EU sucht dringend Ersatz für bromierte Flammhemmer
In diesen Tagen endet in Brüssel eine Debatte über die „Richtlinie zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Substanzen in Elektro- und Elektronikgeräten“. Das EU-Parlament stellte zum Beispiel bromierte Flammhemmer unter Generalverdacht: Die EU-Kommission solle sich deren Risiken genauer ansehen. Doch dies fand bei den EU-Staaten keine Zustimmung. Der Bromexperte Willen Hofland freut sich – Johanna Wurbs vom Umweltbundesamt hingegen nicht.
Pro: Willen Hofland
VDI nachrichten: Ist ein Generalverdacht für bromierten Flammhemmer gerechtfertigt?
Hofland: Natürlich nicht. Flammschutzmittel bilden eine große Gruppe von Substanzen. Die Risiken einer jeden Substanz müssen einzeln bewertet werden, da jede unterschiedlich auf Mensch und Umwelt wirkt.
Vor allem drei Flammhemmer sind in der Diskussion. Hexabromcyclododean (HBCDD) ist der eine.
Ja, HBCDD ist das bisher einzige Flammschutzmittel, das unter der Chemikalienverordnung Reach als besonders besorgniserregend eingestuft wurde. Es ist langlebig, bioakkumulativ und auch giftig. Jede seiner Anwendungen wird im Zulassungsverfahren genau geprüft werden. Das Verfahren beginnt 2011.
Gibt es Ersatzstoffe?
Für den Einsatz in elektrischen und elektronischen Geräten ja. Doch HBCDD wird hauptsächlich in Polystyroldämmstoffen als Flammschutzmittel eingesetzt. Hier sucht die Industrie zurzeit nach Ersatz.
Welches sind die Anforderungen an einen möglichen Ersatzstoff?
Er muss natürlich die Entstehung von Bränden hemmen. Und wichtig ist, dass kein Flammhemmer durch eine Chemikalie ersetzt werden darf, deren Risiko wir nicht ausreichend kennen. Es geht ja nicht, dass von einem Ersatzstoff Gefahren für Mensch und Umwelt ausgehen.
Der Europäische Gerichtshof hatte 2008 den Einsatz von Decabromdiphenylether in elektrischen Geräten untersagt.
Wir haben diese Entscheidung mit Bedauern aufgenommen. Und verstehen sie auch nicht. Denn keine Risikobewertung zeigt signifikante Risiken für Mensch und Umwelt.
Einsatzbeschränkungen halten wir nur für richtig, wenn wissenschaftlich nachgewiesen wird, dass der Stoffeinsatz zu einem inakzeptablen Risiko führt. Richtig ist aber auch, dass es Ersatzstoffe gibt und Hersteller von Elektroartikeln darauf verzichten.
Und Tetrabrombisphenol A (TBBPA)?
Die Risiken von TBBPA wurden mehrmals bewertet. Das Ergebnis war jedes Mal: kein bedeutendes Risiko für Mensch und Umwelt. Wie die meisten bromierten Flammschutzmittel gilt TBBPA nicht als besonders besorgniserregend unter Reach.
Aber bei unsachgemäßer Verbrennung können aus jedem bromierten Flammhemmer bromierte Dioxine entstehen.
Wir verurteilen die unsachgemäße Verbrennung. Das müssen gesetzliche Bestimmungen verhindern. Hochgiftige Gase entstehen aber bei unsachgemäßem Verbrennen der meisten organischen Stoffe das ist also kein spezielles Problem bromierter Flammschutzmittel. Wir sehen daher keinen Grund, warum man sich gerade diese Substanzgruppe genauer anschauen sollte.
Contra: Johanna Wurbs
VDI nachrichten: Ist es gerechtfertigt, bromierte Flammhemmer unter Generalverdacht zu stellen?
Wurbs: Ja. Aus allen bromierten Flammhemmern entstehen bei Bränden und insbesondere bei Schwelbränden bromierte Dioxine und Furane. Zudem sind die allermeisten dieser Substanzen sehr langlebig und reichern sich in der Natur an.
Sollte man aus Ihrer Sicht alle auf einmal verbieten?
Das wäre zu undifferenziert. Doch sinnvoll wäre schon, sich alle genauer anzuschauen, so wie es der Umweltausschuss des europäischen Parlaments vorgeschlagen hatte. Und ich freue mich, dass manche Hersteller von IT-Geräten von sich aus bereits freiwillig auf solche Flammhemmer verzichten.
In vielen Kunststoffen werden aber Brandverzögerer benötigt. Welche Anforderungen muss ein Ersatzstoff erfüllen?
Sie müssen natürlich die Entstehung von Bränden hinauszögern und sollten für Mensch und Umwelt ein geringeres Risiko darstellen.
Gestritten wird vor allem um drei Flammhemmer: um Hexabromcyclododecan (HBCDD), Decabromdiphenylether (Deca) sowie Tetrabrombisphenol A (TBBPA). Welcher ist Ihnen der wichtigste?
HBCDD! Diese Substanz reichert sich sehr stark an, ist giftig für Gewässerorganismen und schädigt eventuell sogar die Fortpflanzung. Die EU hat sie unter Reach auch schon als Kandidat für die Zulassung benannt.
Hersteller bromierter Flammhemmer kämpfen um Deca …
… doch hoffentlich vergeblich. Auch Deca kommt überall in der Umwelt vor und wird zu Penta- und Oktabromdiphenylether abgebaut. Das sind zwei toxische Flammhemmer, deren Einsatz bereits weltweit beschränkt wird.
Und Tetrabrombisphenol A (TBBPA)?
Man muss hier zwischen der reaktiven und additiven Form unterscheiden. TBBPA wird in Leiterplatten fest an Kunststoff gebunden, Computergehäusen aus ABS-Kunststoff wird es nur zugesetzt. Und neuere Untersuchungen zeigen, Computerhersteller ersetzen Deca in Gehäusen durch additives TBBPA. Wir wollen auf jeden Fall, dass Unternehmen auf die additive Anwendung verzichten.
Das hört sich ja so an, als ob immer Umstrittenes durch ein anderes, nicht Strittiges ersetzt wird.
Ja – doch uns fehlen Produktionsstatistiken. Also Zahlen, welche bromierten Flammhemmer außer den bekannten dreien wo eingesetzt werden. Das wird immer wichtiger. Neuere Untersuchungen zeigen, dass etwa in Spitzbergen auch mehr und mehr andere bromierte Flammhemmer gefunden werden.
Auch nach der Einigung zwischen Rat und EU-Parlament wird es weitergehen. Was raten Sie den Herstellern von Computern und Unterhaltungselektronik?
Sie sollten nach umweltverträglichen Flammschutzmitteln und anderen umweltfreundlichen Maßnahmen der Flammhemmung Ausschau halten. Gleichzeitig sollten sie sichergehen, dass die Ersatzstoffe auch besser für Mensch und Umwelt sind. Die Basis für die Bewertung werden die Daten sein, die im Reach-Prozess anfallen sowie Daten über Nachweise in der Umwelt. Wünschenswert wäre auch, zusätzlich zu prüfen, wie sich ein Ersatzstoff bei Brand verhält und ob er leicht zu recyceln ist.
Sollten eigentlich die Risiken eines jeden Flammhemmers wie bisher einzeln bewertet werden?
Das wäre sehr zeit- und ressourcenaufwendig. Hilfreich wäre, strukturell ähnliche Stoffe gemeinsam zu testen – etwa alle monoaromatischen bromierten Flammhemmer oder TBBPA-Isomere. Hier müssten sinnvolle Gruppen definiert werden. RALPH AHRENS
Willem Hofland
-verteidigt bromierte Flammhemmer.
– ist seit 2008 beratender Direktor der Chemiefirma ICL sowie seit 2009 Vorsitzender des Europäischen Verbandes der Hersteller bromierter Flammhemmer.
– hatte bis 2008 diverse Positionen bei Bromine & Chemicals, London, Eurobrom, Niederlande, und AmeriBrom, USA, inne.
– hat Chemie in Leiden, Niederlande, studiert.
-Jahrgang 1952. ra
Johanna Wurbs
-warnt vor den Gefahren bromierter Flammhemmer.
-ist seit 2005 im Umweltbundesamt wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich „Stoffbezogene Produktfragen“.
-war 1995 bis 1997 Mitarbeiterin der SGS Intercontrol GmbH.
Zwar von 1992 bis 1995 Referentin bei der Umweltberatungsgesellschaft A.U.G.E.
-hat in Bielefeld im Fachbereich Chemie promoviert.
-Jahrgang 1966. ber
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