrastrukturanalyse durchgeführt, die sämtliche relevanten Energieträger – Strom, Gas, Wasserstoff und Wärme – in Betracht zieht.
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