Experten beunruhigt: Norwegen genehmigt Tiefseebergbau
Tiefseebergbau könnte das eine oder andere Rohstoffproblem lösen, birgt jedoch zahlreiche Risiken für das Ökosystem der Meere. Am 9. Januar hat das norwegische Parlament den Rohstoffabbau in der Tiefsee erlaubt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind beunruhigt.
Norwegen hat als erstes Land die umstrittene Exploration des Meeresbodens nach wertvollen Mineralien genehmigt, was bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie und Umweltorganisationen auf Enttäuschung stößt. Sie warnen, dass diese Methode die biologische Vielfalt und Ökosysteme irreparabel schädigt. „Dies ist ein Fall von Gier, nicht von Notwendigkeit, und wird die Umwelt für gegenwärtige und zukünftige Generationen stark belasten“, kritisiert Matthew Gianni, Mitbegründer der Deep Sea Conservation Coalition in Amsterdam.
Darum geht es in Norwegen
Am 9. Januar stimmte das norwegische Parlament mit einer Mehrheit von 80 zu 20 Stimmen für die Erschließung von Bergbauaktivitäten auf dem norwegischen Festlandssockel. Dieses Vorhaben zielt darauf ab, die Rentabilität des Abbaus von Sulfiden und Mangankrusten auf dem Meeresgrund im norwegischen Hoheitsgebiet zu ermitteln. Im Gegensatz zu den aktuell an Land geförderten Metallen, fokussiert sich dieses Projekt auf Tiefseemineralien.
Konkret geht es darum, ein Gebiet von der Größe Ecuadors für die Erkundung von Tiefseemineralien zu öffnen. Das Gebiet liegt in der Arktis, zwischen Svalbard, Grönland, Island und der Insel Jan Mayen. Diese Lage bedeutet, dass der Tiefseebergbau in noch nördlicheren Regionen und deutlich weiter entfernt vom Festland stattfinden wird als die bisherigen, kontrovers diskutierten norwegischen Öl- und Gasexplorationen.
Warum muss es Tiefseebergbau sein?
Tiefseebergbau ist aufgrund der auf dem Meeresboden vorhandenen Rohstoffe so interessant. Dabei geht es um verschiedene Typen: Manganknollen (auch polymetallische Knollen genannt), kobaltreiche Eisen- und Mangankrusten, Massivsulfide und Erzschlämme. Manganknollen sind besonders wegen ihres hohen Gehalts an Kupfer, Nickel und Kobalt wirtschaftlich bedeutsam. Bei den Massivsulfiden sind neben den Buntmetallen wie Kupfer, Zink und Blei vor allem Edelmetalle wie Gold und Silber sowie Spurenmetalle wie Indium, Tellur, Germanium, Wismut, Kobalt und Selen von Bedeutung.
Die norwegische Regierung rechtfertigt ihren Bergbauplan damit, dass die Gewinnung von Rohstoffen wie Mangan und Kobalt in der Tiefsee notwendig sei, um die Energiewende mit einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu schaffen. Die Rohstoffe braucht es zum Beispiel für die Herstellung von Elektrofahrzeugbatterien und anderer Elektronik. Viele Forschende, darunter auch welche des Wissenschaftsbeirats der Europäischen Akademien, widersprechen der Behauptung, dass die Ressourcen knapp sind. Sie argumentieren, dass die terrestrischen Metallvorkommen zur Deckung des Bedarfs ausreichen.
Welche Gefahren lauern beim Tiefseebergbau?
Obwohl die ökologischen Auswirkungen des Tiefseebergbaus noch weitgehend unerforscht sind, deuten erste Studien auf potenzielle Schäden für Meeresbodenbewohner hin. Sie könnten durch Bergbaumaschinen zerstört oder durch aufgewirbelte Sedimente beeinträchtigt werden. Neue Erkenntnisse zeigen, dass selbst Quallen im freien Wasser bedroht sind. Daher fordern zahlreiche Wissenschaftler und Regierungen ein vorläufiges Verbot dieser Praktik, bis umfassendere Kenntnisse über das Tiefseeökosystem vorliegen.
„Die Tiefsee ist das größte Kohlenstoffreservoir der Welt und unsere letzte unberührte Wildnis mit einer einzigartigen Tierwelt und wichtigen Lebensräumen, die es sonst nirgendwo auf der Erde gibt“. sagte Kaja Lønne Fjærtoft, Global Policy Lead für die WWF-Initiative No Deep Seabed Mining. Lønne Fjærtoft ergänzt: „Die Entscheidung des Parlaments, den Tiefseebergbau gegen den Rat aller Experten voranzutreiben, mit einer Folgenabschätzung, die weithin kritisiert wurde, ist eine Katastrophe für den Ozean und hinterlässt einen großen Fleck auf Norwegens Ruf als verantwortungsbewusste Meeresnation.“
Norwegische Wissenschaft kritisiert die Entscheidung
Norwegische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler äußern Enttäuschung, jedoch keine Überraschung über die Entscheidung der Regierung. Diese habe sowohl ihren Rat als auch den der Umweltbehörde in Trondheim missachtet. In ihrer Stellungnahme zu einer öffentlichen Anhörung zu den Bergbauplänen der Regierung betonen die Wissenschaftler, dass das Wissen über die biologische Vielfalt und Ökosystemfunktionen in den betroffenen Gebieten zu gering sei, um einen risikofreien Abbau zu garantieren.
Helena Hauss, Meeresökologin am unabhängigen Forschungsinstitut NORCE in Bergen, weist darauf hin, dass die geplanten Abbaugebiete einzigartige Tiefseeinseln mit besonderen Lebensgemeinschaften darstellen. Ein Abbau würde diese unwiederbringlich zerstören. Sie kritisiert die Unvereinbarkeit dieser Tatsache mit den Behauptungen der norwegischen Regierung, der Abbau erfolge nachhaltig und verantwortungsvoll.
Kritik auch von der EU-Kommission
Norwegens Pläne für Tiefseebergbau stoßen international auf starke Kritik. Besonders die EU-Kommission zeigt sich besorgt über die Umweltauswirkungen. 119 europäische Parlamentarier haben in einem offenen Brief an das norwegische Parlament appelliert, gegen diese Pläne zu stimmen. Zusätzlich fordern über 800 Meereswissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen weltweiten Stopp des Tiefseebergbaus.
Die globale Bürgerbewegung Avaaz beteiligt sich ebenfalls an der Kritik. In sechs Wochen sammelte sie über 500.000 Unterschriften weltweit, die norwegische Gesetzgeber zum Verzicht auf Tiefseebergbau auffordern. Die Unterschriften wurden Marianne Sivertsen Næss (Arbeitspartei) nach einer kürzlichen Parlamentsabstimmung überreicht.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Entscheidung Norwegens für den Tiefseebergbau bedeutet, dass die Regierung Unternehmen und anderen Organisationen Genehmigungen für die Erkundung des Meeresbodens erteilen kann. Über eine Erlaubnis der Mineraliengewinnung für kommerzielle Zwecke, muss das Parlament noch einmal gesondert abstimmen. Viele Kritiker sehen die erste Abstimmung aber bereits als Einfallstor zu diesem Ziel.
Trotzdem besteht Hoffnung auf ein Scheitern der Pläne der norwegischen Regierung. Antonia Staats, Kampagnendirektorin bei Avaaz, betont: „Der Kampf ist noch nicht verloren. Eine halbe Million Menschen weltweit wollen verhindern, dass Abgeordnete zulassen, dass Maschinen die Meeresböden zerstören und dabei die sensibelsten und am wenigsten erforschten Ökosysteme der Welt schädigen.“
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