Erdrutsch-Gefahr: Forscher arbeiten an einem Frühwarnsystem
Schlamm- und Gerölllawinen können ganze Dörfer unter sich begraben oder Straßen und Bahnstrecken zerstören. Der Klimawandel macht Erdrutsche wahrscheinlicher, denn extreme Regenfälle und Schneeschmelze weichen den Boden auf. Ebenso untergraben Dürreperioden die Stabilität der Hänge. Forscher arbeiten jetzt an einem Frühwarnsystem.
„Erdrutsche werden häufig vom Menschen verursacht, etwa durch Entwalden oder künstliches Beregnen der Hänge“, sagt Thomas Glade, Geomorphologe an der Uni Wien, „dennoch siedelt er gerade in Gebieten, wo gravitative Massenbewegungen immer wieder auftreten, und ist dadurch stärker betroffen.“ Der unverbaubare Blick ins Tal sei eben begehrt.
Glade ist Mitautor des Frühwarnsystems Ilews (Integrative Landslide Early Warning Systems), das Forscher verschiedener Disziplinen und Unternehmen im Rahmen des BMBF-Sonderprogramms „Geotechnologien“ entwickelt haben. Im Herbst 2011 wurde Ilews zum Ort im „Land der Ideen“ gekürt.
Anwohner bemerken einen Erdrutsch oft gar nicht
Oft wissen Anwohner gar nicht, dass ihnen der Boden unter den Füßen wegrutscht. Dabei sind gefährdete Gebiete zumindest in Deutschland oft gut bekannt: Historiker spürten im Rahmen des Projekts Hinweisen in alten Chroniken und Zeitungsarchiven nach.
Doch wer sein Haus an so einem Hang bereits gebaut hat, wolle es gar nicht so genau wissen, vermutet Jürgen Pohl von der Uni Bonn. Denn das Gebäude würde an Wert verlieren. Deshalb sei die Installation eines Frühwarnsystems eine heikle Sache. Unklar auch, wer für Schäden haftet: „Derjenige, der das Objekt erstellt hat, oder der, der das Bauland ausweist?“, fragt der Sozialgeograf.
Erst wenn sich Risse zeigen, fühlten sich die Bürger alarmiert. Im Testgebiet des Projekts, in Lichtenstein in der Schwäbischen Alb, war das vereinzelt der Fall. „Der Anwohner, dessen Haus beschädigt war, hat uns großzügig mit Strom versorgt“, erzählt Rainer Bell, Mitarbeiter von Glade. Der habe das Team auch vor Ort unterstützt, wenn die Forscher dies nicht aus der Ferne regeln konnten. „Gegen Ende des Projekts kamen viele und wollten wissen, was wir gemessen haben.“
Innerhalb von 6 Jahren bewegte sich der Hang mitsamt den Gebäuden kontinuierlich um 2 mm bis 3 mm pro Jahr talwärts. Das zieht zwar Schäden nach sich, bedeutet aber keine akute Gefahr.
Erdrutsche sind kaum erforscht
Doch eine Garantie gibt es nicht. Während für Erdbeben und Hochwasser Langzeitmessergebnisse vorliegen, sind Erdrutsche wenig erforscht. Man müsse mindestens 5, besser 10 Jahre messen, um das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren zu verstehen, meint Glade.
Im Rahmen des Sonderprogramms Geotechnologien erkundeten die Forscher verschiedene technische Überwachungsmöglichkeiten. So kombiniert das System alpeWAS von TU München und Universität der Bundeswehr spezielle Fühler, die auf Quetschungen im Bohrloch reagieren, mit GPS-Sensoren und einer reflektorlosen Tachymetrie. Bei dieser tastet ein Laserstrahl die Landschaft ab, um Abweichungen von einem natürlichen Fixpunkt, etwa einem Fels, zu erkennen.
Bei Ilews half die Geoelektrik, Schwächezonen im Hang genauer einzugrenzen. Anhand der Leitfähigkeit des Untergrunds lassen sich potenzielle Gleitflächen auch ohne Bohrungen ausmachen, sagt Heinrich Krummel von der Bonner Firma Geofact. Zudem messen Sensoren in Tiefen zwischen 2 m und 10 m Bewegungen und den Wasserdruck im Boden. Nimmt dieser zu, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die durchnässte Bergflanke nachgibt. Die Sensoren funken ihre Daten via Gateway an den Server.
Festlegen kritischer Schwellenwerte erweist sich als Knackpunkt für Erdrutsch-Frühwarnsystem
„Wir haben uns gegen ein vollautomatisches System entschieden“, sagt Pohl: Dieses würde die Anwohner direkt per SMS oder akustisch warnen und Straßen oder Bahnlinien sperren. Ein Fehlalarm aber wäre problematisch. Deshalb sollen Experten darüber entscheiden. Bei den vielen möglichen Arten von Erdrutsch gebe es keine allgemeingültige Handlungsempfehlung.
Wer aber übernimmt als Experte die Verantwortung? Nicht die Gemeindeverwaltung oder die Bürgermeister, so die Erfahrung des Ilews-Teams, sondern die übergeordnete Behörde. In Deutschland ist Katastrophenschutz Länderaufgabe. Die Auswahl der Experten, das Festlegen der Zugangsrechte und der kritischen Schwellenwerte erweist sich als Knackpunkt des Frühwarnsystems.
Im Ort Lichtenstein steht der Hang unter Beobachtung. Der Wunsch, das Frühwarnsystem selbst zu betreiben, sei vor Ort gering, sagt Krummel. Immerhin verursacht es Unterhaltungskosten von 1000 €/Monat.
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