Europas Kohlenstoffsenke viel größer als gedacht
Die Wälder Europas sind in der Lage, wesentlich mehr an Kohlendioxid zu binden, als bisher gedacht. Das zeigen neue Analysen Bremer Umweltphysiker. Entwarnung im Kampf um den Klimaschutz wollen die Forscher aber nicht geben.
Die Bäume, Sträucher und Wiesen Europas speichern wesentlich mehr Kohlendioxid, als gedacht. So berechnete der Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC), dass in der grünen Vegetation Europas und Eurasiens 400 Millionen Tonnen des Klimagases Kohlendioxid im Jahr gespeichert werden. Umweltphysiker der Universität Bremen haben nun die Daten des europäischen Umweltsatelliten Envisat und des japanischen Satelliten Gosat ausgewertet. Ihr durchaus überraschendes Ergebnis veröffentlichten die Forscher jetzt im international renommierten Journal Atmospehric Chemistry and Physics. Eine Milliarde Tonnen und damit gut 600 Millionen Tonnen mehr Kohlendioxid als vom IPCC berechnet, nimmt die europäische Biosphäre im Jahr auf.
Pflanzen senken im Winter Stoffwechselaktivität
Der Hauptgrund für die große Diskrepanz zwischen den Berechnungen des IPCC und der Analyse der Bremer Umweltphysiker: In den früheren Modellen wurde die Kohlendioxid-Aufnahme in der Anbauperiode unterschätzt und die Kohlendioxid-Abgabe während der Winterruhe zugleich überschätzt. Denn während im Frühling und Sommer die höhere Photosynthese-Aktivität der Pflanzen den Kohlenstoffverbrauch und die -aufnahme erhöht senken die Pflanzen während der Wintermonate ihre Stoffwechselaktivität. Dadurch wird deutlich weniger Kohlendioxid im Zuge der pflanzlichen Atmung an die Atmosphäre abgegeben.
Fehlerquelle Luftprobe
Eine weitere Fehlerquelle ist die Art der Datenerhebung: Die Messdaten basieren auf Luftproben, deren Analyseergebnisse dann auf die gesamte Atmosphäre des Planeten Erde hochgerechnet werden. Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, dass schon eine winzige Veränderung in der Zahl der Kohlenstoffmoleküle, die dabei auf einem Quadratmeter Luft gefunden werden, große Unterschiede in der Gesamtrechnung ergeben.
Denn aus dieser Anzahl an Kohlenstoffmolekülen pro Quadratmeter Luft wird dann auf den Gesamtgehalt und damit auf Gigatonnen Kohlendioxid in der Erdatmosphäre hochgerechnet. Da liegt der Messfehler im System.
Fünf unabhängige Datenquellen verwendet
Um diesem Schicksal zu entgehen, verließen die Bremer Umweltphysiker sich nicht auf einen Datensatz, sondern griffen insgesamt auf fünf Datenerhebungen zurück. Zudem führten sie eine aufwändige Fehleranalyse durch. „Die unabhängige Entwicklung der fünf verwendeten Datenprodukte macht gemeinsame Fehlerquellen unwahrscheinlich und erhöht so das Vertrauen in die abgeleitete Kohlenstoffsenke“, erklärt der Hauptautor der Studie, Dr. Maximilian Reuter.
Keine Entwarnung
Eines stellen die Forscher um Reuter aber unmissverständlich klar. Es gibt im Kampf um das Treibhaus Erde keine Entwarnung. Dr. Michael Buchwitz, Koautor der Studie und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Umweltphysik der Universität Bremen betont: „Unsere Ergebnisse lassen definitiv nicht den Schluss zu, dass Europa weniger Anstrengungen unternehmen muss, seine CO2-Emissionen zu reduzieren.
Da CO2 langlebig und gut durchmischt ist, handelt es sich um ein globales Problem, und wir wissen nicht, wie lange die Natur uns noch den Gefallen tun wird, einen großen Teil des vom Menschen emittierten CO2 zu binden.“
Fluoreszierendes Licht als Indikator für Photosynthese
Um mehr vom globalen Kohlenstoffzyklus zu verstehen sind weitere Forschungen erforderlich. „Dabei sind Satellitendaten wie zum Beispiel von dem kürzlich von der NASA gestarteten OCO-2-Satelliten und dem sich in der Entwicklung befindenden europäischen CarbonSat unerlässlich“, sagt Buchwitz. Denn diese werten keine Luftproben mehr aus. OCO-2 ist mit einer hochauflösenden Spektralkamera ausgestattet, die das schwach fluoreszierende Licht erfassen kann, welches vom grünen Pflanzenfarbstoff Chlorophyll unter Sonneneinstrahlung abgegeben wird. Erst dadurch entsteht ein wirklich realistisches Bild vom globalen Kohlenstoffzyklus.
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