„Erdfälle sind in vielen Regionen möglich“
Am Montag brach im Thüringischen Schmalkalden inmitten einer Siedlung die Erde ein. Charlotte Krawczyk erforscht am Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik in Hannover solche Erdfälle und arbeitet an Verfahren, um kritische Gesteinsformationen aufzuspüren.
VDI nachrichten: Frau Prof. Krawczyk, wie kommt es zu Erdfällen wie jetzt in Schmalkalden?
Krawczyk: Dafür gibt es verschiedene geologische Ursachen. In der Erde gibt es häufig wasserlösliche Formationen – etwa aus Salz, Gips oder Muschelkalk. Liegen sie vergleichsweise dicht an der Oberfläche und werden beispielsweise durch Grundwasserflüsse angelöst, kann es im Laufe der Zeit zu Instabilitäten kommen.
Es entstehen Hohlräume?
Es muss nicht immer ein großer Hohlraum sein. Oft sind es eher schwammartige, mit der Zeit poröser werdende Formation. Wird die Stabilitätsgrenze unterschritten, gibt es einen Einbruch.
Kommen diese löslichen Gesteinsformationen in bestimmten Regionen gehäuft vor?
Nein. Die gibt es überall in Deutschland. Die Gesteine variieren von Region zu Region, mal ist es Salz, mal Gips oder auch Karst. Die Verdachtsflächen sind bekannt, kartiert und bei den geologischen Diensten der Bundesländer abrufbar. Oft sind sie auch in Bebauungsplänen ausgewiesen. Wer dort baut, ist vorgewarnt.
Gibt es dennoch Möglichkeiten der Früherkennung und Prävention?
Wir bemühen uns, die Prozesse im Untergrund zu verstehen und langfristig zu beobachten. Kuhlen und Gruben in der Landschaft deuten auf historische Erdfälle hin. Auch wo der Boden oberflächlich absackt, schauen Geologen genauer hin. Das geschieht teils mit Abweichungsmessungen per Satellit oder mit vergleichenden geodätischen Messungen am Boden. Aber das Raster ist grob. Um Vorfälle wie jetzt in Schmalkalden vorherzusehen, müsste man sämtliche Verdachtsflächen im 10-m-Raster untersuchen – und zwar laufend. Das ist schlicht nicht leistbar.
Also bleibt es letztlich eine Lotterie?
Wenn Sie so wollen, ja. Es sind natürliche Prozesse, die glücklicherweise meist auf unbebautem Gebiet passieren. Jährlich gibt es pro Bundesland 20 bis 30 Erdfälle. Mal sind es mehr, mal weniger. Nur selten rücken sie so nah an Siedlungen wie jetzt in Thüringen.
Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit seismischer Aufklärung der Prozesse im Boden. Was können Sie im Vorfeld erkennen?
In der Regel rücken wir erst an, wenn schon Krater da sind. Dann analysieren wir mithilfe von Scherwellen die Bodenstrukturen im Umfeld. An den reflektierten Wellen können wir Grenzflächen der Gesteinsschichten erkennen. Und wir errechnen anhand der Wellengeschwindigkeiten, um welches Material es sich handelt oder ob es Verschiebungen und Einbrüche gegeben hat. Langfristig wollen wir dahin, Hohlräume abzubilden. Noch sind wir allerdings dabei, Labormessungen im Feld zu verifizieren. Natürliche Gesteinsschichten sind ungleich komplexer als im Labor. Aber wir haben die ersten Patente und die Vermarktung unserer Geräte beginnt.
Was passiert, wenn Sie mit Ihrem Scherwellenverfahren auf Hohlräume stoßen? Gibt es präventive Handlungsmöglichkeiten?
Unser Verfahren hilft, die Gefahr einzuschätzen. Wo Bewohner gehäuft Wand- und Bodenrisse oder auch Mikrobeben melden, analysieren wir die Bodenstrukturen auf Stabilität hin. Droht konkrete Gefahr, werden teils sogar Straßen gesperrt. Und wo menschliches Handeln, etwa Grundwasserentnahme, die Probleme verschärft, wird es gestoppt. Dass Hohlräume präventiv verfüllt werden, ist mir allerdings nicht bekannt.
Und was passiert nach einem Erdfall mit den Kratern?
Das ist unterschiedlich. Teils überlässt man sie sich selbst. Dann füllen sie sich mit Wasser. Innerhalb von Ortschaften werden sie je nach Größe mit Beton oder – wie jetzt in Schmalkalden – mit Kies verfüllt.
Wird es Ihnen selbst mulmig, wenn Sie an solchen Kratern zu tun haben?
Sicher. Aber wir halten gebührenden Abstand, sichern uns und respektieren die Kraft der Natur.
PETER TRECHOW
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