Evonik gewinnt Wertstoffe aus Industrieabwässern
Mit zwei kombinierten Verfahren lassen sich Wasserstoff, Stärke, Biokunststoffe und Carotinoide herstellen. Der Chemiekonzern Evonik erspart sich damit die teure Abwasseraufbereitung.
Am Evonik-Chemiestandort Rheinfelden unmittelbar an der Schweizer Grenze fallen Abwässer an, die Ammoniumchlorid beziehungsweise Ethanol enthalten. Sie müssen aufwändig gereinigt werden, damit sie die örtliche Kläranlage nicht überfordern. Dieses teure Verfahren spart sich der Essener Konzern jetzt mit einer gerade in Betrieb gegangenen Anlage, zumindest teilweise. Mit zwei biotechnischen Verfahren stellt er daraus Wasserstoff her, dem als Energierohstoff die Zukunft gehört, sowie weitere Produkte wie Carotinoide, die der menschliche Körper braucht, aber nicht selbst herstellen kann.
Verpackungsmaterial und Stärke
Weitere Produkte sind Polyhydroxyalkanoate (PHA), Biopolymere, die als Verpackungsmaterial verwendet werden können und die Umwelt weniger schädigen als Kunststoffe aus Erdöl, weil sie biologisch abbaubar sind. Ein weiterer Wertstoff ist Stärke, die als Nahrungsmittel und als Chemierohstoff eine große Bedeutung hat.
SmartBioH2-BW heißt das Verfahren – BioH2-BW bedeutet Biowasserstoff, der Umwelt und Klima weder bei der Produktion noch bei der Nutzung belastet. Die übrigen Produkte passten nicht mehr in den ohnehin schon komplizierten Namen, den sich Forschende des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart ausgedacht haben, die das Verfahren gemeinsam mit Evonik entwickelt haben.
CO2 wird zum Bio-Rohstoff
Die Bioraffinerie in Rheinfelden basiert auf zwei Verfahren, die miteinander verknüpft sind. Das erste verwendet Purpurbakterien, die in einem geschlossenen Bioreaktor Wasserstoff, Carotinoide und PHA produzieren. Nebenbei fällt das Klimagas Kohlenstoffdioxid (CO2) an, das die schöne Umweltbilanz trüben könnte, wäre den Fraunhofer-Forschern nicht eine Verwendungsmöglichkeit eingefallen. Er wird in eine Mikroalgenanlage geleitet und von den dort wachsenden Pflanzen in Biomasse umgewandelt. Dabei entsteht Stärke.
Ein Teil des grünen Wasserstoffs ersetzt grauen, den Evonik in Rheinfelden aus Erdgas herstellt, und zwar in großen Mengen. Jährlich sind es rund 5000 Tonnen. Dabei werden fünf Millionen Tonnen CO2 frei, die den Klimawandel voranbringen.
Lichtentzug für Purpurbakterien
Purpurbakterien brauchen normalerweise Licht, um zu wachsen und Wasserstoff zu produzieren. Das haben die Entwickler den Mikroorganismen abgewöhnt. Sie verbannten sie in die Finsternis, weil die Lichtversorgung beim großindustriellen Einsatz der Bakterien nicht zuverlässig funktioniert und zusätzliche Energie verbraucht. Deshalb setzt das IGB auf die so genannte mikroaerobe Dunkelfermentation, auch Dunkelphotosynthese genannt. Statt aus Sonnenlicht gewinnen die Bakterien die zur Wasserstoffherstellung benötigte Energie aus Kohlenstoffverbindungen. In diesem Fall ist es Ethanol, das in größeren Mengen in einem am Standort anfallenden Spülwasser enthalten ist.
Das Nebenprodukt CO2 sowie Licht und anorganische Nährstoffe wie Ammonium und Phosphat nutzen Mikroalgen, um zu wachsen und Biomasse aufbauen. Die Mikroalgen der Spezies Chlorella sorokiniana werden in einem mittels LED beleuchteten kompakten Photobioreaktor kultiviert. Sie stellen aus dem anfallenden CO2 Stärke als nutzbares Produkt her. Die benötigten Nährstoffe stammen aus einem zweiten bei Evonik in Rheinfelden anfallenden Reststoffstrom: Ammoniumchlorid.
Mikroalgen als Wasserstoffproduzenten
Mikroalgen sind unter bestimmten Bedingungen auch in der Lage, Wasserstoff zu bilden. Sie spalten hierzu Wasser mit Hilfe von Lichtenergie. „Um den Prozess technisch nutzen zu können, muss der entstehende Sauerstoff kontinuierlich aus dem System entfernt werden, da er die Wasserstoffproduktion der Algenzellen hemmt“, so Ulrike Schmid-Staiger, Leiterin der Algenbiotechnologie am IGB. „Ein gänzlich neuer Photobioreaktortyp, der hierzu entwickelt wurde, wird in wenigen Wochen in die Bioraffinerie integriert, um die Gesamtausbeute an Biowasserstoff weiter zu erhöhen.“
Das Projekt wird von der Europäischen Union und dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg mit 5,9 Millionen Euro gefördert. Die Bioraffinerie in Rheinfelden soll Vorbild für weitere Anlagen zur Umwandlung von Abwässern in Wertstoffe sein.
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